URI: 
       # taz.de -- Kommentar Zukunft der EU: Wir brauchen eine Revolution
       
       > Die herrschenden Eliten fahren das europäische Projekt vor die Wand. Das
       > hilft der extremen Rechten. Es ist Zeit für eine Radikalreform.
       
   IMG Bild: Immer breitere Bevölkerungsschichten in immer mehr Ländern begreifen die europäische Integration nicht mehr als Chance, sondern als Bedrohung
       
       Manchmal taugen die Träume von gestern auch noch als Hoffnung für morgen.
       Die erste anzugehende Aufgabe nach der Kriegsniederlage Deutschlands sei
       „die endgültige Beseitigung der Grenzen, die Europa in souveräne Staaten
       aufteilen“, schrieben 1941 der italienische Kommunist Altiero Spinelli und
       seine Mitstreiter Ernesto Rossi und Eugenio Colorni in faschistischer Haft
       auf der Mittelmeerinsel Ventotene. Sonst bliebe „jeglicher Fortschritt ein
       trügerischer Schimmer“. Ziel müsse „eine föderalistische Neugestaltung
       Europas“ sein: die „Vereinigten Staaten Europas“.
       
       Davon scheinen wir heute so weit entfernt wie noch nie seit Abschluss der
       Römischen Verträge. Mit Vollgas sind die herrschenden Eliten dabei, das
       europäische Projekt gegen die Wand zu fahren. Immer breitere
       Bevölkerungsschichten in immer mehr Ländern begreifen die europäische
       Integration nicht mehr als Chance, sondern als Bedrohung – als Vehikel zur
       Aushöhlung demokratischer Rechte und zum Abbau sozialer Standards.
       
       Eine Konsequenz daraus ist der europaweite Aufschwung der äußersten
       Rechten. Getrieben von ihrer fatalen Sehnsucht nach Volk und Vaterland
       propagieren Marine Le Pen, Heinz-Christian Strache, Geert Wilders oder
       Frauke Petry die Zerschlagung der europäischen Idee.
       
       Aber auch auf der Linken sind die Absetzbewegungen unübersehbar. Was nach
       der unbarmherzigen Drangsalierung der griechischen Syriza-Regierung durch
       die Eurogruppe auch durchaus verständlich ist. Trotzdem ist es die falsche
       Antwort, sein Heil in einer Renationalisierung Europas zu suchen. Um beim
       Beispiel zu bleiben: Griechenland braucht nicht weniger, sondern mehr
       Europa. Allerdings braucht es eine EU, die solidarisch unterstützt – und
       nicht eine, die wie ein Kolonisator auftritt, der das Land per
       Zwangsprivatisierung ausplündert.
       
       Das bedeutet aber auch: Es kann nicht um die Verteidigung des schlechten
       Status quo gehen. In ihrer „Streitschrift für eine andere Europäische
       Union“ fordern die Sozialdemokratin Gesine Schwan, der Grüne Frank Bsirske,
       der Linksparteiler Axel Troost und ihre MitautorInnen zu Recht eine
       „Radikalreform“ der EU. Ganz so, wie es sich einst Spinelli, Rossi und
       Colorni in ihrem Manifest von Ventotene erträumt hatten.
       
       Die europäische Revolution müsse sich für „die Schaffung menschlicherer
       Lebensbedingungen einsetzen“, schrieben sie in ihrem Manifest von
       Ventotene. Für solch ein rot-rot-grünes Projekt würde es sich zu streiten
       lohnen.
       
       31 Oct 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Pascal Beucker
       
       ## TAGS
       
   DIR Europa
   DIR EU
   DIR Die Linke
   DIR SPD
   DIR Bündnis 90/Die Grünen
   DIR Bundestag
   DIR Alexis Tsipras
   DIR Europäische Union
   DIR Schwerpunkt Brexit
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Lesestück Meinung und Analyse
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Nachruf auf den Ökonomen Axel Troost: Ein unideologischer Linker
       
       Mit dem Tod von Axel Troost verliert die Bundesrepublik einen der
       profiliertesten linken Ökonomen. Und die Linkspartei einen ihrer klügsten
       Köpfe.
       
   DIR Griechenland bei der Europawahl: Syriza liegt hinten
       
       Nach ersten Prognosen schlägt die konservative Oppositionspartei Nea
       Dimokratia die linke Regierungspartei.
       
   DIR Gipfeltreffen zum 60. Jahrestag der EU: Suche nach der gemeinsamen Vision
       
       Die 27 RegierungschefInnen sind nicht in Feierlaune: Der Brexit
       überschattet das Treffen in der italienischen Hauptstadt.
       
   DIR Streitschrift zur Reformierung der EU: Europa, bitte links abbiegen
       
       Rechtspopulisten sind im Aufwind. Und die EU schwächelt. Mit einer
       Streitschrift wollen Rot-Rot-Grüne ein solidarisches und demokratisches
       Europa kreieren.
       
   DIR Kritik an Oettinger-Äußerungen: Günthers Problem mit „Schlitzaugen“
       
       Der EU-Kommissar haut verbal komplett daneben. In einer Rede benutzt er
       rassistisches und homophobes Vokabular. Die Kritik lässt nicht lange auf
       sich warten.
       
   DIR Kommentar Ceta-Verhandlungen: Demokratie gefährdet den Freihandel
       
       Der Ceta-Streit zeigt: Die EU muss endlich politisch denken und
       demokratisch handeln. Sonst fährt sie endgültig gegen die Wand.