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       # taz.de -- Streit an der Humboldt-Universität: Der Parallelforscher
       
       > Der Migrationsforscher Ruud Koopmans wird von konservativen Medien
       > gefeiert und von Studierenden an seinem Institut kritisiert. Eine
       > Begegnung.
       
   IMG Bild: Wie weit verbreitet sind fundamentalistische Einstellungen unter Muslimen? Ruud Koopmans streitet darüber mit seinen Studenten
       
       Wie scharf darf man einen bekannten Migrationsforscher kritisieren?
       
       Darf man ihm eine „unwissenschaftliche und reißerische Darstellung seiner
       Studienergebnisse“ in politischen TV-Talkshows und Zeitungsartikeln
       vorwerfen?
       
       Darf man schreiben, er mache „Stimmung gegen Muslime“, wenn er ihnen mehr
       Anpassung bis hin zur Assimilation empfiehlt – und gleichzeitig über den
       bedrohlichen Anstieg antimuslimischer Einstellungen in der Gesellschaft
       großzügig hinwegsieht? Darf man sagen, er bereite damit den Boden für
       rassistische Anfeindungen und Parteien wie die AfD?
       
       Ruud Koopmans ist darüber empört. Der niederländische Migrationsforscher
       arbeitet am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) und lehrt seit drei Jahren
       als Professor am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität
       in Berlin.
       
       ## Konflikt wegen Semesterferien vertagt
       
       Deren studentische Fachschaft wandte sich im Juli mit einer Erklärung an
       die Öffentlichkeit, in der sie mit Koopmans scharf ins Gericht ging,
       „methodische Zweifel“ äußerte und seine Auftritte in den Medien
       kritisierte. Es kam zum Streit am Institut, ein aus dem Fenster der
       Fachschaft gehängtes Banner mit dem Slogan „Für Forschung ohne Feindbild“
       musste auf Druck der Institutsleitung abgehängt werden. Vorerst ist der
       Konflikt vertagt, denn noch sind Semesterferien.
       
       Koopmans möchte sich erklären, die Vorwürfe entkräften. Im
       Wissenschaftszentrum empfängt er die Besucher in seinem Büro, bei
       Mineralwasser und Keksen. Bei dem Gespräch lässt er sich vom Pressesprecher
       des WZB begleiten, er möchte richtig zitiert werden.
       
       „In einer akademischen Diskussion tauscht man Argumente aus und geht nicht
       mit Diffamierungen, Verleumdungen und Beleidigungen an die Öffentlichkeit,
       ohne vorher mit der Person gesprochen zu haben“, sagt er verärgert über die
       studentische Kritik. „Solche extrem beleidigenden Vorwürfe gleiten nicht
       einfach spurlos an einem ab“, sagt er. Dabei wirkt er weniger gekränkt als
       angriffslustig.
       
       Koopmans trägt sein Hemd weit offen und gibt sich jovial. Mit seinen
       stahlblauen Augen, seiner gebräuntem Haut und seiner angegrauten
       Strubbelfrisur sieht er aus, als sei er gerade von einem Segelboot
       gesprungen. Man würde ihn eher für einen sportlichen Zahnarzt halten als
       für den Soziologen, der er ist. Wie viele Holländer hat er eine sehr
       direkte Art, die zuweilen an Unverschämtheit grenzt, und strahlt ein
       Selbstbewusstsein aus, das manchmal schwer von Arroganz zu unterscheiden
       ist.
       
       ## Beifall von Rechts für seine Studie zum Fundamentalismus
       
       Wenn er sich zum Beispiel über seine Fachkollegen äußert, dann muss er sich
       Mühe geben, eine gewisse Herablassung zu unterdrücken. In der NZZ
       unterstellte er der gesamten Integrationsforschung einmal pauschal „eine
       extreme Intoleranz“ und „ein totales Desinteresse an Forschungsbefunden,
       die nicht ins eigene Denkschema passen“.
       
       Im „Rat für Migration“, in dem sich führende Vertreter seines Fachs
       zusammengeschlossen haben, will er nicht Mitglied sein. „Mir ist unwohl in
       Organisationen, in denen man immer einer Meinung sein muss“, gibt er zur
       Begründung an. Außerdem sei der Rat „ein rein politisches und kein
       wissenschaftliches Gremium“, behauptet er.
       
       Man könnte daraus im Gegenzug folgern, dass auch Koopmans kein gesteigertes
       Interesse an Meinungen zeigt, die nicht in sein Denkschema passen. Lieber
       forscht er parallel zu dem Rest seines Fachs vor sich hin. So entzieht er
       sich einer Debatte über die Schwächen seiner Studien, die in
       internationalen Fachjournalen durchaus diskutiert werden.
       
       Bekannt wurde Koopmans vor einigen Jahren durch eine groß angelegte
       Untersuchung, mit der er fundamentalistische Einstellungen unter Muslimen
       in Europa untersuchen wollte. Die sind seiner Ansicht nach weit verbreitet.
       Seine Ergebnisse werden von Rechtspopulisten wie Thilo Sarrazin, dem
       Niederländer Geert Wilders oder AfD-Chefin Frauke Petry seitdem immer
       wieder zitiert.
       
       ## Sunnitische Muslime fallen bei ihm unter Verdacht
       
       Dabei ist Koopmans Fundamentalismusdefinition ziemlich holzschnittartig:
       Wer die Dogmen seiner Religion für unabänderlich hält, sich eine Rückkehr
       zu ihren Wurzeln wünscht und seine heilige Schrift höher bewertet als
       weltliche Gesetze, der ist für ihn Fundamentalist.
       
       Sunnitische Muslime geraten bei ihm dadurch fast automatisch unter
       Fundamentalismusverdacht, weil der Koran für sie Gottes Wort ist, während
       Aleviten fast automatisch davon freigesprochen werden, weil der Koran bei
       ihnen nicht den gleichen Stellenwert besitzt wie für Sunniten. So kommt
       Koopmans zu deutlich höheren Werten für Fundamentalismus als andere,
       vergleichbare Studien.
       
       Koopmans hat nur Einwanderer befragt, die selbst oder deren Eltern aus der
       Türkei und Marokko stammen. Doch wenn er sich öffentlich äußert, operiert
       Koopmans gerne mit Kategorien wie „die Muslime“ versus „die Christen“. Und
       während er in seinen wissenschaftlichen Publikationen betont, dass man
       fundamentalistische Einstellungen nicht zwangsläufig mit Gewalt
       gleichsetzen dürfe, verzichtet er auf solche Differenzierungen, wenn er
       sich in den Medien zu Wort meldet. Da setzt er Fundamentalismus pauschal
       mit Fanatismus gleich, sieht darin eine billigende Vorstufe zur Anwendung
       von Gewalt und nährt so den Generalverdacht gegen konservativ-religiöse
       Muslime, diese würden heimlich mit Terroristen sympathisieren und sie im
       Zweifel sogar decken.
       
       Die Dynamik gesellschaftlicher Prozesse blendet er dabei völlig aus – etwa,
       dass sich antimuslimisches Ressentiment und Rückzug in den Fundamentalismus
       gegenseitig bedingen könnten. Solche Einwände lässt er im Gespräch an sich
       abprallen. Für ihn zählen allein die nackten Zahlen.
       
       ## Koopmans hält sich an Zahlen
       
       „Wenn man empirisch orientierte, quantitative Forschung macht, dann muss
       man letztlich mit den Forschungsergebnissen leben, die man hat“, sagt er.
       Da gebe es nicht so einen großen Interpretationsspielraum wie in der
       qualitativen Forschung, die er fast schon als eine Art Aberglaube abtut.
       „Da ist es ein Leichtes, die Bestätigung zu finden für das, was man sucht.
       Und da sind Leute sicher nicht sparsamer in ihren Schlussfolgerungen“; ein
       Seitenhieb gegen andere Migrationsforscher, die sich nicht – wie er –
       hauptsächlich auf Meinungsumfragen stützen.
       
       Koopmans gefällt sich in der Rolle des wissenschaftlichen Außenseiters, der
       mutig Klartext spricht. Der Rechtspopulismus dürfe „kein Grund sein für
       Denk- und Redeverbote, was den islamischen Radikalismus angeht“, betont er
       im Gespräch, über den werde seiner Ansicht nach immer noch viel zu wenig
       geredet.
       
       Die Diskriminierung von Muslimen hält er dagegen für maßlos überschätzt,
       ihnen mangele es vielmehr an Bereitschaft zur Assimilation. Manche litten
       womöglich gar an einer Art „Abendlandphobie“, so lautet seine Diagnose. Mit
       anderen Worten: Wer ein Kopftuch trägt oder einen starken arabischen Akzent
       hat, darf sich nicht wundern, wenn er keinen Job findet – so kann man ihn
       verstehen.
       
       Von konservativen Medien wird Koopmans dafür als „Tabubrecher“ gefeiert,
       als Querdenker und „Eisberg in der Wohlfühlzone“ (FAZ). Die Frankfurter
       Allgemeine Zeitung widmete ihm im Juli dann auch eine ganzseitige flammende
       Verteidigungsschrift gegen die Kritik von studentischer Seite. Von der
       linken und linksliberalen Presse fühlt sich Koopmans dagegen ignoriert und
       wittert dahinter eine Art ideologischen Boykott. Dass es daran liegen
       könnte, das man seine Thesen dort schlicht für zu platt, zu grobkörnig und
       populistisch hält – auf diese Idee kommt er nicht.
       
       ## Nicht zimperlich
       
       Bei Anne Will vertrat Koopmans unlängst die Meinung, der Islam sei per se
       ein Integrationshindernis. Alle Einwände, etwa der Islamwissenschaftlerin
       Lamya Kaddor, die auf die Rolle von Bildung und Schichtzugehörigkeit
       hinwies, wischte er pauschal vom Tisch: Das widerspreche nun wirklich der
       Forschungslage, behauptete Koopmans so vehement von sich überzeugt, dass
       Anne Will irritiert die Stirn kräuselte. Gegen den Zuspruch von AfD-Chefin
       Frauke Petry, die ihm lächelnd zur Seite sprang, verwahrte sich Koopmans
       dagegen nicht.
       
       Auch sonst zeigt er sich in seinen politischen Statements nicht zimperlich.
       Merkels Flüchtlingspolitik bezeichnete er einmal als „absolute
       Fehlleistung“, und mit Blick auf die Integration von Zuwanderern plädiert
       er für „Zuckerbrot und Peitsche“, wortwörtlich.
       
       Deutschland müsse auch nicht allen anerkannten Flüchtlingen eine
       Bleibeperspektive bieten, findet er: „Wir haben die moralische Pflicht,
       Leuten in Not zu helfen. Wir haben aber nicht die moralische Verpflichtung,
       all diese Leute auch auf Dauer hier zu behalten. Es ist nichts
       Verwerfliches daran zu sagen: Wenn die Situation im Irak und in Syrien
       wieder sicher ist, dann müssen einige wieder zurückgehen. Deutschland
       sollte seine moralische Pflicht mit den eigenen Interessen verbinden“,
       empfiehlt Koopmans einen strikten Utilitarismus. Markus Söder hätte es
       nicht schöner sagen können.
       
       Wie geht der Streit an der Humboldt-Universität weiter? Eine öffentliche
       Diskussion mit einem Vertreter der Fachschaft kam bislang nicht zustande,
       weil man sich nicht über die Modalitäten einigen konnte. Im Herbst wird es
       am Institut eine Veranstaltung zu „Integration und Religion“ geben, die
       schon lange geplant war. Spätestens dann dürfte es zu einer öffentlichen
       Aussprache kommen. Dass Rechtspopulisten seine Studien zitieren, das kann
       man Koopmans schwer vorwerfen. Wohl aber, dass er selbst manchmal wie ein
       Rechtspopulist klingt.
       
       4 Oct 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Bax
       
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