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       # taz.de -- Medienprojekte und Gemeinnützigkeit: Im Dienste der Gesellschaft?
       
       > Die Non-Profit-Medienmacher in Deutschland haben ein Problem:
       > Journalismus wird von den Behörden nicht als gemeinnützig anerkannt.
       
   IMG Bild: Jahrestagung der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche – links: Moritz Tschermak (Archivbild von 2015)
       
       Vor ein paar Wochen stand Moritz Tschermak wieder vor einer Schulklasse.
       Der Journalist, der auf den Webseiten [1][„Bildblog“] und [2][„Topf voll
       Gold“] die Verfehlungen seiner Branche aufdeckt, zeigte den SchülerInnen
       mit dem [3][„Schlagzeil-O-Mat“], der automatisch reißerische Überschriften
       ausspuckt, wie Boulevardjournalismus funktioniert. Außerdem rief er dazu
       auf, in sozialen Netzwerken zurückhaltend zu sein – immerhin stöberten
       darin Journalisten, um ihren Hunger nach Opferfotos zu stillen.
       
       „Dieser Vortrag war wie immer spannend“, sagt Tschermak. „Aber wenn ich
       auch die Vorbereitung mit einrechne, dann geht dafür einfach zu viel Zeit
       drauf, die mir für das Wesentliche fehlt: den Journalismus.“
       
       Vor gut einem Jahr schlagzeilte „Topf voll Gold“ noch „In eigener Sache:
       Der Topf ist jetzt gemeinnützig“. Wer Medienkritik finanzieren wollte,
       konnte seine Investition von der Steuer absetzen. Aber: Als gemeinnützig
       anerkannt wurden nur die Bildungsangebote, die Tschermak und Konsorten
       entwickelt hatten – aber eben nicht jene Berichterstattung, für die
       Tschermak gern mehr Zeit hätte. Denn Journalismus an sich dürfen die
       Finanzbehörden nicht als gemeinnützig anerkennen.
       
       Dieser anhaltende Zustand dürfte die Euphorie bremsen, wenn sich am 28.
       Oktober die Anhänger der noch jungen Bewegung auf dem [4][„Tag des
       Non-Profit-Journalismus“] in Berlin treffen. Thomas Schnedler hat die
       Fachkonferenz organisiert. Er ist Referent für das Thema beim [5][Netzwerk
       Recherche] – gefördert von der GLS Treuhand, einem Unternehmensteil der GLS
       Bank. Schnedler verweist auf erfolgreiche Projekte wie das gemeinnützige
       Recherchezentrum [6][Correctiv], das die Brost-Stiftung mit mehreren
       Millionen Euro angeschoben hat und das inzwischen im Zusammenspiel mit
       kleinen wie großen Medien berichtet sowie Bürgern in
       Informationsfreiheitsseminaren hilft, die Aktenschränke deutscher Behörden
       zu öffnen.
       
       ## Das kommt
       
       Das Netzwerk Recherche wird zudem – gefördert von der Schöpflin-Stiftung –
       schon bald mehreren Projekten Starthilfe geben, die „einen
       Recherche-Schwerpunkt haben und die Gemeinnützigkeit anstreben“. Für diese
       Stipendien seien „tolle Bewerbungen eingegangen, die uns die Auswahl schwer
       machen“, sagt Schnedler und zeichnet – wenn auch verhalten – ein
       optimistisches Bild: „In dem Bereich ist mehr Dynamik drin als noch vor
       zwei Jahren.“
       
       Doch nicht nur bei „Topf voll Gold“, sondern auch anderswo funktioniert der
       Non-Profit-Journalismus nicht so wie gedacht. „Ernüchtert“ sind Wolfgang
       Messner und Thomas Schuler, die im vergangenen Jahr [7][ProRecherche]
       gegründet haben. Die Idee dahinter: Exzellente JournalistInnen wie die
       Autorin Julia Friedrichs und der einstige Chefredakteur von Spiegel und
       Süddeutscher Zeitung, Hans Werner Kilz, helfen KollegInnen über einen
       langen Zeitraum dabei, Missstände offenzulegen und so den Staat sauber zu
       halten.
       
       Schuler und Messner sind selbst herausragende Journalisten. Der eine
       seziert seit Jahren das Medienimperium von Bertelsmann, der andere hat
       Skandale im Südwesten der Republik aufgedeckt. Mit Geld etwa der
       Rudolf-Augstein-, der Otto-Brenner- und der August-Schwingenstein-Stiftung
       haben sie auch erste Lehrredaktionen gegründet. Andere Stiftungen hätten
       allerdings abgewunken oder gar nicht erst auf Anfragen reagiert. Immer
       wieder seien Rechercheprojekte zudem gar nicht mit dem Stiftungszweck
       vereinbar – und das alles, obwohl Stiftungsvertreter sich in Sonntagsreden
       gerne für den Journalismus einsetzten und das Thema besetzten.
       
       Das Problem: Wenn denn Geld von Stiftungen floss, mussten Messner und
       Schuler das eins zu eins – da zweckgebunden – in ihre Lehrredaktionen
       stecken. Der ganze Aufbau drumherum, die Errichtung von ProRecherche, sei
       damit „im Grunde ein unbezahltes Hobby“, das überdies „vor allem Kosten
       verursacht“ habe, etwa für den Internetauftritt und den Notar. „Wir haben
       ProRecherche deshalb nie so aufbauen können, wie wir uns das gewünscht
       hätten.“ Da sind sich beide einig.
       
       All diese Schwierigkeiten beobachtet auch Marcus von Jordan. Dabei ist er
       selbst einer, der es erst mal gut getroffen hat: Seine Autorenplattform
       [8][Torial] wird von der August-Schwingenstein-Stiftung gefördert, bei der
       – ähnlich wie bei Brost und Augstein – das Kapital letztlich vor allem von
       einstigen Medienmachern stammt, hier einem der Mitgründer der Süddeutschen
       Zeitung. Die Szene fördert sich so vor allem selbst.
       
       ## Nichts Nachhaltiges
       
       Allerdings bezeichnet Jordan die Förderpolitik vieler journalistischer
       Projekte offen als „kontraproduktiv“. Namhafte Geldgeber förderten gezielt
       „Prestigeträchtiges, das aber mit viel zu kleinen Summen“. Das bringe zwar
       junge Leute dazu, unter „teils brutaler Selbstausbeutung“ ein paar Monate
       hart zu arbeiten, schaffe aber nichts Nachhaltiges – von wenigen Projekten
       wie Correctiv, [9][Finanztip] und seinem Torial abgesehen.
       
       Außerdem behagt es Jordan kaum, dass man, um für Journalismus die
       Gemeinnützigkeit zu beantragen und zu erlangen, Umwege über den
       Verbraucherschutz oder Bildungsangebote beschreiten muss. Auch wenn er
       selbst diesen Weg gegangen ist. Aber: „Es weiß doch niemand, ob nicht in
       zwei Jahren ein Münchner Finanzbeamter der Meinung ist, ich hätte doch zu
       viel Geld für Torial ausgegeben statt für unsere Akademie. Projekte
       brauchen Rechtssicherheit, vor allem bei der steuerlichen Einordnung.“
       
       Jordan fehlt das Lobbying für eine Gesetzesänderung: Er will, dass das
       Kerngeschäft des Journalismus – das Recherchieren und Veröffentlichen –
       selbst als gemeinnützig anerkannt werden kann. Non-Profit-Referent Thomas
       Schnedler sagt dazu, das Netzwerk Recherche habe sich „nie als große
       politische Lobbyorganisation verstanden“. Er glaube auch nicht, dass man
       Politiker mit dem Thema „nerven“ müsse. Dass sein „Tag des
       Non-Profit-Journalismus“ in der Hamburger Landesvertretung zu Gast sei,
       zeige doch, dass das Thema „im politischen Kosmos auf Interesse“ stoße.
       
       ## Das war’s
       
       Jordan reicht das allerdings nicht. Er mahnt: „Auf Lobbyseite ist das
       totales Stückwerk.“ Für gemeinnützigen Journalismus werde „nicht laut genug
       geschrien“. Den richtigen Weg kenne er zwar nicht, doch am Abend der
       Fachkonferenz will er mit Gleichgesinnten eine Konferenz für April 2017
       planen – für nachhaltige „Biomedien“, wie er das lieber nennt, und
       alternative Finanzierungswege.
       
       ProRecherche will unterdessen versuchen, durchzuhalten – wenn auch auf
       niedrigem Niveau, denn die Macher müssen selbst Geld verdienen.
       
       „Topf voll Gold“-Blogger Tschermak wiederum wird demnächst ein zweites Mal
       zum Notar gehen und die Gemeinnützigkeit abwickeln. Er selbst kümmert sich
       ohnehin zunehmend um „Bildblog“. „Topf voll Gold“ hat zudem gerade als Teil
       des abofinanzierten Portals [10][„Übermedien“] eine neue Heimat gefunden.
       Für Tschermak ist das Kapitel „Gemeinnützigkeit“ heute nicht viel mehr als
       ein „lehrreiches Experiment“.
       
       16 Oct 2016
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.bildblog.de/
   DIR [2] http://www.topfvollgold.de/
   DIR [3] http://www.bildblog.de/schlagzeilomat.html
   DIR [4] https://tnpj16.sched.org/
   DIR [5] https://netzwerkrecherche.org/
   DIR [6] https://correctiv.org/
   DIR [7] http://www.prorecherche-lehrredaktion.org/
   DIR [8] https://www.torial.com
   DIR [9] http://www.finanztip.de/
   DIR [10] http://uebermedien.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Bouhs
       
       ## TAGS
       
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