URI: 
       # taz.de -- Debatte Studiengebühren: Keine Untoten wecken!
       
       > Studiengebühren galten als erledigt. Viele Unis wollen sie nun aber
       > wiederbeleben – weil Bund und Länder falsche Akzente setzen.
       
   IMG Bild: Studierende aus Nicht-EU-Staaten sollen demnächst Studiengebühren bezahlen
       
       Der Grünen-Vorstoß aus Baden-Württemberg erinnert an die Dobrindt-Maut:
       Nicht-EU-Ausländer, das könnte die grün-schwarze Landesregierung kommende
       Woche beschließen, müssen künftig 1.500 Euro Semestergebühren zahlen. So
       wie Autofahrer mit nichtdeutscher Kennung plötzlich die Sanierungskosten
       für heimische Autobahnen tragen sollten, sollen jetzt nichtdeutsche
       Studierende die selbst auferlegten Sparvorgaben im Südwesten ausbaden.
       
       48 Millionen muss das Wissenschaftsministerium 2017 mehr einnehmen.
       Misslingt das, kriegen die Unis weniger Geld für aktuelle Forschungs- oder
       Kunstprojekte überwiesen.
       
       Kein Wunder, dass die „Campus-Maut“ unter diesen Vorzeichen bei den
       Rektorinnen und Rektoren auf Zustimmung stößt. Besser Chinesen oder Amis
       zahlen lassen, als weniger Geld für die eigene – heute so wichtige –
       Profilbildung ausgeben zu können. Zumal die Studierendenzahlen steigen und
       steigen.
       
       Die „Gebühren für einige wenige“-Überlegung ist nachvollziehbar, aber
       grundfalsch. Und zwar nicht nur aus Gründen der Ungleichbehandlung – denn
       warum sollte eine Chilenin für einen Ingenieurs-Master Tausende Euro
       blechen und ein Franzose nicht? Oder weil man damit junge Menschen
       möglicherweise abschreckt, fürs Studium nach Deutschland zu kommen.
       
       ## Zweiter Anlauf
       
       Der Vorstoß aus Stuttgart ist auch deshalb grundfalsch, weil er eine
       Selbstverständlichkeit infrage stellt – und verheerend für die
       Chancengleichheit im Land sein könnte. Der Staat investiert aus
       Steuereinnahmen ausreichend in die öffentliche Bildung. Idealerweise. Wer
       Studiengebühren als notwendige Kofinanzierung betrachtet, entlässt den
       Staat aus dieser Pflicht. Doch genau das Szenario zeichnet sich derzeit ab.
       
       Die Befürworter der Studiengebühren jedenfalls freuen sich, dass die
       baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (ausgerechnet
       eine Grüne!) mit ihrem Vorstoß der totgeglaubten Debatte neues Leben
       einhaucht. Zehn Jahre nachdem sieben Bundesländer allgemeine
       Studiengebühren eingeführt – und zwei Jahre nachdem das letzte Bundesland
       (Niedersachsen) sie wieder abgeschafft hat – hört man nun: Die Zeit ist
       reif für einen zweiten Anlauf.
       
       Die Modelle dafür liegen schon längst in der Schublade. Politiker,
       Wissenschaftler und selbst Bildungsjournalisten verkaufen sie nun mutig als
       „sozialverträglich“. Denn nicht Studiengebühren an sich seien das Problem
       gewesen, sondern nur, wie sie gestaltet waren. Derart äußerten sich in
       diesem Jahr Wissenschaftsschwergewichte wie der Präsident der
       Hochschulrektorenkonferenz, Horst Hippler, Exwissenschaftsratschef Wolfgang
       Marquardt oder Exwissenschaftssenator von Berlin, Jürgen Zöllner (SPD). Und
       auch Wirtschaftsverbände, Unionspolitiker und Uni-Rektoren sprechen sich
       wieder offen für allgemeine Studiengebühren aus.
       
       ## Nachgelagerte Finanzierung
       
       Ihr Lieblingsmodell: die sogenannte nachgelagerte Finanzierung, die in
       Australien seit bald 30 Jahren funktioniert. Studierende häufen während des
       Studiums Schulden an und müssen sie zu erst dann zurückzahlen, wenn sie ein
       bestimmtes Jahresgehalt erreichen. Die Regierung streckt das Geld vor, so
       sind die Unis flüssig – und die Studis zunächst sorgenfrei. Fair an dem
       Modell soll auch sein, dass das Studium je nach späterer Gehaltserwartung
       unterschiedlich teuer ist. Medizinstudenten zahlen mehr als Informatiker.
       Informatiker mehr als Historiker. Alright!
       
       Nur: Kann sich jemand ernsthaft vorstellen, dass dieses Modell in
       Deutschland zu mehr Chancengleichheit führt? Wo bleibt das Ziel, mehr
       Studierende aus einkommensschwachen oder Nichtakademiker-Familien an die
       Hochschule zu bringen? Geschweige denn, sie zum (dann besonders teuren)
       Medizin- oder Jurastudium zu bewegen? Als ob die Hürden in unserem
       Bildungssystem für sie nicht schon hoch genug wären! Studiengebühren, auch
       australisch inspirierte, hätten verheerende Folgen für die
       Bildungsgerechtigkeit.
       
       Eine Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und
       Wissenschaftsforschung (DZHW) belegt anhand der bisherigen Erfahrungen,
       dass vor allem Frauen und Nichtakademiker-Kinder bei Gebühren auf das
       Studium verzichten. Und von einer aktuellen Langzeitstudie aus Berlin
       wissen wir, dass Abiturienten aus bildungsfernen Elternhäuser selbst ohne
       Studiengebühren stärker vor einen Studium zurückschrecken als
       Akademikerkinder.
       
       Ein häufig genannter Grund dafür: Angst, sich das Studium nicht leisten zu
       können; Unsicherheit, ob sich die Investition später auszahlt. Wer solche
       Bedenken hat, will sicher nicht verschuldet ins Berufsleben starten. Den
       wird man noch schwerer überzeugen können, es doch zu wagen. Deshalb: Weckt
       keine Untoten!
       
       ## Unterfinanzierung
       
       Doch schon heute sind Studiengebühren wieder eine süße Einnahmequelle: In
       Rheinland-Pfalz, dem Saarland oder Sachsen-Anhalt zahlt man für ein
       Zweitstudium. Auch Baden-Württemberg will dafür künftig 650 Euro pro
       Semester verlangen. In mehreren Bundesländern werden auch
       Langzeitstudenten, Berufstätige und Senioren zur Kasse gebeten.
       
       Gebühren für alle lehnen viele Hochschulen und BildungspolitikerInnen – vor
       allem von der SPD und den Bundes-Grünen – ab. Die Frage ist, wie lange
       noch. Denn schon jetzt zeigt sich die Schattenseite der notorischen
       Unterfinanzierung. Weil die Grundfinanzierung durch die Länder nicht im
       gleichen Maße wie die Hochschulausgaben steigt, hängen Hochschulen immer
       stärker von Drittmitteln ab. Die bringen aber Probleme mit sich: befristete
       Arbeitsverträge, potenzielle Einflussnahme privater Geldgeber.
       
       Wenn sich eine Ministerin wie Theresia Bauer nicht gegen Sparzwänge in der
       Bildung wehren kann oder will – wie soll das erst in vier Jahren werden,
       wenn die Schuldenbremse gilt? Der Bund ist den Ländern schon zur Hilfe
       gesprungen. Er übernimmt seit vergangenem Jahr die Bafög-Kosten und schießt
       wegen der steigenden Studienzahlen jährlich rund 2 Milliarden Euro zu –
       allerdings ohne vorzuschreiben, wofür. 2020 läuft der „Hochschulpakt“ aus.
       Spätestens dann müssen die Länder selbst mehr Geld zur Verfügung stellen,
       um die Untoten, die sie gerade wecken, wieder zu begraben.
       
       18 Oct 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Pauli
       
       ## TAGS
       
   DIR Hochschule
   DIR Studiengebühren
   DIR Theresia Bauer
   DIR Hochschulpakt
   DIR Studiengebühren
   DIR Schwerpunkt taz Leipzig
   DIR Bafög
   DIR Studium
   DIR Hochschule
   DIR Schwerpunkt taz Leipzig
   DIR Südafrika
   DIR Studium
   DIR Baden-Württemberg
   DIR Hochschule
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Studiengebühren für Nicht-EU-Bürger: Doch keine Campus-Maut in NRW
       
       1.500 Euro sollten Studierende ohne EU-Pass an nordrhein-westfälischen
       Hochschulen zahlen. Doch nun sind die Pläne von Schwarz-Gelb vom Tisch.
       
   DIR Langzeitstudiengebühren in Leipzig: Der Preis fürs lange Lernen
       
       Wer zu lange studiert, muss jetzt an der Universität Leipzig zusätzlich
       zahlen. Auch wenn die Uni gar keine Gebühren wollte.
       
   DIR Bafög-Bericht des Bildungsministeriums: Bummeln mit Bedacht
       
       Die Bundesregierung verschiebt ihren Bafög-Bericht. Aus gutem Grund: Der
       Anteil der Bezieher sank, wie ein alternativer Bericht zeigt.
       
   DIR Studiengebühren in den USA: New York macht Bildung kostenlos
       
       Wer in den USA zur Uni geht, zahlt viel. Der New Yorker Gouverneur Andrew
       Cuomo hat nun ein Stipendium für Familien aus der Mittel- und Unterschicht
       vorgestellt.
       
   DIR Studentin über Audimax-Besetzung: „Wir beharren auf Maximalforderung“
       
       An der Uni Freiburg wird gegen das Abkassieren von Nicht-EU-Studierenden
       protestiert. Marisa Zimmer fürchtet die Wiederkehr von Studiengebühren für
       alle.
       
   DIR Abzocke in Leipzig: Leere Versprechen, volle Bezahlung
       
       Die Panda GmbH lockt chinesische Studierende an die Uni Leipzig. Im
       vermeintlichen akademischen Paradies winken aber häufig nur hohe Kosten.
       
   DIR Studentenprotest in Südafrika: Straßenschlacht statt Seminar
       
       Unruhen an den Universitäten weiten sich aus. Die Regierung will die
       Studiengebühren erhöhen. Studenten fordern ihre Abschaffung.
       
   DIR Studie zum Alltag von Studierenden: Die Mär vom lustigen Leben
       
       Lange schlafen und Party machen? Von wegen. Volle Hörsäle, wenig Geld zum
       Leben, hohe Miete, Stress – auch das gehört zum Studium 2016.
       
   DIR Grüne Ministerin in Baden-Württemberg: Ausländische Studenten sollen zahlen
       
       Studierende aus Nicht-EU-Ländern sollen künftig 1.500 Euro Studiengebühr
       bezahlen – denn das Land muss sparen. An der Forderung gibt es Kritik.
       
   DIR Universitätsstadt Kleve: Spitzenbildung aus der Keksstadt
       
       Die Hochschule in Kleve sollte das Grenzgebiet in NRW päppeln. Inzwischen
       kommt ein Viertel der Studenten aus der weiten Welt in die Kleinstadt.