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       # taz.de -- Männlichkeitsbilder im HipHop: Drake fällt durch's Raster
       
       > Einfühlsamer Lover und Gelegenheitszuhälter: Wie der kanadische Rapper
       > Drake mit der Hypermaskulinität im HipHop bricht.
       
   IMG Bild: „Sweetheart“ Drake
       
       „Drake ist so ein Typ, der im Supermarkt einen zerschrammten Apfel nimmt
       und ihn fragt: Wer hat dir das angetan?“ „Drake ist so ein Typ, der seinen
       Homies SMS schreibt, nur um zu fragen, wie ihr Tag läuft.“ Sucht man in
       sozialen Netzwerken Infos zu Drake, der spätestens seit dem großen Erfolg
       seiner Single „Hotline Bling“ aus dem vergangenen Jahr zu den bekanntesten
       Rappern der Welt zählt, wird schnell klar: Der gebürtige Kanadier hat sich
       zu einem virtuellen Running Gag entwickelt. Memes, die ihn auf den Arm
       nehmen, werden geteilt, was das Zeug hält. Und diese Memes laufen alle auf
       dieselbe Pointe hinaus: Drake ist kein richtiger Mann. Zumindest nicht in
       dem Sinne, wie man sich Männer im HipHop-Kontext bis vor Kurzem noch
       vorgestellt hat.
       
       „Please Forgive Me“, der 21-minütige Film, den der Rapper zuletzt
       veröffentlichte, lässt in geradezu plakativen Szenen erkennen, wieso: Nach
       einer innigen Schmuseszene zwischen Drake und dem belgischen Model Fanny
       Neguesha entwickelt sich der Streifen zu einer Mischung aus mehrteiligem
       Musikvideo, Hollywood-Blockbuster und Männermagazin-Filmchen, bei dem Drake
       abwechselnd mit Knarren hantiert und wehmütig in den Sonnenaufgang starrt.
       
       Die Story folgt ungefähr der Handlung von Adrian Lynes’ Thrillerromanze
       „Ein unmoralisches Angebot“ und endet in einer explosiven Gewaltorgie.
       Drake, der bald seinen 30. Geburtstag feiert und einst als Schauspieler in
       der Teenie-Serie „Degrassi“ berühmt geworden war, wandelt als Protagonist
       leichtfüßig zwischen einfühlsamem Lover und Gelegenheitszuhälter, Gangster
       und Versager.
       
       Aus scheinbar unvereinbaren Gegensatzpaaren wie diesen setzt sich Drakes
       Habitus seit Beginn seiner Rap-Karriere im Jahr 2009 zusammen – und bricht
       so mit traditionellen Männlichkeitsmustern, die die HipHop-Kultur seit fast
       30 Jahren dominieren. Auch Drakes Texte sind geprägt von emotionalen
       Eingeständnissen und Bekenntnissen der eigenen Schwäche – vorgetragen in
       einem Stil, der sich sowohl aus Elementen des Südstaaten-Rap speist (und
       zuletzt auch UK-Grime und jamaikanischem Dancehall) als auch aus dem R&B.
       
       Der Sohn einer weißen, jüdischen Mutter aus Toronto und eines
       afroamerikanischen Vaters aus Memphis schreibt sich wie so mancher Rapper
       vor ihm den Authentizitätsfaktor realness auf die Fahne – deutet diese aber
       grundlegend anders als beispielsweise 50 Cent und frühere Generationen von
       Gangsta-Rappern, die die Verkörperung von schwarzer Männlichkeit im
       Popdiskurs jahrzehntelang prägten. Hypermaskulinität, Toughness,
       Emotionslosigkeit und eine Authentizitätsdenke, die sich auch über das
       eigene Vorstrafenregister definiert, wurden spätestens mit N.W.A. Ende der
       Achtziger-Jahre Kern der Diskussion um Männlichkeit im HipHop.
       
       Der Kommunikationswissenschaftler Timothy Brown beschreibt diesen
       performativen Typus explizit als „HipHop-Männlichkeit“. Browns Typus
       umschließt das subversive Potenzial, das hypermaskuline, aggressive
       Verhaltensweisen im Kontext afroamerikanischer Männlichkeit bietet. Richard
       Majors und Janet Mancini Billson beschreiben dies in ihrer zur
       Standardreferenz gewordenen „cool pose“-Theorie als Abwehrmechanismus, der
       aus einer historisch bedingten, rassistisch-oppressiven Entmächtigung
       schwarzer Männlichkeit resultiert.
       
       Die coole Pose der HipHop-Männlichkeit ist demnach als direktes Resultat
       einer Gesellschaft zu verstehen, die afroamerikanische Männer unterdrückt.
       Andererseits aber deutet Brown auch auf die problematische Seite solcher
       Dominanzgebärden hin und beschreibt deren regressives Element als eines,
       das patriarchale Verhältnisse reproduziert und Stereotypen einen Nährboden
       bietet.
       
       Die Männlichkeit, die Drake verkörpert, ist hingegen komplex: schwarz,
       weiß, soft, hart, emotional, cool, urban, vorstädtisch. „Sometimes I want
       that romance / sometimes I want that pole dance“, bringt er es im Song
       „Under Ground Kings“ auf den Punkt. Auch „Please Forgive Me“ macht diese
       Widersprüche deutlich und treibt sie auf eine geradezu selbstironisch
       wirkende Spitze. Die Brüche in der performativen Konstruktion seiner
       Männlichkeit lassen Drake durch das Raster einer traditionellen Definition
       von HipHop-Männlichkeit fallen.
       
       Drake gibt in seinen Texten einen offenen, verwundbaren Einblick in seine
       Gefühls- und Beziehungswelt und verkörpert damit für viele HipHop-Fans so
       sehr das Gegenteil dieses Männlichkeitsentwurfs, dass er in sozialen
       Netzwerken in Form etwa der oben genannten Memes regelmäßig ins Lächerliche
       gezogen wird. Und gerade Memes dieser Art offenbaren sehr deutlich die
       heteronormative und homophobe Tendenz, mit der sich die klassische
       HipHop-Männlichkeit nach Brown gegen den als „soft“ gesehenen
       Männlichkeitstypus wehrt. Sie wirkt hegemonial, also repressiv gegenüber
       alternativen, von der Mehrheit als minderwertig erachteten Mustern.
       
       ## Inklusive Männlichkeit
       
       Im Rahmen einer Studie zu Männlichkeitskonstruktionen im Sport kommt der
       Soziologe Eric Anderson zu einer faszinierenden These im Hinblick auf
       hegemoniale Männlichkeit. Anderson stellt fest, dass sich bei abnehmender
       „Homo-Hysterie“ in einem gegebenen Kulturkontext unterschiedliche
       Männlichkeitsentwürfe entwickeln können, die nicht in einem
       antagonistischen, auf hegemonialen Strukturen basierenden Verhältnis
       zueinander stehen. Mit anderen Worten: Ein ehemals repressiver
       Männlichkeitsentwurf verliert seinen hegemonialen Einfluss, wenn sich eine
       kritische Masse von ihm lossagt. Eine auf Koexistenz statt auf Repression
       basierende Männlichkeit, bezeichnet Anderson als „inklusive Männlichkeit.“
       
       So lassen sich seit Drakes kommerziellem Durchbruch zahlreiche Beispiele
       von alternativer HipHop-Männlichkeit finden. Ein frühes Zeichen gibt Kanye
       West jedoch schon vorher, im August 2005, in einem Interview, bei dem er
       sich offen gegen die weit verbreitete Homophobie im HipHop ausspricht.
       Später folgen Platten wie Wests wegweisendes „808s & Heartbreak“, das
       HipHop-Konservative mit seinem exzessiven Gebrauch von Auto-Tune
       (Stichwort: unauthentisch) und seinen emotionsgeladenen Inhalten gegen sich
       aufbringt. Oder Lil B’s Mixtape-Titel „I’m Gay (I’m Happy)“ aus dem Jahr
       2011, und Frank Oceans Coming-out zur eigenen Bisexualität 2012. Aus dem
       progressiven New Yorker Untergrund treten Rapper wie Le1f, Mykki Blanco und
       Cakes Da Killa zum Vorschein, die zunächst unter dem reißerischen Begriff
       „queer rap“ in einigen Medien gehandelt werden.
       
       Und jüngst ließ auch der aus Atlanta stammende Rapper Young Thug im Rahmen
       einer Calvin-Klein-Kampagne verlauten, dass er nicht an ein festgelegtes
       Gender glaube, und posierte für ein Mixtape-Cover im androgynen
       Designerkleid. Von Homo-Hysterie keine Spur: Vor wenigen Jahren wäre so
       etwas im Mainstream-Rap undenkbar gewesen.
       
       Die Männlichkeitsmodelle, die Rapper wie Drake, Lil B und Young Thug
       verkörpern, sind von Widersprüchen geprägt, die die Fluidität und den
       inszenierten Konstruktcharakter von Männlichkeit offenbaren. Als populäres
       Aushängeschild von HipHop im 21. Jahrhundert liefert Drake durch seinen
       Ausdruck von männlicher Unzulänglichkeit sowohl innerhalb der HipHop-Kultur
       als auch im Allgemeinen für afroamerikanische Männer ein alternatives
       Männlichkeitsmodell, das mit Stereotypen bricht. Natürlich liefert „Please
       Forgive Me“ mit seinen gewaltverherrlichenden Tendenzen und dem misogynen
       male gaze – einem männlich-zentrierten Blick – auf seine weibliche
       Protagonistin kein Manifest für eine bessere Welt.
       
       Aber dass Drake mit seinem Gesamtwerk, wie der HipHop-Blogger Big Ghost es
       ausdrückt, die Schleusen geöffnet hat „to a million other soft ass
       muthafuckas jus like him [sic]“, lässt sich durchaus als hoffnungsvolles
       Zeichen deuten. Inklusive Männlichkeit wird im HipHop des
       Internetzeitalters bald nicht mehr nur als Zukunftsmusik durch die Boxen
       schmettern.
       
       13 Oct 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anthony Obst
       
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