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       # taz.de -- Wähler in Mecklenburg-Vorpommern: Ist die AfD die neue Arbeiterpartei?
       
       > Wähler aus allen Schichten haben für die AfD gestimmt. Allerdings: Keine
       > andere Partei hat so viele Stimmen von Arbeitern bekommen wie sie.
       
   IMG Bild: Wer sind diese Leute? Kundgebung der AfD
       
       Berlin taz | Die Gemeinde Peenemünde auf der Insel Usedom hat nur etwa 250
       Einwohner. Vor sieben Jahrzehnten schraubten dort Techniker der
       Heeresversuchsanstalt die V2-Raketen der Nazis zusammen. Heute macht
       Peenemünde mit einem ungewöhnlichen Wahlergebnis auf sich aufmerksam: Dort
       erhielt die AfD am Sonntag 46,8 Prozent. Zusammen mit der NPD (5,6 Prozent)
       kommen Rechtspopulisten und Rechtsextreme also auf 52,4 Prozent – Rekord in
       Mecklenburg-Vorpommern.
       
       Auf Usedom mag es im Sommer viele Urlauber geben, doch Ausländer,
       Asylbewerber gar, sind wie fast überall in Mecklenburg-Vorpommern selten.
       Wieso, fragten sich Politiker, hat das Flüchtlingsthema die Wahlen so stark
       dominiert – wo es doch im Nordosten kaum Geflüchtete gibt? Aber
       Ausländerfeindlichkeit funktioniert auch ohne Ausländer, erklären Experten
       wie der Mainzer Politikprofessor Jürgen Falter: „Diese Wähler benötigen gar
       keine Konfrontation mit ihrem Feindbild. Sie müssen nur unterstellen, dass
       es zu einer Konfrontation kommen könnte.“
       
       Falter, kennt dieses Phänomen gut. Er hat schon über die Wähler der NSDAP
       in der Weimarer Republik gearbeitet. Damals erzielte die Nazi-Partei gerade
       dort besondere Erfolge, wo Juden, ihr Feindbild, kaum vertreten waren. Dazu
       gehörte etwa Ostfriesland.
       
       Ein direkter Vergleich von NSDAP und AfD wäre freilich unangemessen und
       ahistorisch. Dennoch lassen sich erstaunliche Parallelen finden: Als
       Feindbild fungiert bei den Wählern der Rechtspopulisten nicht „der Jude“,
       sondern „der Islam“. 75 Prozent der AfD-Anhänger sehen im Islam eine Gefahr
       für Deutschland, so das Ergebnis der Analyse von infratest-dimap über das
       Wahlergebnis. 86 Prozent stimmen der Aussage zu, dass „die Zahl der
       Flüchtlinge mir Angst macht“. Glatte 100 Prozent sind der Meinung, die Zahl
       der Flüchtlinge müsse begrenzt werden. Das Flüchtlingsthema war für 54
       Prozent der AfD-Wähler entscheidend, gefolgt von sozialer Gerechtigkeit mit
       48 Prozent.
       
       Neid auf die angeblich so reichen Juden gilt in der Wissenschaft als eines
       der prägenden Motive für den Antisemitismus. Dieses Feindbild haben viele
       AfD-Wähler offenbar umstandslos auf Flüchtlinge übertragen. Die Behauptung,
       für Flüchtlinge werde „mehr getan als für Einheimische“ ist zwar barer
       Unsinn, aber 83 Prozent der AfD-Wähler stimmen ihr zu.
       
       ## Mehr Arbeiter als bei allen anderen
       
       Zu den wichtigsten Ergebnissen von Falters Forschungen zählt die Tatsache,
       dass die NSDAP seinerzeit von viel mehr Arbeitern gewählt worden war als
       bis dahin angenommen. Im Fall der AfD heißt es oft, sie werde vor allem von
       Modernisierungsverlierern und Arbeitslosen bevorzugt. Nach den Analysen von
       infratest-dimap trifft das zwar zu, ist aber nur die halbe Wahrheit: Der
       Arbeiteranteil unter den AfD-Wählern ist demnach mit 33 Prozent so hoch wie
       bei keiner anderen Partei, und bei den Arbeitslosen beträgt er satte 29
       Prozent.
       
       Der Stimmenanteil von Arbeitern bei der Linken beträgt dagegen nur zehn
       Prozent.
       
       Ein geringes Bildungsniveau haben 28 Prozent der AfD-Wähler. Aus dieser
       Bildungsschicht stimmten 31 Prozent für die SPD. Schließlich fällt der hohe
       Anteil der Männer unter den Wählern auf. Nur 16 Prozent der Frauen machten
       bei der AfD ihr Kreuzchen, aber 25 Prozent aller Männer.
       
       Entwickelt sich die AfD also zur neuen Arbeiterpartei in der
       Bundesrepublik? Sicherlich ist der Anteil der Wähler aus dem Prekariat bei
       den Rechtspopulisten höher als bei anderen Parteien – ein Phänomen, das
       früher auch schon bei den Republikanern zu beobachten war, so Jürgen
       Falter. Doch auch in der Mittelschicht gibt es viele AfD-Anhänger. „Die
       Partei wird quer durch alle sozialen Schichten gewählt“, sagt Falter.
       
       Wo standen die AfD-Wähler Mecklenburg-Vorpommerns bisher? 55.000 hatten
       laut infratest-dimap zuvor gar nicht gewählt, 22.000 für die CDU und
       15.000 für die SPD gestimmt. Auffällig ist der mit 16.000 Stimmen hohe
       Anteil ehemaliger Linkspartei-Wähler. Die Linke hat ihre Funktion als
       Protestpartei verloren und gilt als etabliert.
       
       5 Sep 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Klaus Hillenbrand
       
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