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       # taz.de -- Streit um Tarifvertrag: Schlechtes Geld für gute Arbeit
       
       > MitarbeiterInnen der Bremer Werkgemeinschaft wollen endlich einen
       > Tarifvertrag. Nicht finanzierbar, sagt ihr Geschäftsführung. Doch, sagt
       > die Behörde.
       
   IMG Bild: Der von der Bremer Werkgemeinschaft betriebene „Garten Eden“ in Walle
       
       Die Mitarbeitenden der Bremer Werkgemeinschaft (BWG) wollen einen
       Tarifvertrag – nicht zum ersten Mal: „Mehrere Verhandlungen sind bereits
       gescheitert“, sagt Betriebsrat Jörg Witte. Anders als andere Träger
       sozialpsychiatrischer Dienste in Bremen zahlt die BWG nicht angelehnt an
       den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TVL), sie hat
       nicht einmal einen Haustarifvertrag.
       
       Die 109 BWG-MitarbeiterInnen betreuen Menschen mit psychischen Erkrankungen
       – unabhängig davon, ob sie in einer eigenen Wohnung oder in einer betreuten
       Wohngemeinschaft leben. Sie bietet Einzel- und Gruppenbetreuung an,
       Beschäftigungsprogramme, Ergotherapie, Tagesstätten, forensische
       Wohngruppen oder den „Garten Jeden“: Das sind drei Parzellen in Walle, die
       von psychisch Erkrankten für den Gemüse- und Grünpflanzenanbau betrieben
       werden.
       
       Im Schnitt, sagt Ver.di-Sekretärin Kerstin Bringmann, verdienten
       BWG-Angestellte rund 20 Prozent weniger als KollegInnen gleicher
       Qualifikation, also SozialpädagogInnen oder -arbeiterInnen, PädagogInnen,
       HeilerziehungspflegerInnen oder ErgotherapeutInnen, die bei anderen Trägern
       beschäftigt seien. „Das ist eine riesige Lücke.“ Und keine gute Basis für
       Verhandlungen: „Wenn ein Tarifvertrag zu schlecht ist, stimmt Ver.di dem
       nicht zu.“ Daran seien auch vergangene Verhandlungen mit der BWG
       gescheitert.
       
       Dabei müssen laut Bundessozialgericht die Kosten refinanziert werden, wenn
       es einen Tarifvertrag gibt – in diesem Fall von der Sozialbehörde. Zum
       Beispiel beim Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) tut sie das auch: „Wir werden
       vom Kostenträger so bewertet, dass wir nach dem TVL bezahlen“, sagt
       ASB-Geschäftsführer Wolfgang Rust.
       
       Es gebe, sagt Rust, allerdings Bereiche, bei denen argumentiert würde, dass
       ein bestimmter Teil nicht von Fachkräften besetzt werden müsse: „Zum
       Beispiel im betreuten Wohnen: Wenn man da sagt, wir wollen das zu hundert
       Prozent mit Sozialarbeitern abdecken, dann bekommt man ein Problem.“
       
       Die Fachkraftquote bei der BWG, sagt der Betriebsrat, sei noch erfreulich
       hoch. Schließlich seien auch bei Tätigkeiten wie der Begleitung zu Behörden
       oder zum Einkaufen das Vertrauensverhältnis und der professionellen Umgang
       mit den KlientInnen wichtig. BWG-Geschäftsführer Lutz-Uwe Dünnwald
       bezweifelt, dass das so bleiben wird: „Im Falle eines Tarifvertrages
       könnten wir weder unsere Fachkräftequote halten noch die Qualität unserer
       Betreuung.“ Niemals, sagt er, bekäme er eine Refinanzierung, die den
       jetzigen Standard halten könne. „Und für unser Kleingartenprojekt bekommen
       wir ja schon jetzt keinen Cent.“
       
       Hinzu komme das Damoklesschwert der sogenannten „HBG“, das schon seit
       Jahren über den Anbietern sozialpsychiatrischer Versorgung im Bereich
       „Dezentrales Wohnen“ schwebe: HBG bedeutet Hilfebedarfsgruppen und löst den
       bisherigen Finanzierungsschlüssel für die ambulante Betreuung psychisch
       Erkrankter ab – zum Nachteil aller.
       
       „Weniger Fachkräfte müssen dadurch mehr Menschen betreuen, damit können
       locker zehn bis 15 Prozent des bisherigen Budgets eingespart werden“, sagt
       Dünnwald. Hinzu komme, sagt Betriebsrätin Elisabeth Flügge, ein hoher
       Dokumentationsaufwand für die Mitarbeitenden und „kaum mehr Stunden für
       Einzelbetreuung – der Bedarf wird einfach reduziert.“ KlientInnen, die
       vorher Einzeltermine bekommen hätten, müssten nun in Gruppen untergebracht
       werden. Für manche Menschen könnte das in Krisensituationen die Rückkehr in
       die stationäre Betreuung bedeuten – obwohl gerade das durch den Bereich
       „Dezentrales Wohnen“ verhindert werden soll.
       
       Für die Beschäftigten bedeutet die Umstellung „eine Arbeitsverdichtung“,
       sagt Dünnwald. Und aufgrund der angekündigten Umstellung sei die BWG
       bereits jetzt „restriktiv bei den Einstellungen.“ Das bedeutet:
       Umverteilung statt Nachbesetzungen und Zeitverträge. Noch sei die BWG
       verpflichtet, Personal nach dem alten Betreuungsschlüssel zu stellen, „aber
       nach den HBG haben wir ungefähr zehn Prozent zu viel Personal“, sagt
       Dünnwald.
       
       Spätestens am 31. Januar 2016 hätte das System umgestellt werden sollen,
       „aber noch immer ist nichts passiert“, sagt Dünnwald. Erst sei der
       Behörden-Sachbearbeiter in Rente gegangen, dann habe es Verhandlungen mit
       seiner Nachfolgerin gegeben: „Nun ist die aber auch schon wieder weg und
       alles geht von vorne los.“ Eine Übergangsfrist sei lediglich mündlich
       genannt worden, „aber ich hoffe, dass wir eine bekommen, damit wir
       gegebenenfalls so sozialverträglich wie möglich Stellen abbauen können“,
       sagt er.
       
       Keine guten Voraussetzungen für Tarifverhandlungen. Trotzdem: „Es ist ja
       nicht Sache der ArbeitnehmerInnen, für die Refinanzierung ihrer Gehälter zu
       sorgen“, sagt Kerstin Bringmann. Sie müsse jetzt erst einmal schauen, wie
       viel Kampfkraft in den BWG-Angestellten stecke: „Rund 30 davon sind
       Ver.di-Mitglieder und noch wissen wir nicht, wie viele von ihnen auch
       streikbereit wären.“ Eigentlich, sagt sie, müsse die Geschäftsführung mit
       der Gewerkschaft zusammenarbeiten: „Da muss gemeinsam Druck auf die Politik
       ausgeübt werden.“
       
       Das will Dünnwald auch tun, allerdings auf seine Weise: „Ich bin ja im
       Verwaltungsrat des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, der schon lange einen
       Tarifvertrag für den gesamten Sozialverband Bremen anstrebt.“ Die Behörde
       müsse sich dazu verpflichten, alle Angestellten entsprechend dem
       öffentlichen Dienst zu bezahlen.
       
       „Selbstverständlich wird bei der Entgeldfinanzierung ein Tarifvertrag
       berücksichtigt – und der TVL gilt für uns als wirtschaftlich angemessen“,
       sagt Bernd Schneider, Sprecher der Sozialbehörde. Die BWG müsse aber auch
       selbst aktiv werden: „Es haben in unserem Hause bisher keine Verhandlungen
       stattgefunden, wir brauchen da einen konkreten Vorgang.“
       
       Der entsprechende Träger müsse sich rückkoppeln mit dem Ressort, damit
       MitarbeiterInnen nicht falsch eingruppiert würden, und: „Selbstverständlich
       wird hier auch auf die Fachkräftequote geschaut: Ich muss keinen studierten
       Sozialarbeiter haben, um jemandem beim Anziehen zu helfen.“
       
       1 Sep 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Simone Schnase
       
       ## TAGS
       
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