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       # taz.de -- Teurer Blick in die Zukunft: Strafbefehl für Hellseherin
       
       > Wegen Betruges soll eine Hamburgerin Schadensersatz zahlen. Sie hatte
       > einer Frau 322.000 Euro abgeknöpft – für ein bisschen spirituelle
       > Energie.
       
   IMG Bild: Eheschließung durch spirituelle Energie? Eine Wahrsagerin stellte ihrer Kundin das in Aussicht
       
       Hamburg taz | Ob sie vorher gespürt hat, welch negative Energien das
       Gericht in ihre Richtung senden würde? Vor dem Amtsgericht in Hamburg St.
       Georg ist die 53-jährige Hellseherin Gudrun M. jedenfalls nicht
       aufgetaucht. Der Hamburgerin wurde Betrug in 25 Fällen vorgeworfen. Sie
       soll einer Schweizerin 322.000 Euro abgenommen haben – für ein sogenanntes
       „Lifecoaching spezial plus“.
       
       Dafür soll M. „wahrheitswidrig vorgegeben haben“, dass sie den damaligen
       Partner der Bernerin „über ein spirituelles Energiefeld“ davon überzeugen
       könne, die heute 67-Jährige zu heiraten. Zudem soll sie prophezeit haben,
       dass die Kundin ein Mehrfaches der Kosten zurück erhalten werde, heißt es
       von der Staatsanwaltschaft.
       
       Die Schweizerin ist zum Gerichtstermin angereist. Die pensionierte Beamtin
       steht im schwarz-weißen Kleid vor den Fernsehkameras auf dem Gang des
       Gerichtsgebäudes, im Arm einen dicken grauen Aktenordner, eine Lesebrille
       hält ihr die dunklen Locken aus dem Gesicht. „Ich bin eine gestandene
       Frau“, sagt sie. „Ich frage mich heute: Oh Gott, wie konnte ich nur?“
       
       Über eine Kollegin fand sie eine Anzeige der angeblichen Hellseherin in
       einer Schweizer Zeitung. „Es war eine Zeit in der für mich viel zusammen
       kam“, sagt sie. M. habe gewusst, wie sie mit Menschen umgehen müsse. „Mal
       durch Versprechungen, mal mit Drohungen.“
       
       Getroffen hätten sich die Frauen nur einmal in Hamburg. Die übrige
       Kommunikation habe per Mail oder am Telefon stattgefunden. „Sie sagte, sie
       würde mit meinem Partner Kontakt aufnehmen“, gibt die 67-Jährige an –
       allerdings nicht real, sondern spirituell, um dessen emotionale Probleme zu
       lösen. Von November 2012 bis April 2015 ging das so und die Rechnungen
       stiegen.
       
       Die Schweizerin sagt, sie hätte mit niemandem darüber sprechen dürfen.
       Andernfalls hätte das mehr Arbeit für die Wahrsagerin bedeutet, weil ihr so
       „fremde Energien“ in die Quere kämen. Das habe ihr M. gesagt und sie habe
       sich daran gehalten. Bis zu jenem Tag, an dem sie M. mitteilte, dass sie
       kein Geld mehr habe.
       
       Die Hamburgerin sei darüber ungehalten gewesen, habe gesagt, dass die Frau
       nun selbst Schuld sei, wenn die Behandlung keine Wirkung auf ihren
       damaligen Partner zeige. Heute sagt die Schweizerin: „Ich hatte erst
       Zweifel, als es zu spät war.“
       
       Im Gerichtssaal bleibt der Platz neben Verteidiger Uwe Kirsch frei. M. hat
       dem Gericht mehrere Atteste vorgelegt, das letzte am Tag vor der
       Verhandlung –wegen eines Nervenzusammenbruchs. Richterin Ulrike Schwafferts
       jedoch zweifelt daran, dass M. tatsächlich verhandlungsunfähig ist, auch
       weil diese sich nicht von einer Amtsärztin untersuchen ließ.
       
       Geständig aber ist sie. „Sie hatte hauptsächlich eine Kundin“, sagt ihr
       Anwalt. M. habe „täglich stundenlang“ mit der Schweizerin telefoniert und
       dafür tatsächlich über 300.000 Euro verlangt. „Es war eine
       rund-um-die-Uhr-Lebensberatung“, sagt Kirsch. Die Einnahmen habe seine
       Mandantin versteuert.
       
       Damit habe die Angeklagte die Vorwürfe „vollumfänglich eingeräumt“, sagt
       Richterin Schwafferts. Es liege jedoch ein „erhebliches Mitverschulden“ der
       Schweizerin vor, ergänzte die Staatsanwältin.
       
       Beide einigten sich mit Verteidiger Kirsch deshalb auf eine Entscheidung im
       schriftlichen Verfahren. M. soll nun ein Jahr Freiheitsstrafe bekommen, die
       auf zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wird. Und sie soll ihrer Kundin
       Schadensersatz zahlen – insgesamt 48.000 Euro. „Alles wird sie sowieso
       nicht wieder gut machen können“, sagt Schwafferts. Dieses Urteil gilt,
       sobald die Richterin den Antrag der Staatsanwaltschaft unterschrieben hat.
       
       Die 67-jährige Schweizerin habe sich vorher nie esoterisch beraten lassen,
       betont sie. Mit ihrem Auftritt vor Gericht will sie andere Menschen warnen:
       „Glaubt nicht daran. So etwas gibt es nicht.“
       
       28 Sep 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andrea Scharpen
       
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