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       # taz.de -- Gastkommentar von Michael Müller (SPD): Ein Rechtsruck würde Berlin verändern
       
       > Wer am Sonntag seine Stimme an AfD oder NPD verschenkt, könnte am Montag
       > in einer anderen Stadt aufwachen. Ein Appell des Regierenden
       > Bürgermeisters.
       
   IMG Bild: Wie bunt wird Berlin sein nach dieser Wahl, fragt Michael Müller (r.)
       
       Man kann es nicht anders sagen, aber wenige Tage vor der Wahl herrscht eine
       seltsame Gleichgültigkeit in der Stadt. AfD zehn, zwölf oder vierzehn
       Prozent egal! Noch ein bisschen NPD dazu? Ist dann halt so.
       
       Ich bin zu einer Zeit aufgewachsen, als fast alle in meinem Umfeld gegen
       die Apartheid in Südafrika demonstriert haben. Heute kann ein hochrangiger
       AfD – Repräsentant lautstark Verständnis dafür äußern, wenn man „einen
       Boateng“ nicht zum Nachbarn haben will. Die vielen anderen Entgleisungen
       bis hin zum Schießen auf Flüchtlingskinder als Ultima Ratio der
       Grenzsicherung, wie es die Berliner AfD Vorsitzende vorschlug, reihen sich
       nahtlos ein in ein durch und durch menschenfeindliches und rassistisches
       Weltbild.
       
       Schulterzucken? Zehn bis vierzehn Prozent sind egal? Sie sind es nicht. Sie
       werden auf der ganzen Welt als ein Zeichen des Wiederaufstiegs der Rechten
       und Nazis in Deutschland gewertet werden. Berlin ist nicht irgendeine
       Stadt. Berlin ist die Stadt, die sich von der Hauptstadt Hitlers und
       Nazi-Deutschlands zum Leuchtturm der Freiheit, Toleranz, Vielfalt und des
       sozialen Zusammenhalts entwickelt hat. Berlin hat auch Teilung, Mauerbau
       und Schießbefehle überwunden und für alle sichtbar aus einer grausamen
       Geschichte von Leid, Verfolgung, Terror und Krieg die richtigen Lehren
       gezogen. Berlin ist heute die Hauptstadt der Freiheit. Ein Symbol für viele
       freiheitsliebende Menschen auf der Welt die sehen: es geht auch so.
       
       Ich bin es leid, dass man Rassismus, Intoleranz und Menschenfeindlichkeit
       nicht mehr benennen kann, ohne dass einem „die Nazi-Keule“ vorgeworfen
       wird. Aber genau das, verbunden mit den „völkischen“ Gedanken der
       AfD-Vorsitzenden, sind die Zutaten, aus denen die braune Suppe angerührt
       wird.
       
       Mit einem Rechtsruck wird sich das Leben in Berlin verändern. Davon bin ich
       überzeugt. Minderheiten, „anders“ aussehende Menschen werden nicht nur im
       Netz angepöbelt werden, sondern auch auf der Straße. So, wie es leider
       vielen demokratischen Wählkämpferinnen und Wählkämpfern in diesen Tagen
       heute schon geht.
       
       Spalter, Ausgrenzer und Ausländerfeinde werden einen Rechtsruck in unserer
       Stadt als Freibrief für ihre Hassideologie und -taten sehen. Klar: Es wird
       keine Veränderung von einem Tag auf den anderen geben, sondern dies wird
       ein schleichender Prozess sein, der das liberale Koordinatensystem unserer
       Stadt nach rechts verschieben würde.
       
       Die Passivität vieler Demokratinnen und Demokraten angesichts dieser
       Entwicklung treibt mich um. Warum stellen sich so wenige die Frage: „Willst
       Du das Berlin?“ – wie es kürzlich in einem Video die bekannten Künstler
       Joko&Klaas, Clemens Schick, Oliver Kalkofe oder die beiden Sänger der Band
       Boss Hoss getan haben. Wir brauchen mehr solche staatspolitische
       Verantwortung – erst recht in Berlin.
       
       Ich trete an, um Berlin in einer neuen Koalition gut zu regieren. Natürlich
       kann ich verstehen, dass man an jeder Partei irgendetwas auszusetzen hat.
       Aber eines kann ich nicht verstehen: Rechts zu wählen, angesichts der
       offensichtlichen unsozialen und unmenschlichen Politik dieser Parteien.
       Oder aber seine Stimme zu verschenken und gar nicht zu wählen. Denn das
       macht es den Spaltern einfach, ihr Werk zu beginnen.
       
       Die Tage der politischen Leichtigkeit sind vorbei, wir erleben eine Zeit,
       die mehr Ernsthaftigkeit von allen erfordert. Ich wünschte mir, es wäre
       nicht so. Aber ich hoffe, dass jetzt immer mehr Demokratinnen und
       Demokraten verstehen, dass es so ist. Ich jedenfalls sehe es als meine
       Aufgabe als Regierender Bürgermeister von Berlin an, alle aufzurufen, diese
       Wahl nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.
       
       Berlin sollte jetzt ein ganz deutliches Zeichen in die Welt senden. In
       Zeiten der Trumps, Orbans, Le Pens, Hofers und anderer Rechtsausleger
       stimmt Berlin für die Freiheit. Jede Einzelne und jeder Einzelne hat es am
       Sonntag in der Hand, in welcher Stadt und in welchem Klima wir am Montag
       aufwachen. Ich vertraue Berlin, dass die Stadt ihr Schicksal abermals in
       die eigene Hand nimmt, und eine Wiederholung der Geschichte verhindert.
       
       15 Sep 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Müller
       
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