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       # taz.de -- Geschlechterpolitik der AfD: Mein Körper gehört mir
       
       > Wie früher müssen Frauen heute wieder für ihre Würde kämpfen. Gegen die
       > Abtreibungsgegner vom „Marsch für das Leben“. Und gegen die AfD.
       
   IMG Bild: Da waren es nur noch 999: Weiße Kreuze wie dieses tragen die „Lebensschützer“ durch Berlin
       
       Am Wochenende wird in Berlin gewählt. Und wieder will die AfD punkten. Am
       Wochenende wird in Berlin auch demonstriert. Gegen TTIP, ja. Aber auch die
       Abtreibungsgegner werden am Samstag mit 1.000 Kreuzen auf ihrem „Marsch für
       das Leben“ durch Berlin ziehen und für ein Abtreibungsverbot demonstrieren.
       
       [1][Zwei] [2][Gegendemonstrationen] gegen die „Lebensschützer“ wird es
       zudem noch geben. Sie werden in der Berichterstattung kaum erwähnt werden,
       und wenn doch, dann nur, wenn es Ärger gibt. Ich werde zu einer der
       Gegendemos gehen, weil ich gefährlich finde, was sich da zusammenbraut.
       
       Der Bundesverband Lebensrecht e. V. marschiert jedes Jahr im September mit
       weißen Kreuzen durch Berlin. Jeden Tag, so behaupten die Veranstalter,
       werden in Deutschland 1.000 Kinder abgetrieben. Für jedes Kind ein Kreuz.
       
       Die Fakten indes sind andere: Im Jahr 2015 gab es 99.200 Abtreibungen
       hierzulande.
       
       Beatrix von Storch, die AfD-Einpeitscherin, die sich vorstellen kann, dass
       Flüchtlinge – darunter auch Kinder – mit Waffen von deutschen Grenzen
       ferngehalten werden müssen, führte die Demo des „Lebensrecht“-Vereins in
       den vergangenen Jahren öfter an. Dieses Jahr [3][haben sich zwei Bischöfe
       angekündigt], rechte Christen aus dem ganzen Bundesgebiet machen das Gros
       der Unterstützer aus.
       
       ## Gefühle werden Fakten
       
       AfD in den Parlamenten und Lebensschützer mit ihrer auf Gefühlsdogmatismus
       ausgerichteten Symbolik auf der Straße – ich kann es nicht mehr ertragen.
       Die zwei Gruppen bilden eine Allianz, deren simple Logik für immer mehr
       solche Leute, die Meinungen für Wahrheiten und Gefühle für Fakten halten,
       auf den Leib geschneidert scheint. Denn seit Informationen durch die neuen
       Medien zu diffusen Wahrnehmungswolken gerinnen, die man „liken“ oder
       „bashen“ kann, wird Politik nicht mehr mit Fakten, sondern mit Emotionen
       gemacht.
       
       Vermutlich hätte die AfD kaum groß werden können, wenn dem nicht so wäre.
       Nun aber wird sie es mit rassistischen Sprüchen und geschürter Angst vor
       Flüchtlingen (die in Mecklenburg-Vorpommern eigentlich gar nicht angekommen
       sind und trotzdem der AfD den Erfolg bei den Wahlen brachte). Sie wird es
       mit Mutterhass, ausgelebt an Angela Merkel, weil das den
       Macht-Ohnmacht-Konflikt berührt – im übertragenen Sinne ist die Mutter
       übermächtig, „der kleine Mann und die kleine Frau auf der Straße“ aber sind
       ohnmächtig, ungeliebt und bedeutungslos. Und die AfD wird groß, indem sie
       selbstbestimmten Frauen mit Abwehr, ja Verachtung begegnet – nachzulesen im
       AfD Grundsatzprogramm.
       
       Über den identitätsstiftenden Rassismus, der der AfD Zulauf gewährt, ist
       viel geschrieben worden. Nicht so über deren Frauenhass. Dabei zeigt schon
       die Präambel des AfD-Grundsatzprogramms, wohin die Reise geht. Es sollen,
       steht da, „in einem friedlichen, demokratischen und souveränen
       Nationalstaat“ als Erstes „die Würde des Menschen“, als Zweites „die
       Familie mit Kindern“, als Drittes die „abendländische christliche Kultur“
       erhalten bleiben. Eine irritierende Reihenfolge.
       
       Wer „die Würde des Menschen“ liest, liest sie auf dem Hintergrund des
       ersten Satzes des Artikels 1 im Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist
       unantastbar.“ Deshalb schwingt wie beim Obertonsingen nun die
       Unantastbarkeit auch bei der „Familie mit Kindern“ und der „christlichen
       Kultur“ mit. Die allerdings scheinen nun in Gefahr – sie müssen „erhalten“
       bleiben. Entsprechend fällt das AfD-Grundsatzprogramm aus.
       
       Die Familie – gemeint ist übrigens eine Mutter-Vater-Kinder-Konstellation,
       klar heterosexuell, klar mehrkindorientiert – ist aus Sicht der AfD von
       vielen bedroht: von Kinderkrippen und Ganztagsschulen, vom Streben nach
       Individualität, vom Gender-Mainstreaming und der Wirtschaft. Aber auch von
       „einem falsch verstandenen Feminismus“, der die Frau angeblich nur als
       Erwerbsarbeitsfaktor aber nicht als Mutter sieht. Im Umkehrschluss soll das
       heißen: Feminismus ja, aber den richtigen, den der AfD.
       
       ## Angstszenario Bevölkerungsschwund
       
       Bei dem kommt dem Muttersein der deutschen Frauen eine zentrale Bedeutung
       bei der Rettung des deutschen Volks zu – sonst droht eine „demografische
       Fehlentwicklung“, die mit Bevölkerungsschwund und „sinkenden Renten“ – so
       wird Angst geschürt – einhergeht. Denn die „konfliktträchtige
       Masseneinwanderung“ aus islamischen Staaten, wie es derzeit von der
       Regierung erlaubt werde, tauge nicht, um diesen Trend aufzuhalten. Diese
       Migranten seien dümmer, aber auch gebärfreudiger als die Einheimischen, sie
       trügen, steht da im Programm, zu einem weiter sinkenden durchschnittlichen
       Bildungsstand bei.
       
       Die Sprache des Programms ist modern und auf eine verbrämte Art
       intellektuell. Es wird von Humanitarismus und Multikulturalismus gesprochen
       (man beachte die grammatikalischen Suffixe, die dem Wort eine negative Note
       geben). Es wird von „Kettenmigration“ und „Multi-Minoritätengesellschaften“
       geredet, die den sozialen Zusammenhalt erodieren ließen. Von
       Gleichberechtigung, die durch Chancengleichheit, nicht durch
       Ergebnisgleichheit eingelöst werde und deshalb keiner Quotenregelung
       bedarf.
       
       Allerdings: Sobald die AfD übers Kopftuch diskutiert, steht die
       Gleichberechtigung der Frauen dann doch wieder auf dem Podest. Hü und hott
       – das lässt sich bei einigen Themen beobachten. Individualität nein, aber
       individuelle Betreuung der Kinder – sprich die Mutter bleibt zu Hause –
       doch. Wie übrigens auch die sozialen Sicherungssysteme entlastet werden
       sollen, indem Frauen wieder selbstbewusst die Pflege Bedürftiger übernehmen
       und man sie dafür lobt.
       
       Was aber ist zu tun, um das deutsche Volk aus Sicht der AfD wirklich zu
       retten? Die gebärunfreudigen, abtreibungswilligen, kinderlosen deutschen
       Frauen müssen eines Besseren belehrt werden.
       
       Mit nicht verifizierten Statistiken wird unterstellt, dass 90 Prozent der
       Frauen einen Kinderwunsch hätten, aber jede dritte Akademikerin bliebe
       kinderlos. Die AfD schlägt nun vor, dass Bau- und auch BAföG-Kredite für
       Familien abgekindert werden können, dass mit jedem Kind den Eltern also ein
       Teil der Schulden erlassen werde. Historische Vorlage für diese Praxis: der
       von den Nazis 1933 eingeführte Ehekredit.
       
       ## Islamistische Logik
       
       Geld allein aber wird die Frauen nicht zum Kinderkriegen ermutigen. Deshalb
       muss auch die Abtreibung aus Sicht der AfD erschwert, wenn nicht
       unterbunden werden. Weil das Embryo ein eigenständiges Individuum sei. Wie
       sie es indes mit der Reproduktionstechnologie und der Gentechnik am
       menschlichen Embryo sehen, sagen die Verfasser – darunter auch Beatrix von
       Storch – nicht.
       
       Im AfD-Grundsatzprogramm gibt es klar ausformulierte Vorstellungen davon,
       wie (deutsche) Frauen im gebärfähigen Alter ihr Leben gestalten sollen. Und
       es beinhaltet klare Vorstellungen, wie die islamische Kultur in Deutschland
       zu reglementieren ist. Dabei propagiert die AfD in ihren Positionen doch
       genau das, was auch Islamisten und alle fundamentalistischen
       Religionsanhänger tun: Religion mit Politik gleichsetzen. Sie machen
       Politik mit dem Körper der Frau.
       
       Ich will das nicht.
       
       „Mein Körper gehört mir!“ – Der alte Slogan der Frauenrechtlerinnen aus den
       70er Jahren muss lauter geschrien werden denn je.
       
       Eigentlich will ich nicht erneut für das Selbstbestimmungsrecht von Frauen
       demonstrieren müssen. Wie in den achtziger Jahren. Und auch nach der Wende,
       als durch die Wiedervereinigung die Chance da war, die Abschaffung des
       Paragrafen 218 zu erreichen, was nicht gelang. Wenn ich dennoch hingehe,
       dann tue ich das, weil Frauenrechte Menschenrechte sind. Weil die Würde der
       Frau auch die Würde des Menschen ist. Sie ist unantastbar. AfD und
       Lebensschützer sehen das anders.
       
       16 Sep 2016
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://bewegung.taz.de/termine/mein-koerper-meine-verantwortung-meine-entscheidung-weg-mit-218
   DIR [2] http://bewegung.taz.de/termine/stoppt-christlichen-fundamentalismus
   DIR [3] http://www.kath.net/news/56729
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Waltraud Schwab
       
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