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       # taz.de -- Oliver Stones Politthriller „Snowden“: Vom Whistleblower verweht
       
       > Oliver Stone blüht in seinem Film in der Rolle als Edward Snowdens Anwalt
       > auf. Doch erzählerisch erstarrt „Snowden“ in alten Formen.
       
   IMG Bild: Edward Snowden (Joseph Gordon-Levitt) in Hongkong
       
       Wenn Parlamentsausschüsse mit abgekarteten Erklärungen an die
       Öffentlichkeit treten und die amerikanische Regierung sich zu offiziellen
       Stellungnahmen genötigt sieht, ahnen wir fast, dass ein neuer
       Oliver-Stone-Film bevorsteht. Da spielt es zunächst auch keine Rolle, dass
       Stone mit seinem Whistleblower-Biopic „Snowden“ gut zwei Jahre zu spät
       kommt.
       
       Die US-Journalistin Laura Poitras hatte mit ihrem [1][Oscar-prämierten
       Dokumentarfilm „Citizenfour“] bereits nachdrücklich einen Schlusspunkt
       unter die mediale Snowden-Kampagne gesetzt. Stones neuer Film wirkt auf den
       ersten Blick dagegen wie ein nostalgisches Projekt – wenn er für den
       Hollywood-Veteranen auch nicht unbedingt eine Rückkehr zu großer Form
       darstellt.
       
       Aber das aktuelle politische Hintergrundrauschen lässt noch einmal
       Erinnerungen an eine Zeit aufleben, als die Filme des selbsterklärten
       Enfant terrible nationale Kontroversen auslösten. Stone – ein Regisseur,
       der wie kein Zweiter in Hollywood große Stücke auf seine Meinung hält –
       dürfte mit einiger Zufriedenheit feststellen, dass er die Medien noch immer
       bespielen kann. In den USA entwickelte sich „Snowden“ in kürzester Zeit zu
       einem mächtigen Aufmerksamkeitsaggregator.
       
       ## Der Unzufriedene
       
       Vergangene Woche, pünktlich zum US-Kinostart, überschlugen sich die
       Ereignisse in der längst abgekühlten Debatte, ob Edward Snowden nun als
       Held oder als Verräter in die Geschichte eingehe. Ein
       Untersuchungsausschuss des Repräsentantenhauses stellte nach zweijähriger
       Prüfung abschließend fest, dass Snowden – seit August 2013 in Russland
       gestrandet – nicht als verantwortungsvoller US-Bürger gehandelt habe, wie
       seine Unterstützer behaupten, sondern wie ein unzufriedener Angestellter,
       der mit seinem Datenleak Sicherheit des Landes und Leben von
       US-Geheimdienstmitarbeitern gefährdet habe.
       
       Fast zeitgleich forderte ein Bündnis aus Amnesty International, Human
       Rights Watch und der American Civil Liberties Union (ACLU) in ganzseitigen
       Anzeigen Barack Obama dazu auf, Snowden zu begnadigen. Die Washington Post
       wiederum, vor drei Jahren maßgeblich an der Auswertung der Snowden-Daten
       beteiligt, reagierte auf die Kampagne mit einem verblüffenden
       Meinungsstück, in dem der Freispruch für Snowden kategorisch abgelehnt
       wurde. Das klingt nach ziemlich viel Wirbel für einen Kinofilm (oder nach
       genialem Crossmarketing), doch der Grund für den medialen Sturm im
       Wasserglas ist auch ein strategischer.
       
       Obama befindet sich in der Spätphase seiner Amtszeit, und traditionell
       fällt der amtierende Präsident kurz vor seinem Abtritt noch ein paar
       unpopuläre Entscheidungen – wozu ein Freispruch Snowdens fraglos zählen
       würde. Der US-Verleih hatte „Snowden“ sogar mehrfach verschoben, sodass der
       Start jetzt mitten in das schmale Zeitfenster fällt, in dem Snowden –
       zumindest auf absehbare Zeit – auf eine Begnadigung hoffen könnte.
       
       Stone blühte während der Dreharbeiten in seiner Rolle als Snowden-Advokat
       regelrecht auf. Er hat Snowden in Moskau persönlich getroffen (das Treffen
       ist im Epilog von „Snowden“ zu sehen) und tritt seitdem als dessen
       Fürsprecher auf. Der Regisseur, der mit „Salvador“, „Platoon“, „Geboren am
       4. Juli“ und „Natural Born Killers“ am Selbstverständnis der USA als
       moralische Institution gekratzt hat, hat einen neuen Posterboy gefunden.
       
       ## Wenig künstlerischer Mehrwert
       
       Nun ist nicht damit zu rechnen, dass Stone – anders als Poitras – für sein
       Snowden-Porträt (in der Spätphase der eigenen Karriere wohlgemerkt) einen
       Oscar in Empfang nehmen wird. Der Film ist vielmehr ein deutlicher Beleg
       für die Erkenntnis, dass der hollywood way of doing things längst nicht
       mehr das Maß aller Dinge ist. In jüngster Zeit häufen sich Hinweise (Bill
       Condons „Inside WikiLeaks – Die fünfte Gewalt“, Robert Zemeckis’ „The
       Walk“, David Gordon Greens „Die Wahlkämpferin“, Atom Egoyans „Devil’s
       Knot“, um nur einige der bekannteren Beispiele zu nennen), dass
       starbesetzte Re-Enactments von Dokumentarfilmen nur wenig künstlerischen
       Mehrwert bieten – von einem höheren Erkenntniswert ganz zu schweigen.
       
       Das Problem ist in „Snowden“ umso evidenter, da Stone die Hongkong-Szenen
       mit Snowden, Poitras sowie den Journalisten Glenn Greenwald und Ewen
       MacAskill, die die Grundlage von „Citizenfour“ bilden, als Rahmenhandlung
       benutzt. Die nervöse Anspannung, die den dokumentarischen Aufnahmen von
       Poitras’ innewohnt, die Überraschungsmomente – wenn Snowden bei der
       Passworteingabe die Bettdecke über den Kopf zieht – und die erstaunliche
       Autorität, mit der Snowden vor der Kamera spricht, wirken bei Stone wie
       gewissenhaft geprobte Nachstellungen. Das gilt auch für Joseph
       Gordon-Levitts perfekt intonierte Imitationen von Snowdens Sprachduktus,
       seiner tiefen, leicht tonlosen Stimme.
       
       ## Selbstbewusster Pitch
       
       Stone scheint es regelrecht darauf anzulegen, von der Nachwelt an Poitras
       gemessen zu werden. Was, schenkt man einer Geschichte aus der New York
       Times Glauben, nicht ganz aus der Luft gegriffen ist. Laut der Times wollte
       Stone Poitras dazu überreden, „Citizenfour“ so lange zurückzuhalten, bis
       sein eigener Film in den Kinos gelaufen sei. Sie könne damit, so erinnerte
       sich Poitras an Stones selbstbewussten Pitch, im Fahrwasser seines
       Blockbusters fahren und von „Snowden“ profitieren. Da sich Poitras auf
       keinen Deal einließ, ist es nun Stone, der im Fahrwasser des wesentlich
       kleineren Films fährt und dabei alles andere als vorteilhaft aussieht.
       
       Poitras’ Anekdote ist auch hinsichtlich des darin durchschimmernden
       Selbstverständnisses aufschlussreich, weil sie ein grundsätzliches Problem
       des Films offenbart. Stone ist das Relikt einer vergangenen Ära,
       handwerklich und erzählerisch steckt „Snowden“ tief in den neunziger Jahren
       fest. Rhys Ifans hat als Snowdens (fiktionaler) Mentor Corbin O’Brian
       einzig die dramaturgische Funktion des Widerparts für Snowdens
       Sinneswandel.
       
       Seine Figur kommt immer dann ins Spiel, wenn das Drehbuch den nächsten Gang
       finden muss. Die Schlüsselszene des Films, in der O’Brian aus dem
       Privatleben von Snowdens Freundin Lindsay Mills (Shailene Woodley)
       plaudert, während Ifans’ Gesicht wie in einem Orwellschen Szenario über
       Gordon-Levitt schwebt, ist beispielhaft für die vorhersehbare Inszenierung
       Stones, die überholten Thriller-Konventionen verhaftet ist. Die Sexszene
       zwischen Snowden und Mills (Stone erspart einem wirklich nichts) endet
       typischerweise mit einem Zoom auf die Kamera in Snowdens Computer.
       
       ## Tumbe Ernsthaftigkeit
       
       So erweist sich „Snowden“ als hochgradig irritierender Film. Schwer zu
       sagen, ob man Stones etwas tumbe Ernsthaftigkeit, seinen Politthriller ganz
       ohne Verschwörungstheorien und Inszenierungsmätzchen zu erzählen, im Grunde
       sympathisch finden soll oder ob man insgeheim nicht doch den
       größenwahnsinnigen, immer am Rande der Paranoia agierenden Stone aus den
       neunziger Jahren vermisst, der dieser betulichen Whistleblower-Romanze
       (beim ersten Date outet sich Mills als Liberale, während Snowden noch den
       linientreuen Patrioten gibt) zumindest visuell ein wenig Brisanz verliehen
       hätte. Wenn schon mit dem Holzhammer, dann aber richtig.
       
       Da ist es fast folgerichtig, wenn am Ende der echte Edward Snowden vor die
       Kamera tritt, als müsste Stone sich sein Anliegen von höchster Instanz
       beglaubigen lassen. (Man stutzt tatsächlich für einen Augenblick, so
       chamäleonhaft hat sich Gordon-Levitt die Rolle angeeignet.) Dieses
       Echtheitszertifikat holen sich natürlich auch andere Regisseure ab, die
       eine wahre Geschichte verfilmen. Bei Stone scheint dieser Move allerdings
       besonders konsequent, denn „Snowden“ ist in erster Linie als Imagefilm zu
       verstehen.
       
       So zurückhaltend und, nun ja, rational, wie Stone mitunter vorgeht, könnte
       man den Eindruck gewinnen, dass er sich tatsächlich als Teil einer größeren
       Mission sieht – wenn nicht gar als deren Vorreiter. In einem Punkt hat er
       sicher recht: Es wird eher „Snowden“ als „Citizenfour“ gelingen, die
       öffentliche Meinung über Edward Snowden zu beeinflussen. Andererseits ist
       natürlich schon die Vorstellung, dass das Kino heute noch eine
       gesellschaftliche Funktion erfüllt, ein rührender Anachronismus.
       
       21 Sep 2016
       
       ## LINKS
       
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