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       # taz.de -- Berliner Rap-Duo SXTN: Auf die Kacke hauen
       
       > SXTN nimmt sich raus, was sonst nur Männern zusteht: Feinden aggressiv in
       > den Hintern treten. Müssen Feministinnen sie deshalb mögen?
       
   IMG Bild: Feiern gern: Nura und Juju im Video zum Song „Deine Mutter“
       
       Alles ist angerichtet. Mobiliar, das zerlegt werden will; Dope-Schwaden,
       Schnaps, Knarren und Gold, das von Hälsen klimpert. Und mit größter
       Selbstverständlichkeit neben den schaumbedeckten Frauen im Musikvideo: Juju
       und Nura, zwei junge Rapperinnen aus Berlin. SXTN nennt sich das Duo, das
       sich im Song „Deine Mutter“ erlaubt, was sonst meist Männern zusteht: ihren
       Gegnern im Roundhousekick unter die Gürtellinie zu treten.
       
       Bis dato waren es hierzulande vor allem Rapper wie Kool Savas, die den
       sogenannten Battlerap kultivierten. Frauen dienen in letzter Zeit meist,
       wenn sie nicht selbst Gegenstand der verbalen Vernichtung sind, als
       ölglänzendes Video-Inventar. Auf Jujus und Nuras Debüt-EP jedoch, auf der
       sie an die Tradition von toughen US-Rapperinnen wie Roxanne Shante oder
       Queen Latifah anknüpfen, führen Frauen das große Wort. Sie sind die Bosse.
       Die Bitches. Aber auch: die Opfer. „Ich ficke deine Mutter ohne Schwanz“
       singen SXTN gutgelaunt-aggressiv. Und bringen mit jener Zeile auf den
       Punkt, was so verstörend an ihrer Musik ist: dass sich zwei Frauen ein
       Vokabular aneignen, das sonst verwendet wird, um sie zu erniedrigen.
       
       SXTN teilen aus, wie man im Rap-Business eben austeilt: SXTN gegen den
       Rest, seien es „Hurentöchter“ oder -söhne. Juju, Rapperin seit ihren
       Jugendtagen, und Nura sind aufgewachsen mit Aggro Berlin, und das hört man.
       Viele neue Impulse fügen ihre Songs dem amtlichen Deutschrap nicht hinzu –
       bis auf den Umstand, dass die MCs hinter dem Mikrofon Frauen sind. Obwohl
       es Jahre nach den Debüts von Schwesta Ewa und Kitty Kat nicht mehr der Rede
       wert sein sollte, wenn Frauen explizit werden, lassen SXTN vielen Menschen
       den Schaum vor den Mund treten.
       
       Und zwar nicht nur jenen, die es fuchst, dass ihnen zwei Mädels die
       Beleidigungen wegnehmen; sondern auch alle, die Jujus und Nuras Songs auf
       eine feministische Agenda abklopfen. Und schließlich enttäuscht sind, wenn
       sie statt Empowerment nur die genreüblichen Verwünschungen finden.
       
       ## „Die haben geredet wie wir“
       
       Etwa im Song „Hass Frau“, der sich bei „Du Nichts, ich Mann“ bedient –
       einem Track des Rappers King Orgasmus One, über den sich Alice Schwarzer
       einst in einer Talkshow ereiferte. SXTN sampeln Schwarzers pikierte
       Rezitation der Lyrics, sonst darf der Text ganz er selbst bleiben. Juju und
       Nura führen seine Frauenverachtung weiter, versehen mit der Fußnote, dass
       sie dabei versierter rappen als König Orgasmus. Sicher: Wenn zwei Frauen
       „Kotz auf meinen Schwanz“ fordern, mag das den Gehalt der Aussage ad
       absurdum führen.
       
       Auf den eindeutigen ironischen Bruch mit der Dicke-Hose-Nummer wartet man,
       wie häufig bei SXTN, jedoch vergebens. All das könnte noch komplizierter
       sein als die Frage, ob Freundinnen der Gleichberechtigung Battlerap als
       Kunstform überhaupt gut finden dürfen – oder ganz einfach. Über ihre
       Begeisterung für Bushido und Kool Savas sagte Juju, Tochter eines
       Marokkaners, wie ihre aus Saudi-Arabien eingewanderte Freundin Nura
       sozialisiert in Neukölln: „Die haben geredet wie wir.“ Und darum geht es im
       Rap, auch für Künstlerinnen. Hoffnung finden in einer Gesellschaft, die
       voller Gewalt ist; Wut kanalisieren, und ja, auch einfach auf die Kacke
       hauen.
       
       All das steht auch zwei jungen Frauen zu, ob man sie dafür liebt oder
       nicht. Man muss es weder brillant noch emanzipatorisch finden, wie sich
       SXTN die sexistische Rhetorik ihrer Rap-Kollegen zu eigen machen. Lassen
       muss man es ihnen dennoch.
       
       Auch die Nuras und Jujus dieser Welt haben das Recht auf HipHop, Schnaps
       und Dope und forderndes Tanzen, das Recht auf Unsinn. Auf der Bühne und im
       Leben. Spaß macht diese Botschaft allemal.
       
       20 Sep 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julia Lorenz
       
       ## TAGS
       
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