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       # taz.de -- Football Pride Week in Berlin: Es ist 2016, liebe Fußballfreunde
       
       > Fangruppen, Vereins- und Verbandsvertreter aus aller Welt sprachen in
       > Berlin vier Tage lang über Homophobie und Sexismus im Sport.
       
   IMG Bild: Eine Regenbogenflagge auf den Bildschirmen des Stadions von ManCity – sowas gibt es woanders nur selten zu sehen
       
       Berlin taz | Wer glaubt, die Welt des Fußballs habe sich der krassesten
       Auswüchse des Chauvinismus entledigt, kann sich flugs mal durch einige News
       der vergangenen Wochen klicken. Man findet: [1][Morddrohungen] gegen einen
       offen schwulen Schiedsrichter in Spanien. Einen Fan, der einer
       Schiedsrichterin empfiehlt nach Hause zu gehen und [2][„Geschirr zu
       waschen“] (ebenfalls in Spanien). Zwei tschechische Profispieler, die nach
       sexistischen Äußerungen zur „Strafe“ mit den [3][Frauen] trainieren sollen.
       
       Nur einige Beispiele. Für die europäische Fan- und Fußballorganisationen,
       die sich gegen Homophobie und Sexismus einsetzen, sind derlei Vorfälle
       Alltag. Deshalb haben sie vergangene Woche in Berlin erstmals zu einem
       Netzwerktreffen, zur Football Pride Week, geladen. Initiiert unter anderem
       von den Fußballfans gegen Homophobie und der Vereinigung Football
       Supporters Europe, hat man in der verdi-Geschäftsstelle vier Tage lang in
       Workshops und auf dem Podium diskutiert, was man tun kann.
       
       240 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 24 Ländern waren gekommen – die
       meisten davon Fans, Fanvertreter sowie Funktionäre von Verbänden und
       Vereinen. Auch der DFB und der europäische Verband Uefa – in Gestalt von
       Patrick Gasser, der die Uefa-Abteilung für soziale Verantwortung leitet –
       ließen sich blicken, die Fifa beließ es bei einer Grußbotschaft.
       
       Spannend waren vor allem die internationalen Perspektiven, die zum Beispiel
       die Vertreter eines russischen LGBT-Sportverbands einbrachten, über dessen
       bloße Existenz man staunen mag. „Uns gibt es wohl nur deshalb noch, weil
       wir uns auf den Bereich Sport konzentrieren. Alle anderen offiziellen
       LGBT-Organisationen in Russland sind offiziell aufgelöst“, erklärt deren
       Sprecher Aleksandr Agapov.
       
       ## Ein Boykott hilft niemandem
       
       Agapov sagt dies im Rahmen eines Workshops, bei dem es um die kommenden WMs
       in Russland 2018 und Katar 2022 geht, die also jeweils in Staaten
       stattfinden, die nicht gerade für progressive Homo- und Frauenrechte
       bekannt sind. Dazwischen gibt es 2020 die über den Kontinent zerstreute EM,
       bei der unter anderem Weißrussland, Russland und Aserbaidschan
       Gastgeberländer sind. Wie damit umgehen?
       
       Ein Boykott, so meinen fast alle hier, helfe niemandem, insbesondere nicht
       den lokalen Initiativen in den Ländern. Agapov sagt zum Turnier in seinem
       Heimatland: „Nur wenn man hinfährt und vor Ort ist, kann man die Situation
       mit seiner Präsenz ändern. Es wird auch kein großes Risiko darstellen,
       schließlich hat die russische Regierung selbst ein Interesse daran, der
       Öffentlichkeit eine reibungslose WM präsentieren zu können.“ Realistisch,
       so sagen die einen, sei es, jeweils vier friedliche und sichere
       Turnierwochen für angereiste LGBTI-Fans zu ermöglichen – mehr aber nicht.
       Andere meinen, man solle die internationale Bühne für Protestaktionen
       nutzen.
       
       Dass das bei den internationalen Sportveranstaltungen in der Praxis nicht
       so einfach ist, zeigt eine Podiumsdiskussion mit Uefa-Vertreter Gasser. Mit
       ihm diskutieren Fanorganisationen einen Vorfall bei der vergangenen EM, als
       einem Anhänger verwehrt wurde, eine Regenbogenflagge mit ins Stadion zu
       nehmen. Gasser hält sich an das Diktum des Stadions als politikfreien Raum:
       „Die Fans gehen in erster Linie ins Stadion, um ihr Team zu supporten“,
       erklärt er, „nicht um politische Anliegen vorzutragen.“
       
       ## Vom gemeinen Fan entfremdet
       
       An diesen Punkten zeigt sich, wie weit auseinander die Faninitiativen,
       nicht nur queere, und die Fußballverbände heute sind, wie weit sich die
       Uefa- und Fifa-Events vom gemeinen Fan entfremdet haben. Im Vergleich dazu
       scheint es so, als gingen die nationalen Vereine und Verbände schon mal
       eher einen Schritt auf die Grassroots-Initiativen zu.
       
       In einem Workshop diskutierten etwa Alexander Wehrle, Geschäftsführer des
       1. FC Köln und Dirk Middeldorf von den Queer Football Fanclubs, welche
       Aktionen an Bundesligaspieltagen möglich wären. Wie man etwa Sponsoren, den
       öffentlichen Nahverkehr in PR-Aktionen einbinden könne, wie man Polizei und
       Ordnungsdienste für die Thematik sensibilisiert, wie man den Breitensport
       ins Boot holt.
       
       Profis, die sich nicht wegducken, sind dabei hilfreich. So etwa der
       ehemalige Schalke- und jetzige Fenerbahçe-Spieler Roman Neustädter, der am
       Samstag – im Übrigen privat – bei der Football Pride Week zu Gast war.
       Neustädter war Anfang des Jahres von Instagram-Followern mit dem Wort
       ‚Homo‘ beschimpft worden – und hatte kurz und knapp reagiert: [4][„It’s
       2016. If you are racist or homophobe get the fuck off my insta.“] Er sei
       während seiner ganzen Karriere als ‚Schwuchtel‘ beschimpft worden, ob auf
       dem Trainingsgelände oder im Internet, erklärte er nun auf dem Podium – es
       sei daher wichtig, Spieler einzubeziehen beim Kampf gegen Homophobie.
       Neustädter, Sohn russlanddeutscher Eltern, spielt übrigens im russischen
       Nationalteam.
       
       Nicht alle Veranstaltungen überzeugten bei der Football Pride Week, so
       mancher Workshop war viel zu verschult und setzte bei null an. Zudem sollte
       man sich bemühen, noch mehr jene einzubinden, die nicht ohnehin schon mit
       wehenden Toleranzfahnen durch die Stadien laufen.
       
       Im Berliner Eishockey ist die Message der hier zusammengekommenen
       Initiativen zumindest schon mal [5][angekommen]. Am Sonntag zierte während
       eines Spiels ein Regenbogen ihren Helm, und von nun an tragen sie auf ihren
       Jerseys das Logo des Bündnisses gegen Homophobie, teilte der Verein am
       Montag mit.
       
       10 Oct 2016
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://sports.vice.com/de_de/highlight/spanischer-schiedsrichter-bekommt-nach-coming-out-morddrohungen-271
   DIR [2] http://www.sport1.de/internationaler-fussball/2016/09/spanien-schiedsrichterin-wirft-fan-nach-sexismus-vorfall-raus
   DIR [3] /Sexismus-im-tschechischen-Fussball/!5340971
   DIR [4] https://www.instagram.com/p/BAyuIBJqxQr/?taken-by=romainnewton&hl=de
   DIR [5] http://www.morgenpost.de/sport/eisbaeren/article208385179/Berliner-Eisbaeren-setzen-Zeichen-gegen-Homophobie.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jens Uthoff
       
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