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       # taz.de -- Die AfD bei der MV-Landtagswahl: Rechte Masseneinwanderung
       
       > Nur 500 Mitglieder hat die AfD im Nordosten. Doch aus dem Stand ziehen
       > die Rechtspopulisten mit über 21 Prozent in den Landtag ein.
       
   IMG Bild: Die Rechtspopulisten etablieren sich: AfD-Spitzenkandidat Leif-Erik Holm
       
       Schwerin taz | Leif-Erik Holm hat sich auf diesen Sonntag gefreut. Jetzt
       steht der AfD-Spitzenkandidat ist einem Festzelt am Schweriner See zwischen
       den stellvertretenden Vorsitzenden der Bundespartei, Beatrix von Storch und
       Alexander Gauland, dicht umdrängt von Parteianhängern und Presse und grinst
       breit. Gerade ist auf der Leinwand ganz vorne im Zelt die erste Prognose
       erschienen: 21,5 Prozent für die AfD. Die CDU liegt bei 20, die SPD bei 30
       Prozent.
       
       „Die kriegen wir noch“, sagt einer im Saal. „In Sachsen-Anhalt sind die
       Werte im Laufe des Abends auch immer weiter gestiegen.“ Holm hebt sein
       Sektglas, stößt erst mit von Storch dann mit Gauland an. Die AfD-Anhänger
       klatschen begeistert.
       
       Die AfD hat vor das Restaurant „Schlossbucht 19, das in einem alten,
       Reet-gedeckten Haus am Seeufer untergebracht ist, ein Zelt für die
       Wahlparty aufgebaut, von der Strandbar dahinter kann man jenseits des Sees
       das Schweriner Schloss sehen – dort sitzt der Landtag. Die Rechtspopulisten
       dürfen dort noch nicht feiern. Bald aber werden sie mit sie mit zahlreichen
       Abgeordneten in das Landesparlament einziehen.
       
       „Ein stolzes“ Ergebnis, sei das, sagt Holm wenig später. „Schön wäre, wenn
       wir die SPD noch einholen würden ,aber danach sieht es ja leider nicht
       aus.“ Stärkste Partei zu werden, das hatte der ehemalige Radiomoderator
       eigentlich als Ziel ausgegeben. „Wir schreiben heute Geschichte“, sagt er
       nun trotzdem. Und: „Vielleicht ist das heute der Anfang vom Ende der
       Kanzlerschaft Merkel.“
       
       Gut aufgestellt war die AfD vor der Wahl nicht: Nur knapp 500 Mitglieder
       hat die Partei im Nordosten, Ortsgruppen gibt es jenseits der größeren
       Städte nur wenige, in der Fläche ist die AfD kaum verankert. Die
       Direktkandidaten mussten zum Teil ihre Flyer allein unter die Leute
       bringen. Spitzenkandidat Holm ist ein mäßiger Redner, kein Volkstribun wie
       sein Kollege Björn Höcke aus Thüringen, der einen Marktplatz mitreißen
       kann.
       
       Offen bekriegten sich während des Wahlkampfs die beiden Bundesvorsitzenden,
       die Stuttgarter Fraktion fand keinen gemeinsamen Umgang mit einem
       antisemitischen Abgeordneten und spaltete sich, Parteivize Alexander
       Gauland verzettelte sich in rassistischen Beleidigungen von Jérôme Boateng,
       einem der Stars der Nationalmannschaft.
       
       Den WählerInnen in MV scheint all das egal zu sein: Holm und seine
       Mitstreiter sind zweistellig. Erfolgreicher waren die Rechtspopulisten
       bislang nur in Sachsen-Anhalt. Dort erzielten die AfD bei der Landtagswahl
       im März 24,3 Prozent. Das ist bislang das beste Ergebnis. Allerdings: Bei
       der ersten Prognose waren die Zahlen für die AfD noch deutlich niedriger.
       
       Es ist der neunte Landtag in Folge, in den die AfD nun einziehen wird, in
       zwei Wochen wird das Berliner Abgeordnetenhaus hinzukommen. Und kaum jemand
       zweifelt noch daran, dass die Partei im kommenden Jahr den Sprung in den
       Bundestag schaffen wird. Die AfD etabliert sich. Das Tabu gegen rechts, das
       es sechs Jahrzehnte lang gab, ist in Auflösung.
       
       ## Keine landespolitischen Ideen
       
       Leif-Erik Holm, der AfD-Spitzenkandidat, hat jahrelang als Moderator beim
       Privatradio gearbeitet und ist im Land leidlich bekannt. Der 46-Jährige
       gibt sich als heimatverbundener Kerl, den die Sorge um das Land in die
       Politik getrieben hat. Merkels Flüchtlingspolitik, Einwanderung, Islam –
       darum vor allem ging es auf den AfD-Wahlveranstaltungen. Landespolitische
       Impulse? Weitgehend Fehlanzeige. Doch wenn Holm von „Masseneinwanderung“
       sprach, die die „kulturelle Identität“ bedrohe, war ihm der Applaus sicher.
       Nicht einmal vier Prozent der Bevölkerung in MV sind Ausländer, Flüchtlinge
       inbegriffen..
       
       Gerne betont Holm, dass er 1989 bei der friedlichen Revolution dabei war
       und sich um die Errungenschaften der Wende sorgt, die die „Altparteien“ auf
       dem Gewissen haben. „Wir wollen Freiheit in diesem Land“ und „Wir kämpfen
       für das Recht auf freie Meinungsäußerung.“, solche Sätze sagt er dann und
       wird beklatscht dafür. Als könnte nicht die AfD ihre Parolen ungehindert
       über jeden Marktplatz brüllen. Im Osten, wo die Bindung an die Parteien
       geringer ist, ist der Groll auf „die da oben“ besonders groß.
       
       Viel tun musste die AfD für ihren Erfolg in MV nicht. So manchen Wähler
       brauchte die Partei nicht überzeugen, sie konnte ihn einfach einsammeln.
       Die NPD, die seit zehn Jahren im Landtag sitzt und in der Bevölkerung
       verankert ist, hat verändert, was denkbar und sagbar ist: Wer sich an
       NPD-Parolen gewöhnt hat, für den klingen die Rechtspopulisten nicht mehr so
       schlimm. Auch hat die AfD Gelegenheiten zu nutzen gewusst. Die Kölner
       Silvesternacht, die hohen Flüchtlingszahlen, zuletzt die islamistischen
       Anschläge – Steilvorlagen gab es in diesem Jahr genug.
       
       Doch ganz in den Schoß fallen den Rechtspopulisten ihre Erfolge nicht. „Die
       Partei hat im vergangenen Jahr zwei wichtige strategische Entscheidungen
       gefällt, ohne die es diese Erfolge vermutlich nicht geben würde“, sagt der
       Berliner Wahlforscher Oskar Niedermayer. Als Merkel vor einem Jahr – die
       AfD hatte sich gerade gespalten und lag in Umfragen bei drei Prozent – die
       Flüchtlinge ins Land ließ, die AfD das Thema Eurorettung weitgehend fallen
       und setzte allein auf Asyl. „Sie hat ihren Markenkern verändert“, nennt
       Niedermayer das.
       
       ## Rechter Landesverband
       
       Die AfD inszenierte sich als die einzig wahre Anti-Asyl-Partei. „Die
       Flüchtlinge waren ein Glücksfall für uns“, sagte Parteivize Alexander
       Gauland damals. Das ist zwar zynisch, aber es stimmt. Als mit der
       Schließung der Balkan-Route die Anzahl der Einreisenden dann wieder sank,
       reagierte die AfD erneut: Sie machte die vermeintlichen
       Integrationshemmnisse des Islams und eine Gefahr durch die Muslime zu ihrem
       Hauptthema.
       
       Holm wie auch sein Co-Chef, der Familienrichter Matthias Manthei, der auf
       Platz zwei der Landesliste steht, gelten als gemäßigt, von den
       Scharfmachern innerhalb der Partei aber distanzieren sie sich nicht. Ihr
       Landesverband steht innerhalb der AfD ohnehin eher rechts. Nachdem der
       wirtschaftsliberale AfD-Gründer Bernd Lucke die Partei verließ, folgten ihm
       aus MV nur wenige.
       
       Schon auf Platz drei der Landesliste steht Holger Arppe, der ehemalige
       Landeschef, der wegen Volksverhetzung verurteilt ist. Für den Fall, dass es
       die NPD wieder in den Landtag schaffen sollte, kündigten Holm und Manthei
       bereits an, gegebenenfalls auch mit der rechtsextremen Partei zu stimmen.
       Damit wäre der sogenannte Schweriner Weg hinfällig, auf den sich die
       anderen Parteien im Kampf gegen Rechtsextremismus verständigt hatten: Alle
       Fraktionen votierten konsequent gegen NPD-Anträge. Jetzt werden sie einen
       Umgang mit der AfD finden müssen. Das wird weit weniger einmütig sein.
       
       4 Sep 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sabine am Orde
       
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