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       # taz.de -- Porträt Stephan von Dassel: Der andere grüne Bürgermeister
       
       > Mitte wird künftig als zweiter Bezirk – neben Friedrichshain-Kreuzberg –
       > grün regiert: „Laissez faire ist nicht meins“, sagt Stephan von Dassel.
       
   IMG Bild: Neuer designierter Rathauschef in Mitte: Stephan von Dassel (Grüne)
       
       Über den Leopoldplatz in Wedding torkelt ein Mann. Er fuchtelt mit den
       Armen in der Luft herum. „Hey you!“ spricht er Leute an, die an der Ampel
       auf grün warten. Der Mann ist zwei Meter groß, die Passanten weichen ihm
       aus. Ansonsten nimmt keiner weiter von ihm Notiz. Solche Auftritte gehören
       hier zum Alltag.
       
       Schräg gegenüber, im dritten Stock des Rathauses, sitzt Stephan von Dassel,
       ein schmaler 49-Jähriger mit markanter schwarzer Brille. Die Fensterfront
       seines Büros geht hinaus auf die Müllerstraße. Unten rauscht der Verkehr
       vorbei, man sieht die blauweißen Planen der Marktstände auf dem
       Leopoldplatz und das Treiben drumherum. „Wenn Leute mir sagen, dass sie
       sich wegen der vielen Trinker und Junkies dort nicht mehr hin trauen, dann
       muss ich das ernst nehmen“, sagt von Dassel. „Wir können die Dinge nicht
       einfach so laufen lassen.“
       
       Stephan von Dassel war bislang Stadtrat für Soziales und Bürgerdienste im
       Bezirk Mitte. Ende des Monats wird er neuer Bürgermeister im Bezirk – und
       damit der zweite Rathauschef in Berlin mit grünem Parteibuch.
       
       Es ist jetzt schon abzusehen, dass er einiges anders machen wird als seine
       Parteikollegin Monika Herrmann in Friedrichshain-Kreuzberg. Der Umgang mit
       Orten wie dem Leopoldplatz ist dafür ein ganz gutes Beispiel.
       
       ## Ein Alkoholverbot am Leopoldplatz?
       
       „Uns entgleitet der öffentliche Raum“, warnt von Dassel mit Blick aus dem
       Fenster. Dass es am Görlitzer Park in Kreuzberg seit Jahren Beschwerden
       über den Drogenhandel gibt, die Grünen dort aber kaum etwas an der
       Situation geändert haben, sieht er kritisch. „So ein laissez faire ist
       nicht meins. Es kann nicht sein, dass man den Görlitzer Park aufgibt.“
       
       Der Leopoldplatz wurde vor drei Jahren umgestaltet und dabei auch ein Treff
       für Trinker eingerichtet, inzwischen stehen aber wieder welche an den
       U-Bahn-Eingängen. Deshalb müsse man jetzt über andere Maßnahmen nachdenken,
       sagt von Dassel. „Bringt ein Alkoholverbot am Leopoldplatz etwas? Das
       sollte man diskutieren.“
       
       Alkoholverbot, das klingt nach amerikanischer Prohibition, nach Spaßbremse.
       Kaum denkbar, dass so etwas bei den Kreuzberger Grünen eine Chance hätte.
       Aber Stephan von Dassel ist da undogmatisch. Er sagt, ihm gehe es um die
       Lösung des Problems. Für einen Coffeeshop am Görlitzer Park wäre er deshalb
       auch durchaus zu haben gewesen.
       
       Was würde von Dassel tun, wenn Flüchtlinge auf dem Leopoldplatz Zelte für
       ein Protestcamp aufstellen wollten? Die Antwort kommt wie aus der Pistole
       geschossen: „Das würde ich sofort verhindern.“
       
       Von Dassel stammt aus einem klassischen grünen Milieu. Schon seine Mutter
       war bei Demos mit Rudi Dutschke dabei. Sie lebten erst in Berlin, später in
       einem Dorf auf der schwäbischen Alb. Waldsterben, Atomkraft, Angst vor der
       atomaren Vernichtung, das waren die Themen in seiner Jugend. Mit 17 Jahren
       trat von Dassel bei den Grünen ein. „Als ich damals unsere Plakate an die
       Scheunen pinnte, kamen die Autos mit Vollgas auf mich zugerast“, erinnert
       er sich. Dass diese Gegend jetzt Kretschmann-Land ist, die Grünen in Berlin
       aber nur 15 Prozent geholt haben, will ihm nicht in den Kopf.
       
       ## Zielstrebig und hartnäckig
       
       Wie Monika Herrmann studierte von Dassel Politikwissenschaften an der
       Freien Universität. Getroffen haben sich die beiden damals nicht. Von
       Dassel war offenbar zielstrebiger bei der Sache: Herrmanns Studium dauerte
       zehn Jahre, von Dassel hatte nach fünf Jahren das Diplom. Im Anschluss
       arbeitete er als Geschäftsführer der Grünen-Fraktion im Bezirk Mitte, wurde
       Referent im Abgeordnetenhaus, 2009 Stadtrat in Mitte.
       
       Von Dassel gilt als fleißig und hartnäckig, als Kümmerer. Bei
       betrügerischen Pflegediensten ließ er nicht locker. Als scharfer Verfolger
       von Ferienwohnungen machte er sich auch jenseits der Bezirksgrenzen einen
       Namen.
       
       Auch als Bürgermeister hat von Dassel einiges vor: Er ist selbst meist mit
       dem Rad unterwegs und könnte sich gut vorstellen, die Müllerstraße pro
       Richtung einspurig zu machen und den Platz für Fahrradstreifen zu nutzen.
       Er will die Verwaltung modernisieren, den Bürgerämtern mehr Geld geben. Er
       will in Eckkneipen und Moscheen mit den Menschen reden. Überhaupt will er
       mehr und besser kommunizieren. Nicht unbedingt über die sozialen Medien,
       die sind nicht sein Ding. Monika Herrmann twittert viel. Von Dassel sagt:
       „Die Welt ist zu komplex für 140 Zeichen.“
       
       ## Realo-Mann vs. Fundi-Frau?
       
       Er der Realo-Bürgermeister in Mitte, Herrmann die Fundi-Rathauschefin in
       Kreuzberg? Diese Unterscheidung ist von Dassel zu platt. Er finde all jene
       Politiker gut, denen es nicht nur um die Macht gehe, sondern die ein
       Anliegen hätten und das auch professionell umsetzten.
       
       Eine solche Charakterisierung würde wohl jeder Politiker gerne für sich in
       Anspruch nehmen. Stephan von Dassel werden diese Eigenschaften aber auch
       von außen zugeschrieben: Er halte ihn für einen Überzeugungstäter, sagt
       einer, der ihn schon länger kennt. Ein anderer betont, wie pragmatisch und
       kenntnisreich von Dassel sei. Der neue Kretschmann von Berlin wird von
       Dassel deshalb trotzdem nicht. Er ist keiner, der auf einem Parteitag die
       großen Emotionen weckt. Dafür fehlt ihm auch eine gewisse Bodenständigkeit.
       
       Von Dassel sagt, Politik müsse mehr Spaß machen. Wenn man ihn fragt, was er
       damit meine, erzählt er folgende Geschichte: Als Referent im
       Abgeordnetenhaus habe er mal Urlaub in Vietnam gemacht. Er habe mit seinen
       Kollegen gewettet, dass er in allen parlamentarischen Anfragen und Anträgen
       dieser Zeit das Wort Vietnam unterbringe. Das sei ihm tatsächlich 14 Mal
       gelungen, bei den unterschiedlichsten Themen. Von Dassel kichert. Und das
       ist ja auch lustig. Aber es ist ein sehr akademischer Witz.
       
       Man glaubt von Dassel sofort, dass er sich um die Belange der Menschen in
       Mitte kümmern will, auch am Leopoldplatz. Wenn er sie aber begeistert, dann
       mit seinem Engagement, nicht mit dieser Art von Humor.
       
       24 Oct 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Antje Lang-Lendorff
       
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