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       # taz.de -- Politische Kader in Russland: Großreinemachen im Kreml
       
       > Präsident Putin besetzt derzeit mal wieder einige Führungsposten neu. Zum
       > Zug kommen jetzt Jüngere, die keinerlei eigene Ambitionen haben.
       
   IMG Bild: Dreht am Personalkarussel: Russlands Präsident Wladimir Putin
       
       MOSKAU taz | Bis zuletzt soll er sich gesträubt haben. Die Rede ist von
       Wjatscheslaw Wolodin, dem neuen Sprecher der russischen Staatsduma. Vor dem
       Wechsel an die Parlamentsspitze diente der 52jährige Jurist und
       Maschinenbauer Präsident Wladimir Putin im Kreml als stellvertretender
       Kanzleichef.
       
       Wolodin ist der Demichurg der konservativ reaktionären Innenpolitik, die
       die letzte Amtszeit des Präsidenten kennzeichnet. Seit den Unruhen
       2011/2012 zwang er die Zivilgesellschaft durch restriktive Gesetze in die
       Knie, pulverisierte die demokratische Opposition und stärkte den Zugriff
       der Sicherheitsstrukturen.
       
       Die letzte Dumawahl war auch sein Meisterstück. 75 Prozent der Mandate
       fielen an die Kremlpartei „Einiges Russland“, die nun eine
       verfassungsändernde Mehrheit hat. Die neue Duma käme auch ohne einen
       Aufpasser Wolodin aus. Dennoch verfügte Putin den Wechsel.
       
       Auch Wolodins Vorgänger Sergej Naryschkin wäre gerne an der Dumaspitze
       geblieben. Der Kremlchef hört jedoch auch auf die Wünsche alter
       Weggefährten nicht mehr. Der Dumasprecher wechselte auf den Chefsessel des
       Auslandsgeheimdienstes.
       
       ## Vorerst lediglich Gerüchte
       
       Gerüchte über Wolodins Auszug aus dem Kreml kursieren schon seit einem
       Jahr. Einigen Clans war der Vizechef angeblich zu ambitioniert. Selbst den
       Griff nach dem Präsidentenamt soll er, der keinem der einflussreichen
       Kreml-Clans angehört, nicht von vornherein verworfen haben. Wohlgemerkt,
       das sind lediglich Gerüchte, die den rücksichtslosen Machtmenschen im Kreml
       begleiteten.
       
       Gegenüber dem Kremlchef ließ der Vize es nie an Loyalität fehlen. „Solange
       es Putin gibt, gibt es Russland. Kein Putin, kein Russland“, meinte Wolodin
       vor zwei Jahren und formulierte damit so etwas wie eine neue Staatsdoktrin.
       
       Putin unternimmt unterdessen alles, um sich von alten Freunden zu trennen.
       Im Sommer musste auch Kanzleichef Sergej Iwanow den Hut nehmen, ein
       Weggefährte noch aus frühen Leningrader KGB-Zeiten und langjähriger Freund
       der Familie. Er wurde zu Putins Sonderbeauftragtem für Naturschutz.
       
       Vor einem Jahr musste auch der frühere Leiter der russischen Eisenbahnen
       Wladimir Jakunin den engsten Führungszirkel verlassen. Im August folgte der
       Vorsitzende des föderalen Zolldienstes. Andrei Beljaninow wurde sogar wegen
       Korruption angeklagt.
       
       ## Wer fällt als nächster in Ungnade?
       
       Zurzeit wird spekuliert, ob Putins Studienkollege Alexander Bastrykin als
       nächster in Ungnade fallen könnte. 2011 machte Putin den stellvertretenden
       Generalstaatsanwalt zum Leiter des neu gegründeten Föderalen
       Ermittlungskomitees (SKR), dem die Rolle eines russischen FBI zugedacht
       war. Nun, so wird gemunkelt, könnte das SKR aufgelöst werden und in einem
       neuen Superministerium aufgehen: dem Ministerium für Staatssicherheit
       (MSB). Ohne den Jugendfreund, der sich für unantastbar hielt, versteht
       sich.
       
       Auch verdiente Gouverneure entließ der Kremlchef in diesem Jahr. Für
       Aufsehen sorgte die Ernennung Alexei Djumins im Februar zum Gouverneur in
       Tula. Der 43jährige Sicherheitsexperte und Putinsche Leibgardist wird
       seither auch als Nachfolger im Kreml gehandelt.
       
       Vielleicht nur Zufall: Das Staatsfernsehen nimmt sich seiner gerade wieder
       an. Es ist dieser Typ Verbindungsoffizier, den Putin auch auf Posten der im
       Sommer entlassenen Gouverneure in Kaliningrad und Jaroslawl hievte. Dort
       drohte die Kremlpartei bei den Wahlen schlecht abzuschneiden.
       
       Die Nachrücker haben alle etwas gemeinsam. Sie sind um die 40 und 50 Jahre
       alt und stammen aus verschiedenen Sicherheitsbereichen. Als Mitarbeiter in
       der Protokollabteilung, Bodyguards oder Adjutanten hatten sie unbegrenzten
       Zugang „zum Körper“, wie jene Kreise den Präsidenten in Russland nennen.
       
       ## Vollends ergeben
       
       Einer von ihnen ist Sergej Iwanows Nachfolger, Anton Waino, der neue Chef
       der Kremlkanzlei. Er gilt als Faktotum, dem Chef vollends ergeben. Sie
       stellen keine Fragen, führen aus, was befohlen ist. Im Gegensatz zur alten
       Garde erwarten sie auch nicht, dass der Präsident sie zu Freunden macht.
       Die alten Gefährten konnten sich Putin jedoch noch auf Augenhöhe nähern,
       auch Unmut kundtun. Sie kannten dessen Geheimnisse.
       
       Die jungen Technokraten kämen nicht auf die Idee, den Kremlchef
       herauszufordern oder eigene Ambitionen anzumelden. Sie sind seine
       Fußsoldaten. Putin hält die alte Garde für amtsmüde und für über Gebühr
       korrupt. Vor allem aber fürchtet er ihre Ineffektivität. Vor dem
       Hintergrund der wirtschaftlichen Krise und der anstehenden
       Präsidentschaftswahl 2018 traut er ihnen nicht mehr zu, das Schiff durch
       unruhigere Wasser zu steuern.
       
       Das sollen die Jungen übernehmen, sie sind mit WWP aufgewachsen und ihm
       restlos ergeben. Sie müssen auch nicht mehr das Regime des „kollektiven
       Putins“ retten, sondern nur noch ihn – Wladimir Putin.
       
       7 Oct 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Klaus-Helge Donath
       
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