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       # taz.de -- Zur UN-Megastadtkonferenz: Stuttgart 21 in Quito
       
       > Vor der UN-Konferenz Habitat III: In Ecuadors Hauptstadt regt sich Kritik
       > an der autofixierten Verkehrspolitik. Radler haben es schwer.
       
   IMG Bild: Für Radfahrer eher ungeeignet: Straßen in Quito, Ecuador
       
       Quito taz | Quito ist für Radfahrer die Hölle: extreme Steigungen, kaum
       Radwege, rücksichtslose Autofahrer, Tausende von Bussen, die finstere
       Rußwolken ausstoßen. Fürs Radfahren werden nur 0,017 Prozent des
       städtischen Verkehrsetats ausgegeben. Und weniger als ein Prozent der
       Bürger in der ecuadorianischen Hauptstadt nutzen täglich das Rad. Und doch
       entwickelt sich die Branche langsam: Es gibt mehr Radgeschäfte, neuerdings
       auch Fahrradkuriere. Und jeden Sonntag radeln Zehntausende auf einigen für
       Autos gesperrten Hauptstraßen durch die Stadt.
       
       „Diese Idee haben wir hier in diesem Garten ausgetüftelt“, sagt Ricardo
       Buitron. Er sitzt im Garten von accion ecologica, der wichtigsten
       Umweltschutzorganisation des südamerikanischen Landes. Buitron ist lange
       dabei. „Alles hat damit angefangen, dass ich ein Fahrrad hatte und mich
       über den Verkehr geärgert habe.“
       
       Dabei sind viele in Quito stolz auf die Regierungspolitik. Die neue
       Autobahn zum neuen Flughafen. Der Ölboom und die Regierung, die auf
       Modernisierung der Infrastruktur setzt, machten das möglich. Das ist auch
       eine Erfolgsgeschichte. Der neue Flughafen ist sicherer und bringt viel
       weniger Lärmbelästigung mit sich als der alte, der mitten in der Stadt lag
       und wegen seines Gefälles extrem gefährlich war.
       
       Buitron sieht das alles kritisch. Der Flughafen? Sieht aus, als wäre er
       fürs Militär gebaut. Und die Autobahn, die katastrophale Straßen ersetzt
       hat – ist das kein Gewinn für die Allgemeinheit? „Zwei Drittel der Bürger
       von Quito haben kein Auto“, so Buitron trocken.
       
       ## Teuer, ineffektiv, falsch kalkuliert
       
       Derzeit wird in Quito eine U-Bahn gebaut. Die Stadt misst von Nord nach Süd
       fast 50 Kilometer; sie ist ein von schroffen Höhen und steilen Tälern
       durchzogenes Straßenmeer. Eigentlich ist eine Metro eine gute,
       umweltfreundliche Idee, um die verstopften Straßen zu entlasten. Doch
       Buitron und alternative Verkehrsexperten sind skeptisch. Die Metro soll 2
       Milliarden Dollar kosten. „Das ist“, so der Stadtplaner Diego Hurtado,
       „eine absurde Kalkulation.“ In Bogotá wird derzeit eine 27 Kilometer lange
       U-Bahn gebaut – Kosten sieben Milliarden Dollar. In Quito sollen 23
       Kilometer nur 2 Milliarden Dollar kosten – trotz der extremen
       Höhenunterschiede in der Stadt.
       
       Seit der Ölpreis fällt, ist das Geld im Staatssäckel extrem knapp. Wann die
       erste U-Bahn fahren wird, ist unklar. Und: Busse transportieren knapp eine
       Millionen Personen am Tag durch Quito. Mit der Metro werden, falls sie
       fertig wird, weniger als die Hälfte fahren. Teuer, ineffektiv, falsch
       kalkuliert – klingt wie Stuttgart 21 in Ecuador.
       
       Kritische Geister wie Buitron und Hurtado sind überzeugt, dass das
       Metro-Geld klüger verwendet werden könnte. Denn es gibt seit den 90er
       Jahren in Quito ein Trolleybussystem, das ökologisch sinnvoll, preiswert
       und in Lateinamerika einzigartig ist.
       
       Doch das Trolleysystem wurde nie zu Ende gebaut – ein strukturelles
       Problem. Jeder neue Bürgermeister verfolgt eigene Pläne. Nun eben die
       Metro.
       
       ## Mangel an Selbstbewusstsein
       
       Mit zwei Milliarden Dollar, so Buitron und Hurtado, hätte man neue
       Straßenbahnlinien, ein zu Ende gebautes Trolleysystem, eine Hochbahn und
       ein paar Metrofericos finanzieren können – Gondeln, die in der bergigen
       Stadt naheliegend sind.
       
       Warum dennoch die Metro? Wohl auch wegen eines verstaubten Begriffs von
       Fortschritt. „Wir machen in Quito, was andere Städte vor 50 Jahren getan
       haben: alles für Individualverkehr, mehr und breitere Straßen. Dabei wissen
       wir doch, dass es so nicht geht“, so Buitron. Das Streben, endlich das
       Gleiche zu haben wie westliche Metropolen, sei stark. Ein Mangel an
       Selbstbewusstsein sei der Grund, warum man in Ecuador alternative Wege
       scheue.
       
       Kurz vor Habitat III werden nun auf einigen Straßen in der Innenstadt
       hektisch neue Radfahrwege markiert, die bislang von parkenden Autos genutzt
       werden. Auf einer Hauptstraße sollen jetzt Fahrräder auf der Busspur fahren
       – was angesichts des berüchtigten Fahrstils der Busfahrer keine gute Idee
       ist. Immerhin gibt es seit zwei Wochen ein paar Busse, die Räder
       transportieren. „Das fordern wir seit Jahren“, sagt Buitron. „Erstaunlich,
       was kurz vor der Habitat alles möglich ist“.
       
       14 Oct 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Reinecke
       
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