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       # taz.de -- Kolumne „Nach Geburt“: Kinder an die Macht? Am Arsch!
       
       > Kinder wollen keinen Frieden – da können sie bei irgendwelchen
       > Eröffnungsfeiern noch so viele weiße Tauben in die Luft schmeißen.
       
   IMG Bild: Das Bild täuscht: Es herrscht keine Harmonie im Kabinett Kindergarten I
       
       Die Aufforderung „Und niemals vergessen“ beantwortet meine zweijährige
       Tochter mittlerweile mit „Eisern Union!“. Das zeigt, dass Erziehung doch
       funktioniert. Das wundert mich. Denn an Erziehung sind schließlich auch
       Kinder beteiligt.
       
       Und Kinder sind despotische Destruktivisten.
       
       „Du nicht da sitzen!“ „Du nicht Gabel benutzen!“, „Du nicht Käse essen!“
       „Du nicht Löffel nehmen!“ Du nicht, du nicht, du nicht. Würde ich Tochter
       eins immer Folge leisten, würde ich einen qualvollen Hungertod sterben,
       müsste vorher aber noch alle drei Sekunden den Sitzplatz wechseln.
       
       Nein heißt bei uns zu hause tatsächlich Nein. Leider zu allem.
       
       Ich verstehe nicht, wieso es zwei bis fünf Millionen (Zahlen teilweise
       Schätzungen) Erziehungsratgeber für Eltern gibt, aber keinen einzigen, der
       sich an Kinder richtet. Erziehung ist doch keine Einbahnstraße.
       
       Oder doch? Kann eigentlich nicht sein, denn nichts darf eine Einbahnstraße
       sein. Wenn etwas doch eine Einbahnstraße ist (Beziehung, Freundschaft,
       Verhältnis Chef/Angestellter), ist das schlecht, außer bei Einbahnstraßen
       selbst, da kann es sinnvoll sein, dass sie Einbahnstraßen sind.
       
       Egal. Ich bekomme jedenfalls mehr und mehr den Eindruck, dass Kinder keinen
       Frieden wollen. Da können sie bei irgendwelchen Eröffnungsfeiern noch so
       viele weiße Tauben in die Luft schmeißen. Das ist nichts als plumpe
       Kinderpropaganda. Die Wahrheit lautet: Du nicht, du nicht, du nicht!
       
       ## Harmonie und Geborgenheit
       
       Dabei versuche ich es ja schon mit Spitzenpädagogik (ich hab schließlich
       von Stiftung Elterntest ein „Sehr gut (1,1)“ bekommen), wenn Tochter eins
       wieder einmal diktatorengleich versucht, vom Tripp-Trapp-Stuhl aus die Welt
       zu lenken. „Du nicht Wasser trinken!“ – „Wat is?“ – „Du nicht Wasser
       trinken!“ – „Sach mal, Frollein, heiß ich Hinnerk?!?“ Und dann ist das
       Geschrei wieder groß. Erst plärrt Tochter eins, darüber erschrickt Tochter
       zwei.
       
       Trotzdem ist in unserer Gesellschaft aus mir unerfindlichen Gründen die
       Überzeugung fest verankert, dass Kinder sich doch nur Harmonie und
       Geborgenheit wünschten. Frage: Warum zeigen sie das dann nicht? Wenn Eltern
       sich dann doch mal über ihre herrischen Kinder auslassen, dann folgt danach
       sowas wie „Aber sie geben einem auch so viel, der Frederik und die Amalia.“
       Frage: Was denn?
       
       Wenn meine Tochter mal mit mir kuschelt, sagt sie nach einer Sekunde:
       „Fertig.“ Wenn ich zu meiner Tochter sage „Ich hab dich lieb“, sagt sie:
       „Ja.“ Kinder an die Macht? Am Arsch, Grönemeyer. Wenn wir die Welt wirklich
       nur von unseren Kindern geliehen haben, dann hoffe ich, dass wir sie
       niemals zurückgeben müssen.
       
       Der 1. FC Union Berlin hat am vergangenen Montag 2:0 gegen St. Pauli
       gewonnen. Zumindest irgendwer macht, was ich will. „Und niemals vergessen“,
       sage ich am nächsten Morgen am Frühstückstisch. „Eisern Union!“, schallt es
       postwendend zurück. Ach, sie gibt mir so viel.
       
       3 Oct 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürn Kruse
       
       ## TAGS
       
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