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       # taz.de -- Nobelpreis für Physiologie oder Medizin: Müllabfuhr in den Zellen
       
       > Ohne eine effektive Müllabfuhr würde eine Körperzelle nicht lange
       > existieren. Der Japaner Yoshinori Ohsumi hat aufgedeckt, wie das
       > funktioniert.
       
   IMG Bild: Klärte die Mechanismen der Abfallbeseitigung in Körperzellen auf: Yoshinori Ohsumi
       
       München taz | Würde nicht ab und zu aufgeräumt, sähe es in menschlichen
       Zellen schnell chaotisch aus. Alsbald würden defekte Organellen wie
       Mitochondrien durch das zähflüssige Plasma wabern, pathogene Keime könnten
       ungehindert Schaden anrichten, falsch gefaltete Proteine ebenso – sie sind
       toxisch für Zellen. Damit Zellen überhaupt überlebensfähig sind und
       funktionieren, hat die Evolution ihnen darum einen Putzdienst organisiert.
       Der Aufräumprozess, bei dem die Zelle defekte Moleküle in blasenartige
       Gebilde einschließt, anschließend zerstört und recycelt heißt „Autophagie“.
       
       [1][Yoshinori Ohsumi], Zellbiologe am Institute of Technology in Tokio, hat
       wesentlich zum Verständnis, wie dieser Mechanismus gesteuert wird,
       beigetragen. Und weil Autophagie bei Infektionen, Alterungsprozessen und
       zahlreichen Krankheiten eine wichtige Rolle spielt, hat ihm das
       Nobel-Komitee dieses Jahr den Preis für Medizin verliehen.
       
       Zwar hatten Forscher bereits in den 1960er Jahren das Prinzip entdeckt und
       beschrieben. Lange war jedoch unklar, wie bedeutend Autophagie für die
       Balance in der Zelle ist und wie sie überhaupt gelenkt wird.
       
       Doch Ohsumi hat sich für den Putzdienst interessiert. In den 1990er Jahren
       züchtete er spezielle Hefezellen und deckte die Erbanlagen, die er ATG-Gene
       taufte, und die dazugehörigen Enzyme auf, die an dem mehrstufigen Prozess
       beteiligt sind.
       
       „Brillante Experimente“ nannte das Nobel-Komitee diese Arbeiten.
       Schließlich ist die Autophagie ein laufender Prozess, beteiligte
       Transportvehikel sind sehr kurzlebig und konnten daher nur schwer
       beobachtet werden.
       
       Dank Ohsumi weiß man heute: Rezeptormoleküle erkennen toxische Proteine,
       Viren oder defekte Organellen. Diese werden in Autophagosomen,
       doppelwandige Bläschen, eingesperrt und zum zelleigenen Wertstoffhof, den
       Lysosomen, transportiert. Dort zerlegen Enzyme die Proteinfragmente
       vollständig und machen sie unschädlich.
       
       ## Ein Ansatz für eine Therapie
       
       Der japanische Forscher fand auch heraus, dass homologe Gene, Gene also,
       die die gleichen Funktionen ausüben, auch im Menschen existieren. Ist der
       Aufräumdienst nicht am Werk, führt das zu Krankheiten wie Parkinson,
       Diabetes, Herzkrankheiten oder Krebs. So ist das Gen BECN1 auffällig häufig
       bei Brust- und Eierstockkrebs-Patientinnen mutiert. Es reguliert erste
       Schritte bei dem Aufräumprozess. Ohsumis Entdeckungen gelten darum auch als
       Grundlage, um mögliche Therapien zu entwickeln.
       
       Ohsumi hat viele andere Wissenschaftler inspiriert. Und so ist die
       Autophagie heute einer der am intensivsten studierten Prozesse in der
       Biomedizin. Laut dem Nobel-Komitee gab es seit dem Jahr 2000 einen
       erheblichen Anstieg an Publikationen zu dem Thema.
       
       Dabei sah es erst mal nicht so aus, als würde Ohsumi in der Forschung
       reüssieren. Denn nach seiner Promotion an der Universität in Tokio im Jahr
       1974 fand er zuerst keine Stelle und war frustriert, wie er einmal in einem
       Interview sagte.
       
       Sein Doktorvater vermittelte ihn schließlich für drei Jahre an die
       Rockefeller University in New York, wo er zuerst zum Thema
       „In-vitro-Fertilisation“ bei Mäusen forschte. Zurück in Japan, gründete er
       dann eine eigene Arbeitsgruppe, um sich mit der wenig beachteten Autophagie
       zu beschäftigen.
       
       Vielleicht ist ja der etwas holprige Aufstieg der Grund dafür, dass Ohsumi
       bescheiden geblieben ist. Als er benachrichtigt wurde, soll er über die
       Auszeichnung aus Stockholm überrascht gewesen sein. Kollegen hatten dagegen
       den Nobelpreis für den Japaner schon länger erwartet.
       
       6 Oct 2016
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.nobelprize.org/nobel_prizes/medicine/laureates/2016/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kathrin Burger
       
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