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       # taz.de -- Die Tischtennis-EM in Budapest: Ein Turnier schafft sich ab
       
       > Dienstag beginnt die Europameisterschaft. Timo Boll und Dimitrij
       > Ovtcharov sind dabei, obwohl ihnen der Bundestrainer davon abgeraten hat.
       
   IMG Bild: Da gab es noch was zu feiern: Jörg Roßkopf (r.) freut sich mit Timo Boll (M.) und Bastian Steger über olympisches Team-Bronze in Rio
       
       Berlin taz | Jörg Roßkopf galt zeit seiner Karriere als Profi, der das
       Trainieren liebte. Anders als andere Größen seiner Generation war der Hesse
       weniger für seine weiche Hand als für sein eisenhartes Training bekannt.
       Roßkopf brannte, sobald er einen Fuß in die Tischtennishalle setzte.
       Roßkopf spielte nicht Tischtennis, er lebte es. Und er erfuhr auch, zu was
       man es mit dieser Berufsauffassung bringen kann. Zum Doppel-Weltmeister
       (1989), Einzel-Europameister (1992) – und zum Spitznamen Mister
       Tischtennis.
       
       Mittlerweile ist Roßkopf Nationaltrainer. Als solcher hat der heute
       47-Jährige, noch immer drahtiger als viele seiner Schützlinge, im Vorfeld
       der heute beginnenden Europameisterschaften in Budapest bemerkenswerte
       Aussagen getroffen, die in einer ansonsten recht lahmen Szene für Widerhall
       sorgten: „Ich habe allen Spielern, die die Olympiade gespielt haben,
       nahegelegt, Pause zu machen“, sagte Roßkopf dem Onlinefachmedium
       mytischtennis.de. Noch mal zum Mitschreiben: Da ging ein Bundestrainer her
       und empfahl seinen besten Spielern, auf den wohl bedeutendsten Wettbewerb
       des Kontinents zu verzichten.
       
       Nun ist Roßkopf nicht gerade als Quertreiber bekannt. In der Regel arbeitet
       er pragmatisch mit dem, was er hat. Diese Gegebenheiten aber sind nicht
       mehr die, die Roßkopf in den 1990er Jahren als Spieler kennengelernt hat.
       Sie sind anders geworden. Und viele sagen: schlechter. „Heute ist es leider
       so, dass die Spieler von Turnier zu Turnier hetzen und vergessen, sich zu
       verbessern“, so Roßkopf gegenüber dem Magazin tischtennis. Seit Jahren
       nimmt – und da tun sich Parallelen zum Tennis auf – die Anzahl an
       Wettkämpfen zu. Die Athleten aber können es sich oftmals kaum leisten,
       diese Wettkämpfe auszulassen. Sie spielen für Vereine in Liga, Pokal und
       Champions League. Dazu kommen Olympische Spiele, die Turnier-Weltserie oder
       andere bedeutsame Wettkämpfe wie der World Cup vor wenigen Tagen in
       Saarbrücken. Und natürlich Weltmeisterschaften und Europameisterschaften.
       
       Letztere haben sich im Zuge der Wettkampfinflation einen zweifelhaften Ruf
       verdient. Die European Table Tennis Union hat das einst prestigeträchtige
       Kräftemessen sukzessive runtergewirtschaftet. Das Turnier hat seine
       scharfen Konturen eingebüßt. Denn auch die EM erlebte ihre eigene
       Inflation. Die diesjährige in Budapest ist gewissermaßen ein Jubiläum: Sie
       ist die zehnte innerhalb der letzten zehn Jahre. Die Suche nach einem
       Ausrichter ist schwierig geworden. Als sich 2014 keiner für die
       Individualwettbewerbe fand, wurde kurzerhand nur ein Mannschaftstitel
       ausgespielt. Diesmal finden keine Mannschaftswettbewerbe statt, dafür aber
       wieder das Mixed-Doppel, das 2008 aussortiert worden war. Übrig geblieben
       ist ein verwässerter Wettbewerb, der an Zuschauern und Medien vorbeiläuft.
       
       ## Es fehlt die Zeit
       
       In der ungünstigen Konstellation mit einem überfrachteten Turnierkalender,
       der die Olympischen Spiele in diesem Jahr als Saisonhöhepunkt markierte,
       hat die EM auch bei ihren Protagonisten an Bedeutung verloren. Roßkopf
       weiß, dass seinen Spielern die Zeit fehlt, um sich sportlich zu entwickeln.
       Ausgiebige Trainingsblöcke gibt es kaum noch. Zum einen mindert das die
       Qualität der deutschen Elite. Zum anderen die Chancen im Wettstreit mit den
       Branchenführern. Die Chinesen, an deren Thron die Deutschen gern mal
       gerüttelt hätten, verteilen ihre Wettkampfbelastung auf etliche Topspieler
       und schaffen dadurch immer wieder Phasen für hochintensives Üben.
       „Deshalb“, sagt Roßkopf mit Blick auf proppevolle Kalender und der EM vor
       der Tür, „werden wir den Abstand zu Asien auch nicht verringern.“
       
       Roßkopf bereiten etwa mit Blick auf die Heim-WM im kommenden Jahr in
       Düsseldorf ohnehin nicht mehr allein die Chinesen Kopfzerbrechen. Sondern
       auch die Japaner und Südkoreaner, die Portugiesen und Österreicher. Die
       setzen zum Überholen an – oder sind bereits vorbeigezogen. Die beiden
       DTTB-Asse Timo Boll, jüngst verletzt, und Titelverteidiger Dimitrij
       Ovtcharov haben sich in Rücksprache mit Roßkopf gegen dessen Empfehlung
       entschieden. Sie gehen in Budapest an den Start und möchten Europameister
       werden.
       
       18 Oct 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan Lüke
       
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