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       # taz.de -- Kolumne „Die Couchreporter“: Netflix, der bessere Sportsender
       
       > Hierzulande sind Sportdokus oft nur lange Werbefilme. Wie es besser geht,
       > zeigt die Serie „Last Chance U“ über ein College-Football-Team in den
       > USA.
       
   IMG Bild: Die beiden Defensivspieler Marcel Andry (l.) und Ronald Ollie
       
       Wie sich FernsehmacherInnen hierzulande eine Sportdokumentation vorstellen,
       konnten Menschen, die von Die Mannschaft (Copyright by Oliver Bierhoff)
       nicht genug bekommen können, am Sonntag sehen. Da sendete RTL vor dem
       Länderspiel gegen Norwegen eine Doku über Jérôme Boateng. Untertitel:
       „Fußball, Fashion, Fan-Idol“. Da weiß man eigentlich schon, wo die Reise
       hingeht. Zur Sicherheit warnte RTL aber vorab eindringlich: Die Doku „geht
       dem Hype rund um die deutsche Nationalmannschaft nach, der auch abseits der
       Spiele in den sozialen Medien anhält und eine neue Dimension angenommen
       hat“. 55 Minuten Schwarz-Rot-Geil. Dem Fanclub Deutsche Nationalmannschaft
       gefiel das.
       
       Besonders bemerkenswert: Die Super-Doku, produziert von Focus TV, lief bei
       RTL im Rahmen der Drittsendezeitenverpflichtung. Das ist diese Vorschrift
       im Rundfunkstaatsvertrag, die den großen Privatsendern auferlegt,
       Sendezeiten an Dritte abzutreten, um „einen zusätzlichen Beitrag zur
       Vielfalt in dessen Programm, insbesondere in den Bereichen Kultur, Bildung
       und Information“, zu leisten. Auftrag übererfüllt, würde ich sagen.
       
       Außer bei den Themen Doping und Fifa/Uefa/IOC sind die deutschen
       Fernsehsender – von Sky bis zu den Öffentlich-Rechtlichen – bei
       Sportdokumentationen so devot, dass es wehtut. Erinnern Sie sich noch an
       [1][„Fußball – ein Leben: Franz Beckenbauer“], die im vergangenen Jahr zu
       dessen 70. Geburtstag im Ersten lief? Hoffentlich schämt sich zumindest
       irgendeiner in der ARD heute noch dafür.
       
       Wie man es besser macht, zeigt – und ja, ich entschuldige mich im Voraus,
       wieder dieses Beispiel heranziehen zu müssen – Netflix. Dort steht seit
       Kurzem die Dokuserie „Last Chance U“ zum Abruf bereit. In sechs Teilen
       werden die Mannschaft und die BetreuerInnen der [2][EMCC Lions] begleitet.
       Das East Mississippi Community College (EMCC) ist beheimatet in Scooba,
       einer sehr kleinen Stadt mit gut 700 Einwohnern, aber mit einem großen
       College-Football-Programm: 2011, 2013 und 2014 wurden die Lions Meister der
       National-Junior-College-Meister. 2015, da setzt die Doku ein, sollen die
       Jungs diese Titelsammlung fortsetzen.
       
       ## Ein System zwischen perfekt und pervers
       
       Man kommt dabei einem Haufen von jungen Männern näher, von denen die
       meisten nichts anderes wollen als raus aus Scooba. Die Lions sind unter
       Trainer Buddy Stephens zu einer Art Sammelbecken gescheiterter oder
       schwieriger Fälle geworden. Für viele ist Scooba – wie der Titel schon sagt
       – die letzte Chance auf dem Weg zur Profikarriere. Und auf diesem Weg wird
       die Kamera nicht da ausgemacht, wo es für die Beteiligten unangenehm wird.
       Im Gegenteil: Sie folgt dem cholerischen Coach, bis dieser die Tür vor der
       Linse zuschlägt. Die Macher fahren in die Heimatorte einiger Spieler, wie
       den des Abwehrkolosses Ronald Ollie, dessen Vater einst erst Ollies Mutter
       und dann sich selbst erschoss.
       
       Man lernt ein System kennen, in dem junge Spieler um jeden Preis
       akademische Noten erreichen müssen, um zu besseren Universitäten wechseln
       zu können. Wie sie mal drangsaliert, mal gepampert werden. Wie ein
       Sportfördersystem aussieht, das zwischen perfekt und pervers schwankt. Viel
       mehr also als bei den Boateng- oder Beckenbauer-Dokus. In denen ist immer
       alles perfekt.
       
       6 Sep 2016
       
       ## LINKS
       
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   DIR [2] http://www.emccathletics.com/
       
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   DIR Jürn Kruse
       
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