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       # taz.de -- Gewalt im Stadion: Eine Datei mit Sprengkraft
       
       > Juristisch steht die „Datei Sportgewalt“ zwar in der Kritik, dennoch
       > speichert das Landeskriminalamt Berlin massenhaft Daten von Sportfans.
       
   IMG Bild: Fans der Kategorie B oder Kategorie C? Das LKA weiß mehr
       
       Der letzte größere Vorfall bei einer Berliner Sportveranstaltung ist noch
       gar nicht so lange her. Am 3. September, die Jubiläumspartie des BFC Dynamo
       ist gerade abgepfiffen, ziehen BFC-Anhänger in den Mauerpark. Und
       attackieren dort, so berichten Augenzeugen, ein Grillfest eines
       kamerunischen Kulturvereins. Flaschen fliegen. Es gibt Verletzte. Kein
       Einzelfall: 33 Vorfälle verzeichnete die Polizei bei Berliner
       Sportveranstaltungen der vergangenen Saison; insgesamt 1.382
       Sportgewalttäter stehen derzeit in der Datei „Sportgewalt Berlin“ des
       Landeskriminalamtes (LKA). Doch die Zahlen sind umstritten, ebenso die
       Datei.
       
       Mit Transparenz punktet sie nämlich nicht gerade. Wer dort auftaucht, wird
       normalerweise nicht darüber informiert. Lange Zeit war nicht einmal
       bekannt, dass es sie gibt. Seit 1998 sammelt das LKA Datensätze von
       Sportfans; erst eine Anfrage der Piraten von 2014 legte die Sammlung offen.
       Seither mehrt sich die Kritik; nun wollen SPD und Linke eine Reform der
       Datei. Es geht um ausufernde Datenspeicherung, Beweisführung und die Frage,
       wie eine Stadt mit Gewalt im Sport umgeht.
       
       Und es geht um Fußball. Denn in die Berliner LKA-Datei, in der Fans zu
       Kategorien werden – Kategorie B für „gewaltbereit“, Kategorie C für
       „gewaltsuchend“ –, schaffen es fast nur Fußballfans, die meisten davon
       Herthaner, Unioner oder vom BFC Dynamo. Die Diskussion über die Listen
       läuft hoch emotional: Fanvertreter wettern über die Datensammelwut und
       Schikane der Polizei, die Polizei über Gewaltbereitschaft und die fehlende
       Kooperation von Fans.
       
       „Die Gefährdungslage gibt keinen Anlass für eine derart ausufernde
       Speicherung“, sagt etwa die Fanhilfe Hertha BSC, die die Datei gern
       abschaffen würde – was wenig verwundert, verteidigt die Organisation doch
       immer wieder auffällig gewordene Fans. Für Thomas Neuendorfer,
       stellvertretender Sprecher der Berliner Polizei, ist eine Abschaffung der
       Datei undenkbar. So habe es in der letzten Saison bei 14 Prozent aller
       Sportveranstaltungen mit Polizeipräsenz Ausschreitungen gegeben.
       
       ## Reform oder Reförmchen?
       
       Juristisch aber ist die Berliner „Datei Sportgewalt“ durchaus angreifbar.
       Denn um in der Datei zu landen, muss niemand verurteilt werden: Erfasst
       werden laut LKA Beschuldigte von Straftaten in Zusammenhang mit
       Sportveranstaltungen Verdächtige solcher Taten, Gefahrenverursacher und
       Kontaktpersonen potenzieller Straftäter. „Ein Fußballfan, der zur falschen
       Zeit am falschen Ort war, kann ohne Urteil, ohne Beweis in dieser Datei
       landen“, sagt Dennis Buchner, sportpolitischer Sprecher der Berliner
       SPD-Fraktion. „Das ist rechtlich hoch problematisch.“ Und kann Konsequenzen
       bis zum Ausreiseverbot haben.
       
       „Das jetzige Verfahren ist intransparent und die rechtliche Grundlage
       unklar“, so Buchner. „Die Datei gehört in dieser Form abgeschafft. Der
       Rechtsstaat verlangt klare Beweislagen und Urteile.“ Auch die Linke fordert
       eine Reform und gegebenenfalls eine Abschaffung. Ganz unwahrscheinlich ist
       das Unterfangen nicht: Anfang des Jahres musste schon das Land Hamburg
       wegen ausufernder Speicherung ohne ausreichende Beweise seine
       Gewalttäterdatei Sport löschen.
       
       Wie vehement die SPD und Linke aber eine Reform vorantreiben, bleibt
       abzuwarten. Denkbar wäre wohl eher ein Reförmchen mit Fokus auf die
       Informationspflicht. Denn im Gegensatz zu anderen Bundesländern wie Bremen
       und Rheinland-Pfalz wird in Berlin niemand informiert, dass er in der
       „Datei Sportgewalt“ steht. „Eine Benachrichtigungspflicht über die erfolgte
       Speicherung sieht das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz Berlin
       nicht vor“, so Polizeisprecher Neuendorfer.
       
       Informierte Fans könnten sich zumindest juristisch zur Wehr setzen. Damit
       würde auch einfacher schätzbar, wie realistisch die Zahl von 1.382
       gewalttätigen Sportfans in Berlin wirklich ist. Und ob die groß
       diskutierten Unschuldsfälle möglicherweise nur Einzelfälle sind. Bislang
       müssen Fans dafür selbst eine Anfrage beim LKA stellen. Zuletzt klagte ein
       Herthaner erfolgreich auf Auskunft über seine Daten. In den Jahren 2015 und
       2016 fragten aber nur 23 Fans an; viele wissen offenbar gar nicht, dass es
       die Datensammlung gibt.
       
       12 Oct 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alina Schwermer
       
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