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       # taz.de -- Antisemitischer Parsifal: Wunschwelt ohne Juden
       
       > Dass Richard Wagners Judenhass-Gesamtkunstwerk „Parsifal“ in Bremen zum
       > 75. Jahrestag des Beginns der Shoah aufgeführt wird, dürfte nicht sein
       
   IMG Bild: Tiefe Geistesverwandtschaft: Adolf Hitler, Winifred Wagner und Joseph Goebbels beim Plaudern in Bayreuth.
       
       BREMEN taz | Warum Wagner, warum ausgerechnet „Parsifal“ immer wieder
       aufgeführt wird – keine Ahnung. Ich weiß nur, dass es nicht sein dürfte.
       Oder wenn, dann höchstens in einem so eingeschränkten und einschränkenden
       Verfahren, wie es den Filmen Veit Harlans zuteil wird: Umrahmt, besser
       noch: durchbrochen durch kritische Erörterung. Durch Diskussion und
       Gespräch ihres fesselnden mitreißenden und wie auch immer magischen
       Fluidums beraubt, in den zumal „Parsifal“ seine ZuhörerInnen einwickelt.
       Mit dem überwältig Wagner sie und entführt sie in eine Welt, die er schöner
       findet. Und die er seine HörerInnen und ZuschauerInnen allzu oft
       erfolgreich zwingen will, auch schöner zu finden. Diese Welt, Wagners
       Wunschwelt, wird judenrein sein.
       
       Mindestens ist sie das im Karfreitagsdrama des „Parsifal“: Am Karfreitag
       wurde seit jeher auch in der katholischen Kirche gegen die perfidis judaeis
       gebetet (und wird, dank eines deutschen Papstes, seit 2007 in ihren
       schmutzigsten rechten Winkeln wieder, nicht aber in Bremen). Am Karfreitag
       mussten im mittelalterlichen Deutschland Juden gelbe Kringel an der
       Kleidung tragen und spitze Hüte. Am 1. September 1941, vor 75 Jahren, trat
       die Polizeiverordnung in Kraft, die alle im Deutschen Reich lebenden Juden
       vom sechsten Lebensjahr zwang, spätestens ab 17. September gelbe
       Stoffsterne mit der Aufschrift „Jude“ „sichtbar auf der linken Brustseite
       des Kleidungsstückes in Herznähe fest aufgenäht zu tragen“.
       
       Mit der „oktroyierten öffentlichen Stigmatisierung der Opfer durch den
       ‚Judenstern‘ hatte der Holocaust begonnen“, schreibt Antisemitismusforscher
       Wolfgang Benz. Monate und Jahre der Planungen und Überlegungen waren dem
       vorangegangen, und dem die Visionen und Vorstellungen, von denen Wagners
       „Parsifal“ sicher die einflussreichste und künstlerisch gewichtigste ist.
       
       Am 11. September feiert Wagners Karfreitagstraum, in dem selbst der Erlöser
       von seinem jüdischen Blut gereinigt wird, am Goetheplatz fröhliche Urständ.
       Dass es nebenbei, 15. Jahrestag einer anderen ins Werk gesetzten
       Vernichtungsidee ist, an deren tiefem Antisemitismus kein Zweifel besteht,
       macht diese Spielplanentscheidung besonders bemerkenswert.
       
       „Eine Mischung aus christlichem Erlösungsmythos, fernöstlicher Philosophie,
       ästhetisiert-politischem Weltentwurf und pointiert frauenfeindlicher
       Entsagungsideologie“ verheißt die Dramaturgie. Eine „Überwältigungsmusik
       mit hypnotischer Sogwirkung, der man sich nicht entziehen kann“, raunt es
       in der Ankündigung. Und es fragt: „Kunstreligion in ihrer Vollendung –
       vielleicht ist das der Schlüssel?“
       
       Adolf Hitler sagt: Ja! „Aus ‚Parsifal‘ baue ich mir meine Religion“, ließ
       er seine Vertrauten wissen. Schon früher hatte er diese Oper umfassend
       gedeutet: „Da wird der unwissende, aber reine Mensch in die Versuchung
       gestellt, sich in dem Zaubergarten Klingsors der Lust und dem Rausch
       hinzugeben“, so Hitler. Er beruft sich auf eine tiefe
       Geistesverwandtschaft: „Mir sind die Gedankengänge Wagners aufs Innigste
       vertraut.“
       
       Tatsächlich war es ja Wagner gewesen, der davon träumt, „alle Juden in
       einer Aufführung des Nathan zu verbrennen“. Großartig verdichtet, in
       ungewohnter Kürze, kondensiert diese Äußerung die Bestandteile des
       „Parsifal“: Kunst, Religion und Humanität – und schon brennen die Juden.
       Ein „derber Scherz“ sei das gewesen, notiert Gemahlin Cosima im Tagebuch.
       
       Dazu bleibt festzuhalten: Während Sigmund Freud sich in ästhetischen Fragen
       für zu uninformiert erklärt, kann er vom Witz aufgrund seiner Forschungen
       mit großer Sicherheit behaupten, dass ihn zu reißen „eine Tätigkeit ist,
       welche darauf abzielt, Lust aus den seelischen Vorgängen – intellektuellen
       oder anderen – zu gewinnen“.
       
       Selbstredend ist kein Kunstwerk, zumal kein musikalisches, so beschaffen,
       dass es eine präzise vorhersagbare Wirkung hat. So hat die Band Noie Werte
       den Soundtrack zu den NSU-Morden geschrieben, aber weder ist sie wegen
       Mittäterschaft haftbar zu machen noch bringt jeder, der sie hört, Menschen
       um. Auch haben die Noie-Werte-Musiker Oliver Hilburger und Michael Wendland
       sicher ihre total soziale Seite. Einer von ihnen hat sich sogar mal als
       Arbeitsrichter engagiert.
       
       Genauso lässt sich auch Wagner nicht auf seinen Antisemitismus reduzieren,
       weder der Mann noch seine Opern, nicht einmal „Parsifal“. Auch wenn es ihr
       gelingt, Musik, Text, Ideologie und Leben des Urhebers in Übereinstimmung
       zu bringen, ist die von Marc A. Weiner, von Paul Lawrence Rose, von Hartmut
       Zelinsky oder auch von Joachim Köhler freigelegte Lesart, „Parsifal“ als
       Gesamtkunstwerk des Judenhasses zu verstehen, nicht die einzig mögliche.
       
       Sie ist aber, und das ist hier entscheidend, möglich und sie ist plausibel.
       Sie ist seit 40 Jahren virulent und, obschon viel geschmäht, unwiderlegt.
       Ein tätiger, blutideologischer Antisemitismus, Verbrechen gegen die
       Menschheit, das sind beobachtete dokumentierte Folgen dieser Kunst.
       
       Deswegen wäre die Verbreitung dieses Werks zu hemmen, so, wie die
       Verbreitung volksverhetzender Schulhof-CDs gehemmt wird. Es an staatlich
       subventionierten Opernhäusern für 100 Jahre zu sperren, wäre eine Maßnahme,
       oder wenigstens, es verpflichtend in ein didaktisches Korsett zu packen,
       das ekstatische Anwandlung von vornherein zerdrückt.
       
       Sich ihm zum 75. Jahrestag des Shoah-Beginns mit raunendem Pathos zu
       nähern, das dem Hass und dem Ressentiment seines Urhebers ein perfekter
       Humus ist, wirkt hingegen wie ein einer NPD-Wahlkampflogik würdiger
       Tabubruch: Seht her, wir trauen uns was. Wir testen mal aus, wie viel
       Zynismus die Premierengästen bereit sind, zu beklatschen.
       
       9 Sep 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Schirrmeister
       
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