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       # taz.de -- Kommentar Kanzlerin zu Deutschtürken: Der Aberglaube der Angela Merkel
       
       > Die Kanzlerin fordert die Loyalität der Türkeistämmigen. Die kann man
       > aber nicht erzwingen, sondern nur gewinnen.
       
   IMG Bild: Loyal genug? Reicht eine deutsche Flagge?
       
       Hand aufs Herz: Wann haben Sie sich das letzte Mal zu Deutschland bekannt?
       Als Sie ihre Steuererklärung korrekt abgegeben haben oder zur Wahl gegangen
       sind? Als Sie bei der Fußball-EM der deutschen Mannschaft die Daumen
       gedrückt oder sich die Wangen schwarz-rot-gold angemalt haben? Oder haben
       Sie sich gar eine Deutschland-Fahne aus dem Fenster gehängt und die Hymne
       inbrünstig mitgesungen? Wenn Sie Deutschtürke sind, dann können Sie sich
       jetzt beruhigt zurücklehnen: Sie haben den Loyalitätstest bestanden.
       
       Bundeskanzlerin Angela Merkel hat jetzt erklärt, sie erwarte von ihren
       türkeistämmigen Mitbürgern ein „hohes Maß an Loyalität“. Warum Sie damit
       nur Deutschtürken gemeint hat, bleibt schleierhaft. Sie hätte ja auch
       Steuerbetrüger wie Uli Hoeneß oder Alice Schwarzer meinen können. Oder jene
       Wähler, die ihre Stimme der AfD geben: einer Partei, in der manche ganz
       offen die „Systemfrage“ stellen und eine andere Republik wollen.
       
       Indem Sie sich speziell an die Deutschtürken wendet, gibt Merkel den
       Scharfmachern in ihrer Partei nach. Nachdem ein paar Tausend von ihnen in
       Köln gegen den Putsch in der Türkei für den türkischen Präsidenten Erdogan
       auf die Straße gegangen waren, forderte Unions-Fraktionschef Volker Kauder
       von allen Deutschtürken, ihre Loyalität müsse „in erster Linie Deutschland
       gehören“, und stellte die doppelte Staatsbürgerschaft in Frage. Und der
       ehrgeizige Jens Spahn schrieb ihnen markig ins Stammbuch: „Unser Präsident
       heißt Gauck, nicht Erdogan.“
       
       Spahn übersieht dabei, dass gut die Hälfte der Einwanderer aus der Türkei
       hierzulande nur die türkische Staatsbürgerschaft besitzen, und keinen
       anderen Pass. Ihr Präsident ist deshalb in der Tat Erdogan und nicht Gauck.
       Das ist nicht zuletzt ein Erbe der Politik seiner eigenen Partei aus den
       Kohl-Jahren, das bis heute nachwirkt. Und bis heute sehen viele in der
       Union erleichterte Einbürgerungen skeptisch oder wollen, was den Doppelpass
       betrifft, das Rad zurück drehen.
       
       ## Urteil den Betroffenen überlassen
       
       Loyalität kann man aber nicht einfordern und schon gar nicht erzwingen. Man
       kann Sie nur gewinnen, indem man sich richtig verhält. Deutschtürken
       pauschal die Möglichkeit der Mehrstaatlichkeit aberkennen zu wollen, wird
       deren Loyalität zu diesem Land sicher nicht fördern – mal abgesehen davon,
       dass man das nicht nur bei einer Gruppe machen kann, das wäre
       diskriminierend.
       
       Ob jemand sich mit einem anderen Land identifiziert oder nicht, oder ob er
       eine zweite oder dritte Staatsangehörigkeit „braucht“, dieses Urteil sollte
       man den Betroffenen überlassen. So halten es klassische
       Einwanderungsländer, die ihre Bürger nicht bevormunden und keine Angst
       davor haben, dass diese sich auch mit einem anderen Land verbunden fühlen
       könnten. Die USA sind ein Land voller Bindestrich-Identitäten. Aber in
       Deutschland glauben manche noch, dass ein Mensch nur eine nationale
       Identität haben kann. Das ist ein Aberglaube.
       
       24 Aug 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Bax
       
       ## TAGS
       
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