URI: 
       # taz.de -- Dilemma des katalanischen FC Barcelona: Eigener Staat, aber spanische Liga
       
       > Der FC Barcelona ist ein global ausgerichteter Verein, stützt aber die
       > Unabhängigkeitsbewegung Kataloniens. Das könnte zum Problem werden.
       
   IMG Bild: Mit Flagge ins Stadion: Barça-Fans bei einem Auswärtsspiel in Madrid
       
       Barcelona taz | Jetzt kommt also auch noch der Stierkampf zurück. Sechs
       Jahre nach der Abschaffung des Tauro-Spektakels durch das katalanische
       Parlament liegt dem spanischen Verfassungsgericht eine Urteilsempfehlung
       vor, das Verbot wegen Kompetenzüberschreitung wieder aufzuheben. Es gibt
       kaum Zweifel, dass der mehrheitlich mit Juristen der konservativen
       Zentralregierung besetzte Senat ihr folgen und die Region wieder einmal
       gegen sich aufbringen wird. Wohl aus taktischen Erwägungen soll das Verdikt
       aber erst in ein paar Wochen verkündet werden. Die Lage ist gerade schon
       heikel genug.
       
       Am Donnerstag genehmigte das Tribunal schließlich schon die Aufnahme
       strafrechtlicher Ermittlungen gegen Kataloniens Parlamentspräsidentin Carme
       Forcadell, weil sie verfassungswidrige Unabhängigkeitsvoten der Kammer
       toleriert habe. Wie zum Beweis ihrer Unbeugsamkeit stützte eine
       Abgeordnetenmehrheit indes am selben Tag den Regionalpräsidenten Carles
       Puigdemont in seinem Plan, 2017 ein bindendes Referendum über eine
       Loslösung von Spanien abzuhalten.
       
       Die „katalanische Frage“ – ein enervierendes Spiel von Aktion, Reaktion und
       Provokation. Eines, das längst auch Kataloniens berühmteste Institution
       erreicht hat: den Futbol Club Barcelona.
       
       Vor Beginn des nächsten Champions-League-Heimspiels in anderthalb Wochen
       gegen Manchester City wird es im Camp Nou ein Pfeifkonzert aus fast 100.000
       Kehlen geben. Der Protest wird sich gegen den europäischen Fußball-Verband
       Uefa richten. Und es geht dabei um die eigene Nationalbewegung und um ihre
       Fahne: die „Estelada“. Das Tuch mit den gelb-roten Streifen (die Flagge
       Kataloniens), ergänzt um den Stern (Symbol der Unabhängigkeitsbewegung),
       gehört seit jeher zum Inventar mancher Fans.
       
       ## Independència“-Rufe nach 17 Minuten
       
       Mit dem Erstarken des Sezessionismus hat es an Präsenz zugenommen. Bis zu
       einem Punkt, an dem sich die Uefa nach dem Champions-League-Finale 2015 in
       Berlin zum Einschreiten genötigt sah. Wegen „Verbreitung sportfremder
       Botschaften“ verhängte sie eine Geldstrafe von 30.000 Euro. Nicht mal ein
       Tagessatz von Lionel Messi. Aber, so verstand man es in Barcelona, ein
       Anschlag auf das Selbstwertgefühl.
       
       So wie Madrid mit jeder Zurechtweisung neue Separatisten züchtet, so hat
       auch die Uefa mit ihrem Einschreiten eine Partie eröffnet, bei der sie kaum
       etwas gewinnen kann. Schon letzte Saison gab es als Reaktion nur Pfiffe,
       noch mehr Estaladas und noch lautere „Independència“-Rufe nach 17 Minuten
       und 14 Sekunden jedes Heimspiels (im Jahr 1714 wurde Barcelona unterworfen
       und Katalonien fest in Spanien eingegliedert; nach sezessionistischem
       Geschichtsverständnis begann damit sein Martyrium).
       
       Der Verband erhöhte die Sanktion daraufhin auf 150.000 Euro, wovon 50.000
       zur Bewährung ausgesetzt wurden. Das Ergebnis? Vor dem ersten Spiel dieser
       Saison gegen Celtic Glasgow verteilten die wichtigsten
       Unabhängigkeitsplattformen vor dem Camp Nou rund 30.000 Esteladas.
       
       Die Antwort des Verbandes auf diesen Abend steht noch aus. Sie dürfte noch
       härter ausfallen und könnte etwa in einer (Teil-)Sperre des Camp Nou
       bestehen. Barças Argumentation, der Klub verhalte sich neutral und
       toleriere lediglich eine „freie Meinungsäußerung“, die zudem Ausdruck eines
       „populären Sentiments, nicht einer politischen Botschaft“ sei, wird dadurch
       nicht erleichtert, dass die Fahnenverteilung wohlwollend geduldet wurde –
       und die Präsidenten von drei der vier Unabhängigkeitsplattformen auf die
       Ehrentribüne des Camp Nou eingeladen waren.
       
       ## Das Referendum beeinflusst Barça
       
       Im erhitzten Klima der letzten Jahre hat sich der Klub in der katalanischen
       Sache zunehmend positioniert. Beziehungsweise: positionieren müssen. Für
       ein global operierendes Unternehmen, dessen wirtschaftsaffiner Präsident
       Josep Maria Bartomeu für das Jahr 2021 das Ziel von einer Milliarde Euro
       Umsatz ausgibt, empfiehlt sich eher, politisch nicht greifbar zu sein. Die
       zahlreichen Barça-Fans aus anderen Teilen Spaniens etwa finden die
       Unabhängigkeitsbestrebungen in der Regel so überflüssig wie einen neuen
       Torrekord von Real-Heros Cristiano Ronaldo.
       
       Auch manche Dauerkartenbesitzer stört die Politisierung des Camp Nou.
       Andererseits ist sie so neu ja nicht. Während der Franco-Diktatur war es
       ein Akt der Rebellion, im Stadion das offiziell verbotene Katalanisch zu
       sprechen; und Barça ist das „unbewaffnete Heer Kataloniens“, wie der
       Schriftsteller Manuel Vázquez Montalbán formulierte.
       
       Die Klubfunktionäre scheuen klare Äußerungen, aber manche Handlungen
       sprechen für sich. Vor der letzten Präsidentschaftswahl verpflichteten sich
       alle Kandidaten, den „Procés“ zu unterstützen, wie der Weg zur
       Selbstbestimmung – also mindestens einem bindenden Referendum – in
       Katalonien genannt wird. Bereits 2013 öffnete man das vereinseigene Stadion
       Camp Nou für ein „Konzert für die Freiheit“ sowie eine Menschenkette, die
       am Nationalfeiertag von Nord bis Süd die Unabhängigkeit einforderte.
       
       Und selbst der normalerweise eher diplomatische Bartomeu begründet die
       Gerichtsverfahren des Vereins, etwa um die Verpflichtung des Brasilianers
       Neymar, schon mal mit einer politischen Strafkampagne aus Madrid. „Barça
       beeinflusst nicht den Procés, aber der Procés beeinflusst Barça“: So hat es
       Bartomeu mal formuliert – und so könnte es sich erweisen, wenn es wirklich
       zur Unabhängigkeit kommen sollte.
       
       ## El Clásico in Gefahr
       
       Denn dann will Katalonien mit eigenen Nationalmannschaften antreten, mithin
       als eigener Verband der Fifa und Uefa beitreten, und ein solcher muss
       normalerweise auch seine eigene Liga spielen. Girona, Reus und Llagostera
       als Gegner statt Real Madrid, Atlético oder Valencia: Mit internationalen
       Stars, hohen Fernseheinnahmen und damit auch europäischer
       Konkurrenzfähigkeit wäre es dann schnell vorbei.
       
       Die Frage ist im Fußball- und Barça-verrückten Katalonien so bedeutend,
       dass sie als potenzieller Wahlkampftrumpf der Unabhängigkeitsgegner gilt.
       Schon bei den letzten Regionalwahlen wurden spanische Sportpolitiker nicht
       müde, zu betonen, es werde keine Ausnahmegenehmigung geben.
       
       In Katalonien mag man solchen Drohungen nicht recht glauben: Spanien würde
       damit ja auch viel verlieren, den Clásico etwa zwischen Barça und Real. Und
       ansonsten würde man sich eben der französischen Ligue 1 anschließen. Diese
       Vision kann allerdings getrost als Hirngespinst bezeichnet werden. Der oft
       bemühte AS Monaco taugt insofern nicht als Vorbild, als die Monegassen
       weder über eine eigene Liga noch über die Uefa-Mitgliedschaft verfügen.
       
       Derzeit akzeptieren die internationalen Verbände ein Gastrecht nur in
       historisch gewachsenen Konstellationen wie den walisischen Vereinen im
       englischen Championat oder denen aus Liechtenstein in der Schweiz.
       
       ## Der Klub hält sich zurück
       
       Bliebe nur ein Ausweg: das Projekt einer europäischen Superliga. Auch hier
       hält sich der Klub mit offiziellen Statements zurück, aber natürlich stößt
       die Idee nirgendwo sonst auf solche Sympathien. Geht es für andere Vereine
       wie etwa den FC Bayern vor allem um Geldvermehrung oder ein Gegengewicht
       zur englischen Premier League, könnte eine „NBA des Fußballs“ in Barcelona
       die Zukunftsfrage lösen. Alle Vorsicht wäre hinfällig, der Verein könnte
       mit all seiner Strahlkraft offensiv die katalanische Sache vertreten und
       trotzdem weiter große Titel gewinnen.
       
       Unter den aktuellen Bedingungen bleibt der Fußball jedoch eine Spielwiese
       der für die nächsten Jahre wohl entscheidenden Frage: Wie viele Opfer
       würden die Katalanen für eine eventuelle Unabhängigkeit wirklich bringen?
       Eigener Staat, aber spanische Liga – solchen Illusionen anzuhängen, das
       Beste beider Welten zu wollen, darf bisher als typisch für den
       katalanischen Sezessionismus gelten, der sich auch deshalb nie wirklich
       radikalisiert.
       
       Am Nationalfeiertag, dem 11. September, ziehen die Leute zu
       Hunderttausenden mit ihren Fahnen auf die Straße, aber nach ein paar
       Stunden sitzen sie längst in der Bar, und spätestens um Mitternacht sind
       sie zu Hause. So wie auch im Camp Nou ritualisiert die Unabhängigkeit
       gefordert wird, um sich wenige Sekunden später und mit noch mehr Verve dann
       doch wieder über den Schiedsrichter aufzuregen.
       
       9 Oct 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Florian Haupt
       
       ## TAGS
       
   DIR Spanien
   DIR Profi-Fußball
   DIR Katalonien
   DIR Separatismus
   DIR Fußball
   DIR Spanien
   DIR Champions League
   DIR Unabhängigkeit
   DIR Spanien
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kampf um Unabhängigkeit in Katalonien: Neues Kapitel in der Politfarce
       
       Hohe katalanische Expolitiker stehen vor Gericht. Sie hatten ein Referendum
       über die Unabhängigkeit der Region durchgeführt.
       
   DIR 1. Spieltag Champions League: Lockerer Auftakt für Bayern und Barca
       
       Bayern München gewinnt mit 5:0, Barcelona siegt mit 7:0, Arsenal spielt
       Remis. Und Borussia Mönchengladbach muss sich gedulden.
       
   DIR Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien: Genau auf den Punkt gebracht
       
       Die Katalanen haben einen klaren Fahrplan für die Unabhängigkeit. Am
       Nationalfeiertag haben sie zu Hunderttausenden demonstriert.
       
   DIR Katalanische Unabhängigkeit: Beschluss für illegal erklärt
       
       Ein Dämpfer für Katalonien: Ein Gericht erteilt Abspaltungsbestrebungen
       eine Absage. Es hebt eine entsprechende Resolution auf.