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       # taz.de -- Supermarktkette vor dem Ende: Vom Kaiser zum Bettler
       
       > 5.600 Menschen arbeiten für Kaiser’s in Berlin. Doch die Kette steht vor
       > der Zerschlagung. Bis Freitag soll über ihre Zukunft entschieden werden.
       > Ein Besuch.
       
   IMG Bild: Werden sie bald ausrangiert? Einkaufswagen von Kaiser's
       
       Susanne Niemann stöhnt. Abwehrend hebt sie die Hände. „Was soll ich sagen,
       große Scheiße ist das alles“, knurrt sie und gibt dem Gitterwagen vor ihr
       einen kräftigen Stoß, sodass er ein Stück durch den Gang der
       Kaiser’s-Filiale im Kreuzberger Norden holpert. Aus einem Holster zieht die
       Kassiererin ihr Lesegerät und lässt das grüne Licht über den Strichcodes
       aufleuchten. Nudelsuppe, piep. Rindereintopf, piep. „Ich bin keine
       Träumerin. Wenn es so weit kommt, wird der Laden hier als Erstes
       dichtgemacht“, sagt sie.
       
       Die Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann steckt in einer schweren Krise:
       Seit Jahren ist das Geschäft verlustreich – nun droht dem Konzern die
       Zerschlagung. Jeder zweite Arbeitsplatz sei dann in Gefahr, heißt es. Ob es
       tatsächlich so weit kommt, hängt von zwei Branchenriesen ab. Darf Edeka wie
       geplant die Kaiser’s-Filialen mitsamt allen Angestellten übernehmen? Oder
       triumphiert der Konkurrent Rewe, der gegen die Übernahme geklagt hatte? Am
       Freitag läuft die letzte Frist ab, bis dahin soll eine Entscheidung her. So
       hat es Kaiser’s-Chef Karl-Erivan Haub angekündigt.
       
       ## Ein „zweiter Fall Schlecker“
       
       „Wir sind hier fast alle über fünfzig. Von uns findet keiner ’nen neuen
       Job“, sagt Susanne Niemann, die Hände in die Hüften gestützt. „Ist traurig,
       aber die meisten Kollegen sehe ich dann auf dem Amt wieder.“ Niemann heißt
       eigentlich anders, aber wie viele Kaiser’s-Mitarbeiter will sie ihren Namen
       lieber nicht in der Zeitung lesen.
       
       Sie ist eine von rund 5.600 BerlinerInnen, die in den 125 Kaiser’s-Märkten
       arbeiten. Das Unternehmen beschäftigt in der Hauptstadt mehr Menschen als
       Lidl und Rewe zusammen. 2015 war Kaiser’s Tengelmann laut Industrie- und
       Handelskammer der zwölftgrößte Arbeitgeber der Stadt. Experten sprechen
       bereits von einem „zweiten Fall Schlecker“, sollten tatsächlich Tausende
       Arbeitsplätze wegfallen.
       
       Am Stadtrand haben sich einige Kaiser’s-Mitarbeiter an diesem Morgen zum
       Frühstück getroffen. Sie scherzen und klönen, wie geht’s den Kindern, was
       macht der Garten? Alles wie immer, könnte man meinen. Doch eigentlich ist
       nichts wie immer.
       
       „Ich bin gerade die Trösterin bei uns in der Filiale“, erzählt eine junge
       Frau. Neulich sei eine Kollegin tränenüberströmt zu ihr gekommen. Sie war
       schon mehrere Wochen krankgeschrieben, habe den ganzen Druck einfach nicht
       mehr ausgehalten. Ihr Mann könne nach einem Unfall nicht mehr arbeiten, und
       wenn ihr Gehalt jetzt auch noch wegfalle, wisse sie einfach nicht mehr, wie
       es weitergehen soll. „Die ist vor mir zusammengebrochen“, erzählt die junge
       Frau.
       
       Von solchen Geschichten können hier in der Frühstücksrunde alle berichten.
       Der Krankenstand sei in den letzten Wochen überall in die Höhe geschossen,
       das Tagesgeschäft nur durch Überstunden zu bewältigen. Das gehe an die
       Substanz. Zahlreiche Mitarbeiter haben das Unternehmen bereits verlassen,
       wie Kaiser’s Tengelmann auf Anfrage mitteilt. Es gehen vor allem die jungen
       gut Qualifizierten aus der IT und Verwaltung.
       
       Wer bleibt, hat Angst. „In den letzten Monaten habe ich wahrscheinlich so
       viele Kollegen umarmt wie in den 30 Jahren vorher nicht“, sagt eine Frau,
       die in Steglitz arbeitet. „Zwei Jahre dauert die Hängepartie jetzt. Das
       macht die Leute fertig.“ Am 7. Oktober 2014, daran erinnern sich die
       Mitarbeiter noch genau, hatte Kaiser’s Tengelmann mitgeteilt, seine
       Supermärkte an Edeka verkaufen zu wollen. Wenige Monate später verbot das
       Bundeskartellamt die geplante Übernahme. Zu mächtig wäre der Marktführer
       sonst geworden.
       
       ## Konkurrent klagte
       
       Es folgte ein Wirtschaftskrimi: Sigmar Gabriel setzte den geplanten Verkauf
       zunächst per Ministererlaubnis durch. Die Mitarbeiter erzählen, wie sie in
       den Filialen gejubelt hätten. „Wir sind gerettet!“, haben sie gedacht. Aber
       der Konkurrent Rewe klagte gegen das Dekret des Wirtschaftsministers. Im
       Juli dieses Jahres stoppte das Oberlandesgericht Düsseldorf die Übernahme.
       Seitdem reihen sich die Krisengipfel in immer dichterer Abfolge aneinander.
       Eine Zerschlagung gilt als wahrscheinlich.
       
       Am Frühstückstisch erzählt eine Frau mit kurzen blonden Haaren, dass sie
       und ihr Mann sich auf der Arbeit kennengelernt haben. Seit fast 30 Jahren
       arbeiten beide bei Kaiser’s. Die Kinder sind gerade aus dem Haus, der
       Kredit noch nicht ganz abbezahlt. „Meinste, bei uns zu Hause gibt’s noch
       irgendein anderes Thema?“
       
       ## Seit Jahrzehnten in Dienst
       
       Fast alle, die sich hier zum Frühstück treffen, sind schon seit Jahrzehnten
       im Unternehmen. Ihre Dienstjahre wissen sie, ohne nachzudenken: 25, 27, 30
       Jahre und so weiter … Kaiser’s galt immer als guter Arbeitgeber, der
       anständig zahlt und sich um seine Leute kümmert. „Wir sind eine große
       Familie“, habe es immer geheißen.
       
       Vor elf Jahren kam die ganze Familie zum Fest zusammen: 125 Jahre Kaiser’s.
       In der Frühstücksrunde erinnern sie sich daran, als sei es gestern gewesen.
       Mit Nachtzügen fuhren sie alle nach Mönchengladbach. Der Chef hatte dort
       das ganze Stadion gemietet. Udo Jürgens trat auf, und Barbara Schöneberger
       moderierte den Abend. Ganz vorn saßen die Azubis und ließen Luftballons
       steigen. An der Haupttribüne des Stadions hing ein meterlanges Plakat: „Die
       Familie feiert“ stand darauf.
       
       ## Im Stich gelassen
       
       Toll sei das gewesen, ein Riesenfest. Als hätte man ein vierzehntes Gehalt
       bekommen, so gut sei die Stimmung in den Filialen in Wochen danach gewesen.
       „Nach dem Ding warst du so richtig stolz, hier zu arbeiten“, sagt eine.
       „Bei uns gab’s danach den Spruch: Der Kunde ist König, aber wir sind
       Kaiser“, erzählt ein anderer. Umso mehr fühlen sie sich jetzt verraten, im
       Stich gelassen. „Der Chef hat uns verkauft“, sagt die Frau aus Steglitz mit
       tonloser Stimme, „das vergesse ich ihm nicht.“
       
       Alle hoffen jetzt darauf, dass Rewe die Klage zurückzieht. Nur so richtig
       will keiner daran glauben. Wenigstens habe die Warterei bald ein Ende, sagt
       einer. Aber selbst die größten Optimisten hätten gerade Angst.
       
       5 Oct 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Robert Pausch
       
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