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       # taz.de -- Autor Joshua Cohen über die US-Wahl: „Donald Trump hat keine Chance“
       
       > Die Republikaner sind gescheitert, sagt Joshua Cohen. Warum der
       > Schriftsteller aus dem Niedergang der großen Parteien Optimismus zieht.
       
   IMG Bild: „Man sagt den Leuten, dass das Leben ein Glücksspiel ist“: Abbau des Trump-Casinos, Atlantic City 2014
       
       taz: Mr Cohen, „Solo für Schneidermann“ ist ein Roman über einen
       amerikanisch-jüdischen Musiker und vielstimmig geschrieben wie eine
       Partitur. Ist es für Sie ein Problem, den amerikanisch-jüdischen Musiker
       Bob Dylan einen Dichter zu nennen? 
       
       Joshua Cohen: Diese Debatte ist das Schlachtfeld meiner Eltern, nicht
       meins. Die Entscheidung des schwedischen Komitees ist eine selbstverliebte
       Rechtfertigung der Babyboomer-Generation und ihrer Gegenkultur.
       
       Dass die Entscheidung für Dylan eine politische war, um den Demokraten
       Wahlkampfhilfe zu leisten, sehen Sie nicht? 
       
       Wäre die Entscheidung der Jury als Beleidigung intendiert, würde ich das
       sehr begrüßen. Wenn das Komitee damit hätte sagen wollen, dass es einfach
       keine große amerikanische Literatur gibt, sondern nur große amerikanische
       Lieder, wäre das eine schöne Provokation gewesen. Die Entscheidung wurde
       aus Nostalgie getroffen. Aber gut. Mein Rat dazu: Lass den Eltern ihre
       Sentimentalität. Dann werden sie dir eines Tages vielleicht ihr Geld
       überlassen.
       
       Was passiert, wenn die Amerikaner Donald Trump das Steuer überlassen? 
       
       Er hat keine Chance. Und wenn doch, dann wird das mit riesigen Datenhacks
       verhindert werden, und das wird vermutlich zu einem großen Krieg führen.
       
       Manche behaupten, es könnte schlimmer kommen, wenn er nicht gewinnt. 
       
       Auch das ist Blödsinn. Die Republikaner sind einfach gescheitert. Es
       sollten mehr Parteien scheitern. Aus den Republikanern wird sich vermutlich
       eine neue rechte Partei entwickeln, aber es wird auch eine neue linke
       Partei entstehen, die die Agenda der Anhänger von Bernie Sanders
       repräsentiert. Aus der Selbstzerstörung der Parteien ziehe ich großen
       Optimismus.
       
       Ihr Romandebüt besteht aus einer 15-stündigen Abschiedsrede eines alten
       Geigers, der den Untergang der amerikanisch-jüdischen säkularen Kultur
       beklagt. Das scheint mit Donald Trumps Motto „Make America Great Again“ zu
       korrespondieren. Hat der Aufstieg Trumps etwas mit der Diagnose vom
       Untergang des alten Amerika zu tun? 
       
       Klingt lustig, ist aber nicht so. Es ist das Privileg eines
       Schriftstellers, seine persönliche Krise als allgemeine Krise zu verkaufen
       und sein eigenes Scheitern auf eine ganze Gesellschaft zu übertragen. Der
       Roman hat vor allem mit mir zu tun. Ich habe Musik studiert, gemacht und
       komponiert, aber mit 20 befand ich mich in einer Sackgasse und habe alles
       beendet. Ich wurde dann von 2000 bis 2007 Korrespondent der jüdischen
       Zeitung Forward in Berlin. In dieser Zeit traf ich Überlebende des
       Holocaust in den ehemals sozialistischen Ländern und erfuhr, was es heißt,
       in sehr hohem Alter zum ersten Mal das Gefühl von Freiheit zu erfahren.
       
       Trumps Erfolg spielt aber doch mit dem Gefühl, die bisherige Regierung habe
       das Land in eine Sackgasse manövriert. 
       
       Das stimmt. Ein großer Teil des weißen Amerika steckt in einer
       Identitätskrise. Das, was das Weißsein einst definierte, Nachfahren
       irischer Katholiken, katholischer Italiener oder polnischer Juden zu sein,
       schwindet. Die meisten haben ihre eingewanderten Vorfahren niemals
       kennengelernt und deren kulturelles Erbe spielt für das eigene Leben kaum
       noch eine Rolle. Die Bindestrichidentität aufrechtzuerhalten wird immer
       schwieriger. Man kann sich nicht mehr über Herkunft als etwas Besonderes
       definieren. Die derzeit grassierende Wut und der Rassismus ist auch ein
       Ergebnis dieser Identitätskrise.
       
       Sie haben kürzlich den Essay „[1][The Last Last Summer]“ im Diskursmagazin
       n+1 veröffentlicht. Ein Text über die Casinostadt Atlantic City, wo sie
       aufgewachsen sind und in der auch Donald Trump groß werden wollte, aber mit
       seinen megalomanen Projekten pleiteging und von der Stadt heute für deren
       Insolvenz verantwortlich gemacht wird. Wie konnte aus dem Mann der
       Casino-Ruinen von Atlantic City der politische Heilsbringer der Vereinigten
       Staaten erwachsen? 
       
       Die räuberische Form der Casino-Herrschaft besteht darin, grundlegendste
       Instinkte und lächerlichste Hoffnungen zu missbrauchen, die tief in der
       Philosophie des amerikanischen Exzeptionalismus verankert sind. Diese
       Theorie ist davon überzeugt, dass sich die USA von allen anderen
       Industrienationen aufgrund der Einwanderungsgeschichte unterscheidet. Statt
       Gesundheitsfürsorge und soziale Leistungen bereitzustellen, erzählt man den
       Leuten hier, dass sie ganz allein verantwortlich dafür sind, was aus ihnen
       wird und dass das Leben ein Glücksspiel ist. Und dass jeder nur ein
       richtiges Los vom großen Plüschtiger entfernt ist und nur einen richtigen
       Knopfdruck am Spielautomaten vom Millionen-Jackpot. Trumps komplette
       Geschäftsphilosophie entspricht der schwarzen Dialektik des amerikanischen
       Aberglaubens: Jeder kann ein Gewinner sein. Und wer keiner ist, ist ein
       Verlierer.
       
       In Ihrem Essay behaupten Sie, in Herman Melvilles „The Confidence-Man“ oder
       in Edgar Allan Poes Figur des „diddlers“ (Betrügers) gelesen zu haben, was
       sie schon als Kind in Atlantic City als Lektion für 2 Dollar gelernt
       hätten: dass sie nie den Plüschtiger gewinnen werden. 
       
       Die Figur des Hochstaplers, der Confidence-Man, ist in der amerikanischen
       Literatur sehr populär. In Europa, wo ihn Thomas Mann mit seinem Felix
       Krull am besten beschrieben hat, gilt er als hübscher, junger Gigolo, der
       an der italienischen und französischen Riviera alten, reichen Damen das
       Geld aus der Tasche zieht. In den USA steht diese Figur im politischen
       Kontext. In den leeren Weiten des Wilden Westens konnte sich jeder, ganz
       auf sich selbst gestellt und ohne jede Obrigkeit, neu erfinden, der vor
       seinem alten Leben davonrennen wollte. Die berühmten Frontiers, die
       Landesgrenzen im Binnenamerika, sind also psychologische Grenzen, die
       überwunden wurden. Diese Symbiose von geografischer und psychologischer
       Grenze hat den Charakter des Betrügers hervorgebracht. Ein Charakter, der
       von Siedlung zu Siedlung an den Rändern der Grenze entlangzieht und Leuten
       Land verkauft, von dem er behauptet, dass sich Gold oder Öl darauf
       befindet, wo es aber gar keins gibt.
       
       Wie konnte dieser Charakter so aufblühen? 
       
       Dieser Charakter schlägt aus der Neuheit Amerikas seinen Vorteil und aus
       dem Mangel an Verbindlichkeit und Regeln in der Grenzkultur mit ihren
       Siedlungen und Einwanderern. Das Einzige, was die Menschen mit ihrer
       unterschiedlicher Herkunft in diesem riesigen Land zusammenbrachte, war der
       Handel. Und der Confidence-Man war die Figur, die mit allen ethnischen
       Gruppen interagierte, mit jeder Gesellschaftsschicht, um Geschäfte mit
       ihnen zu machen, sprich: sie zu bestehlen. Donald Trump steht eindeutig in
       dieser Tradition.
       
       Ist Sanders deswegen chancenlos, weil er diese räuberische Ökonomie
       thematisierte? 
       
       Nein. Er hatte ja unter jungen Wählern Erfolg. Er hat es nicht geschafft,
       weil er ein Ein-Punkt-Kandidat blieb, der nur über ökonomische Dinge
       sprach. Junge Menschen unterstützten Sanders, weil es einen
       Generationenkrieg gibt. Hier konspirieren die Kinder mit den Großeltern, um
       die Eltern zu töten.
       
       Apropos Generationenkrieg: Kann man das auch daran ablesen, wer HBO guckt
       und wer FOX TV? 
       
       Nein. Linke gucken die Sender der Rechten und andersherum, nur um sich zu
       empören. Die Briten haben dafür diesen schönen Begriff erfunden:
       Hatewatching.
       
       Das Fernsehen, die Medien haben also keinen Einfluss auf politische
       Konjunkturen? 
       
       Ich glaube nicht. In erster Linie muss man die Parteien dafür
       verantwortlich machen, dass sie keine anständigen Kandidaten hervorbringen.
       
       Wie in Europa. 
       
       Klar. Wer will noch Politiker sein in einer Zeit, in der alles öffentlich
       wird, wo alles aufgezeichnet und geleakt wird?
       
       Das Internet schafft den Politiker ab? 
       
       Vielleicht. Auf jeden Fall schafft das Internet ein enormes schwarzes Loch,
       in das täglich Millionen Wörter fließen, und es ist damit ein
       selbstzerstörerisches Prinzip. Immer mehr Raum schafft immer mehr Hunger.
       Also entsteht im Kampf um Aufmerksamkeit immer mehr. Immer mehr Blödsinn.
       Um wirklich richtig große Ideen entstehen zu lassen, muss man aber den
       Kanal enger machen.
       
       Stimmt es, dass sie an einer Serie für HBO arbeiten, die auf Musils „Mann
       ohne Eigenschaften“ basiert? 
       
       Klar, ich schreibe auch eine autorisierte Biografie über Karl Ove
       Knausgård. Ernsthaft: Wenn HBO so etwas jemals sendet, dann wird dieses
       Land ein komplett anderes sein.
       
       17 Oct 2016
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Doris Akrap
       
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