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       # taz.de -- Karikaturist Til Mette hat Geburtstag: Der Witzeonkel wird 60
       
       > Seine Karikaturen kann man nicht erzählen: herzlichen Glückwunsch an den
       > Zeichner Til Mette
       
   IMG Bild: Hier noch weit von den 60 entfernt:: Til Mette (links) bei der Frankfurter Buchmesse 1999.
       
       Hamburg taz | Herr Mette sitzt in seinem ansonsten leeren Büro, auf dem
       Kopf sitzt ein spitzer Hut mit bunten Punkten, er drückt auf eine
       Sprechtaste: „Frau Meyer! Kommen Sie sofort rein und wünschen Sie mir alles
       Liebe zum Geburtstag!“ Dieser Versuch, eine Karikatur zu erzählen,
       funktioniert aus zwei Gründen nicht: Til Mettes Zeichnungen kann man fast
       nie erzählen. Und Mette hat keine Sekretärin. Also ein neuer Anfang:
       
       Man nennt ihn „Meister der spitzen Feder“ (Stern). Seine Küche ist
       „bemerkenswert aufgeräumt“ (Hamburger Abendblatt). „Wie wohltuend es sein
       kann, dem Schrecken eine Pointe abzutrotzen, der Angst ein Lachen.“
       (Weser-Kurier). „Später wollte er Pastor werden, wie der von ihm verehrte
       Onkel.“ (Elbe Wochenblatt). Was für ein Müll! Noch ein Versuch:
       
       Wer in Bielefeld auf die Welt kommt, ist schon gestraft genug! (Man läuft
       sich langsam warm.) Ostwestfalen! Schon mal von Südnordfalen gehört? Na
       bitte! Bielefeld an der Biele, mit Stadtbezirken wie Brackwede, Gadderbaum,
       Stieghorst, Schildesche! Hier heißt der Schlafanzug Pölter. Auf den
       Parkplatz fahren nennt der Ostwestfale „abparken“. In Bielefeld wurde das
       Backpulvertütchen erfunden, Hannes Wader und Horst Wessel sind bekannte
       Söhne der Stadt.
       
       Wer in Bielefeld als „Til“ auf die Welt kommt, kann nicht anders – er muss
       einen Hau haben. Mette schwankte in jungen Jahren zwischen Autoschrauber
       und Pastor, zog ausgerechnet nach Bremen, wo er immerhin Besseres fand als
       den Tod, und studierte Geschichte und Kunst auf Lehramt, was keine weiteren
       Spuren bei ihm hinterließ. Eines Tages blickte er in einen Spiegel – und
       sah Eulen! Aus Schrauben und Segnen und Lehren bildete er die einzig
       logische Synthese und wurde Witzeonkel.
       
       Damals, wir schreiben die Achtziger, war man Spießer oder linksradikal, so
       wie man heute linksradikaler Spießer ist. Til Mette war ja Bielefeld
       entkommen, also linksradikal, so wie die taz, schon gar die Lokalredaktion
       in Bremen, die eigene vier Seiten täglich herstellte. Wenn man auch in
       Bremen aus heutiger Sicht eher linksliberal war, ein Begriff, der einen
       damals in den Suizid getrieben hätte.
       
       Schon früh entfaltete Mette seinen Stil, der sich mit leicht zittrigem
       Strich agitpropmäßig mit der Lokalpolitik anlegte, diese aber meist nur
       nutzte, seinen eigenen Spaß mit ihr zu treiben. Gesellschaftliche Konflikte
       griff er auf, um auch aus dem schlimmsten Dilemma noch einen Funken zu
       schlagen, der vielleicht nicht zum Steppenbrand wurde, aber doch wärmte.
       „Ich heiße Rölfi und habe Aids.“ Sagt ein Entstellter. Ein Erschrockener
       flüstert: „Was?? Du heißt Rölfi, schrecklich!!“ Woran man sieht, dass man
       manche Mette-Witze auch erzählen kann.
       
       Schrauben, Segnen, Lehren – ein richtiger Politzeichner wird aus sowas
       nicht. Eher ein Erforscher der Schmerzgrenze. Ältere unter uns erinnern
       sich an „Raucherbein“. Zwei beim Bier, der eine: „Wissen Sie nicht, dass
       man davon Raucherbeine bekommt?!“ Der andere, raucht und ist beidseitig
       beinamputiert: „Schön wär’s.“ Oder ein Junge schlägt einen Nagel durch
       seine Hand. Der Vater: „Kannst du deine Hausaufgaben für den
       Konfirmandenunterricht nicht irgendwo anders machen?“
       
       Und dann das uralte Mette-Motiv: die Verhöhnung der Ideologisierung im
       eigenen Milieu. Heute noch kleben Männer, die sich über das Stehpissverbot
       in unserer feministischen Gesellschaft ärgern, diese Zeichnung übers Klo:
       Ein Mann sitzt zwei Meter vom Klobecken entfernt auf dem Boden und pisst in
       hohem Bogen Richtung Klo – „… im Sitzen pinkeln!“ (Die verschärfte Version
       des Generalthemas: „Chef, soll der Werbespot nun frauenfreundlich oder
       frauenfeindlich sein??“ – „Is egal, Hauptsache dicke Titten!“)
       
       Alles nicht hymnisch genug? Nun also die echte, die wirkliche Würdigung!
       Der alternde Til Mette, der lauter Karikaturistenpreise gewonnen hat und
       seit Jahrzehnten für den Stern rackert, wird nicht milder; er zeichnet sich
       nämlich in echt durch sauscharfe Politkaris aus. Dieser Witz sorgte im
       Weser-Kurier für Zorn der Bremer Leserschaft: Strand, Vatermutterkind, ein
       rappelvolles Flüchtlingsboot nähert sich. Vater: „Letztes Jahr hatten wir
       hier ’ne Marienkäferplage …“. Mette sah sich aufgrund der Proteste
       genötigt, den Witz schriftlich zu erklären. Was der eigentliche Witz war.
       
       Der alternde Mette? Nun, auch er hat ja gelegentlich Geburtstag, so wie
       heute, da er süße 60 wird. Er muss nur Bescheid sagen. Dann kommen wir alle
       sofort rein und wünschen ihm alles Liebe!
       
       28 Oct 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Burkhard Strassmann
       
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