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       # taz.de -- Fürsorge soll attraktiver werden: Seit' an Seit‘ für die Pflege
       
       > In einer gemeinsamen Erklärung beteuern Sozialsenatorin Stahmann,
       > Vertreter der Krankenkassen und der Wohlfahrtsverbände, wie wichtig ihnen
       > Pflege ist
       
   IMG Bild: Angemessene Bezahlung würde die Suche nach Pflegekräften deutlich erleichtern
       
       Nur neun Zeilen Inhalt bleiben übrig, wenn man die Aufzählung der
       Unterzeichnenden abzieht: Die gestern in der Oberen Rathaushalle feierlich
       unterzeichnete „Bremer Erklärung für ein angemessenes Einkommen in der
       Pflege“ soll wegweisend für die weiteren Verhandlungen um einen
       Tarifvertrag in der Pflegebranche sein. Um den Fachkräftebedarf in der
       Altenpflege zu decken, so heißt es in der Erklärung, seien vielfältige
       Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität des Berufes erforderlich. Und
       dazu gehört eine angemessene Bezahlung nach Tarifvertrag. „Das
       Zusammenschrauben eines Autos wird in Deutschland besser entlohnt als der
       Dienst am Menschen“, sagte Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) im
       Anschluss an die Unterzeichnung.
       
       Die von ihr, dem Vorstandssprecher der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien
       Wohlfahrtspflege, Arnold Knigge, und Vertretern von Kranken- und
       Pflegekassen unterschriebene Erklärung soll vor allem eines sein: Ein
       „Impuls, die Bezahlung von Beschäftigten in der Altenpflege nach
       Tarifverträgen auszuweiten“, wie es in dem Papier heißt.
       
       Die Verhandlungen mit Ver.di sollen ab kommenden Freitag fortgesetzt
       werden. Die Frage ist, ob dieser „Impuls“ auch bei den Arbeitgebern in den
       Tarifverhandlungen verfängt. Ver.di-Gewerkschaftssekretärin Kerstin
       Bringmann ist zuversichtlich: „Das hilft uns auf jeden Fall und schafft in
       den Verhandlungen ein paar Steine aus dem Weg.“ In Niedersachsen sei eine
       ähnliche Erklärung von der Sozialministerin unterzeichnet worden, und dort
       gebe es nun einen Tarifvertrag. Die größte Hürde ist jedoch nicht der
       Tarifvertrag selbst, sondern dessen Allgemeinverbindlichkeit. Nur wenn der
       Tarifvertrag auch allgemeinverbindlich ist und alle Pflegeanbieter sich
       daran halten müssen, können Dumpinglöhne, etwa durch private Anbieter, auch
       wirksam vermieden werden.
       
       Ver.di fordert außer einem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag auch mehr
       Personal: „Die Gesellschaft wird immer älter, und wenn der Beruf nicht
       attraktiv ist, müssen wir uns im Alter alle selbst versorgen“, sagt Kerstin
       Bringmann. Das sieht auch Reinhard Leopold von der Bremer „Heim-Mitwirkung“
       so: „Befristete Arbeitsverträge, Teilzeitbeschäftigung, höchste physische
       und psychische Arbeitsbelastungen, Niedriglöhne – das sind die wesentlichen
       Faktoren, weshalb wir den Pflege-Notstand mit zu wenig Fachkräften in der
       Pflege haben.“ Mehr Geld sei sicher „ganz nett“, aber die Pflegekräfte
       bräuchten vor allem mehr Kollegen, so seine Einschätzung.
       
       Seiner Meinung nach ist die nun unterzeichnete „Gemeinsame Erklärung“
       nichts weiter als leeres Gerede: „Es bedarf nicht immer neuer
       Absichtserklärungen und teurer Imagekampagnen, denen dann letztlich doch
       keine wirklichen Verbesserungen der Arbeitsbedingungen folgen“, sagte er
       der taz. Die Verhandlungen seien bislang an den Arbeitgebern gescheitert,
       und nach Leopolds Einschätzung dürfte sich daran auch in den nächsten
       Verhandlungsrunden nicht viel ändern: „Es sieht nicht so aus, als wenn sich
       die Arbeitgeber bewegen würden.“ Viele Träger seien finanziell klamm, wie
       etwa die Diakonie. Das zeige auch die Diskussion um den sogenannten
       „Dritten Weg“ der Kirchen, der vor einigen Wochen in Bremen in einem
       offenen Brief der Beschäftigten heftig kritisiert wurde.
       
       Auch Arnold Knigge von der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien
       Wohlfahrtspflege Bremen machte nach der Unterzeichnung im Rathaus deutlich,
       woran es hapert: „Die Träger müssen höhere Löhne auch bezahlen können.
       Ver.di fordert als Gewerkschaft natürlich immer ein bisschen mehr, aber das
       ist die Kunst, der wir uns jetzt stellen müssen.“
       
       17 Oct 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Karolina Meyer-Schilf
       
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