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       # taz.de -- Exil-Institut für syrische Kulturschaffende: Kunst als Überlebenshilfe
       
       > Beim „Goethe-Institut Damaskus im Exil“ können sich syrische
       > KünstlerInnen austauschen. Außerdem bietet es ein umfassendes Programm.
       
   IMG Bild: Obwohl Städte in Trümmern liegen, entsteht Kunst. Still aus dem Film „Silvered Water. Syria Self-Portrait“
       
       „Dieser Krieg wird nicht aufhören, alles wird bleiben, wie es ist“, sagt
       resigniert eine Figur aus Mudar Al Haggis Theaterstück. Der syrische Autor
       hat das Stück über den Alltag in Damaskus im Berliner Exil geschrieben, an
       einem jener Orte also, an denen seit 2011 mehr und mehr syrische Kunst
       entsteht. In „Deine Liebe ist wie Feuer“ treten die Figuren mit dem Autor
       ins Zwiegespräch. Der steckt in einer Schaffenskrise: Wie nämlich kann er
       sich mit Kunst abgeben, wenn Bomben fallen?
       
       Dies ist eine der großen Fragen, die sich syrische KünstlerInnen und
       Kulturschaffende dieser Tage in einem kleinen Berliner Ladenlokal nahe der
       Volksbühne stellten. Dort hat auf nur 70 Quadratmetern das „Goethe-Institut
       Damaskus im Exil“ eröffnet. Zweieinhalb Wochen gibt es ein umfassendes
       Kulturprogramm, das ein ähnliches Publikum wie in Damaskus anziehen soll:
       Diskussionen über das Netzwerken, die Repräsentation von Geflüchteten im
       Theater, Workshops zum Kulturmanagement, Konzerte, Filme.
       
       Natürlich geht es um den Kulturaustausch, es wird simultan ins Deutsche und
       Arabische übersetzt. Vor allem aber ist der Ort eine Anlaufstelle für
       SyrerInnen. Im vergangenen Jahr kamen schließlich 250.000 nach Deutschland.
       „In Damaskus waren die Räume ein Treffpunkt für die Kulturschaffenden, und
       genau das fehlt im Exil“, erklärt Pelican Mourad zur Eröffnung. Die
       Berlinerin koordiniert das Programm des Exil-Instituts, wie sie es in den
       90ern für das Goethe-Institut in Damaskus getan hatte.
       
       Seit 1955 waren die Räume in der Adnan-Al-Malki-Straße eine Art Fixpunkt
       für die Aktiven in Damaskus gewesen: ein offener, geschützter Ort, an dem
       man bis zuletzt frei sprechen konnte. Viele der nach Berlin geladenen Gäste
       waren auch dort zu Gast. Doch bei aller Nostalgie: Problemlos war die
       Arbeit für das Goethe-Instituts nicht mehr gewesen, ließ sich das
       Kulturministerium doch jeden Programmpunkt zur Genehmigung vorlegen – „wie
       in der DDR“, sagt Mourad. 2012 schließlich wurde das Institut wegen des
       Krieges geschlossen.
       
       Für viele war genau das die Zäsur, denn mit dem Arabischen Frühlings
       erstarb auch die syrische Kunstszene. Heute gibt es eher eine Diaspora von
       KünstlerInnen, die in verschiedenen Staaten vor allem im arabischen Raum
       verstreut sind und neben ihren persönlichen auch die professionellen
       Bezugspunkte zurücklassen mussten: die kulturelle Infrastruktur,
       Ausbildung, Podien. Das Goethe-Institut ist mit der temporären Zweigstelle
       dieser Bewegung nur gefolgt.
       
       ## Wenn SyrerInnen gesehen werden, dann als Geflüchtete
       
       „Das syrische Kulturschaffen geht längst über Syrien hinaus“, erzählt der
       Theatermacher Wissam Kadour. „Wir leben und arbeiten im Libanon, im Irak,
       in Ägypten, in Deutschland.“ In Damaskus betrieb der junge Mann mit
       Dreadlocks ein Kulturcafé, im Libanon aber, wo er nun lebt, versucht er in
       den gigantischen Flüchtlingscamps Raum für Kunst zu schaffen. „Vollkommen
       surreal“, sagt er. Denn unter solch grauenvollen Umständen ist die Kunst
       vor allem Überlebenshilfe.
       
       Aber auch in Deutschland ist die Situation nicht einfach. Hier sind die
       Barrieren, die Neuankömmlinge und Alteingesessene trennen, hoch. Die
       Künstlerin Marina Naprushkina, die von Minsk nach Berlin kam, erinnert
       sich, wie 2013 die Notunterkünfte in Berlin-Moabit öffneten. Sie sah,
       welche Probleme der prekäre Status der Flüchtlinge mit sich bringt: den
       Behörden ausgeliefert, nach sechs Monaten an einen neuen Ort verschickt,
       abgeschottet in einer Sammelunterkunft. „Der Staat hat da versagt“, war
       damals ihr Fazit. Also gründete sie den Verein „Die Neue Nachbarschaft“, in
       dem sich neue und alte Berliner treffen, und initiierte eine
       Orientierungsklasse an der Kunsthochschule Weißensee.
       
       Denn wer neu ankommt, ist ohne staatliche Strukturen auf persönliche
       Kontakte angewiesen, auf Netzwerke, auf Menschen, die Ähnliches erfahren
       und bewältigt haben und wissen, wie man ein Studium beginnt oder eine
       Förderung erhält. In Deutschland ist das besonders wichtig, denn hier sind
       die Hürden auch im Kunstbetrieb hoch. „Ohne Kontakte kommt man nicht ins
       Theater“, sagt etwa die Dramaturgin Rania Mleihi, die heute das „Welcome
       Theatre“ an den Kammerspielen in München leitet, eines der vielen Projekte,
       die Kulturinstitutionen auch für Geflüchtete öffnen wollen. Sie kritisiert
       die Realitätsferne des Betriebs, aber auch die strenge Kategorisierung, aus
       der es kein Entkommen gibt: Denn wenn die SyrerInnen gesehen werden, dann
       als Geflüchtete, die in bestimmten Förderprogrammen Platz finden.
       
       Darum war die Frage der Autoren, Filmemacherinnen und Maler in Berlin vor
       allem, wie sie in Deutschland als KünstlerInnen arbeiten können. Die
       Erfahrung jener, die schon länger in Deutschland leben, ist, dass sie vor
       denselben Problemen wie die Alteingesessenen stehen – allerdings noch
       einmal bis ins Absurde potenziert. Als Rania Mleihi erzählt, wie die
       Ausländerbehörde von ihr einen Arbeitsvertrag über 50.000 Euro im Jahr
       verlangte, lachen viele im Publikum. Sie kennen das. „Zeigt mir einen
       deutschen Künstler, der so viel verdient!“, sagt die Dramaturgin.
       
       Nicht zuletzt sind es diese ganz banalen, aber existenziellen Probleme und
       Enttäuschungen, die das kreative Arbeiten erschweren. Ein Panel mit
       unabhängigen VerlegerInnen aus Syrien bot so etwas wie einen Mikrokosmos
       der Probleme der Kulturarbeit unter den widrigsten Umständen. Denn obwohl
       ganze Städte in Trümmern liegen, werden in Syrien Bücher veröffentlicht,
       trotz des finanziellen und logistischen Aufwands, mit Lesern auf der Flucht
       und Autoren im Exil, und obwohl die Menschen dringend Nahrungsmittel
       bräuchten, gibt es Bibliotheken, Druckereien und Verlage.
       
       ## Das Buch ist ein Lebensmittel, das am Leben hält
       
       Sogar die Buchmesse in Damaskus hat im September erstmals seit 2011 wieder
       stattgefunden – und obwohl Bücher trotz hoher Rabatte auf den Normalpreis
       unerschwinglich sind, war der Zulauf riesig. Das Buch ist für sie ein
       Lebensmittel, das sie am Leben hält. Für den mittlerweile in Dubai
       ansässigen Verleger Marwan Adwan ist die Frage nach dem „Warum“ daher auch
       eher eine rhetorische: „Wir machen weiter, weil wir die Hoffnung brauchen.“
       
       Mit der Frage nach dem „Wie“ indes tut er sich schwerer, zu kompliziert ist
       die Lage. Vielleicht sind weltweite Zweigstellen eine Möglichkeit für
       syrische Verlage, vielleicht das E-Book. „Keine Ahnung, wie das
       Verlagsgeschäft weitergeht, ich weiß nicht einmal, wo ich bald leben
       werde“, sagt er schließlich. Eines ist indes klar: Säkulare Verlage würde
       es ohne internationale Vernetzung, ohne Einladungen zu Buchmessen und
       Übersetzungsförderungen kaum geben.
       
       Wie groß der Bedarf am Austausch ist, an einem Ort, wo sich die
       Kulturschaffende auch abseits großer Zukunftspläne treffen können, zeigte
       die Dynamik rund um das Ladenlokal: Ständig wird geredet, einander
       vorgestellt, und für jeden einzelnen Autor, für jede Filmemacherin auf dem
       Podium, saßen im Publikum mehrere, die ähnliche Erfahrungen teilten. Und
       auch vor dem zufälligen Besucher entfaltete sich eine lebendige syrische
       Kulturszene, die in den letzten Jahren noch gewachsen ist.
       
       Obwohl der Präsident des Goethe-Instituts München, Klaus-Dieter Lehmann,
       bekräftigte, man wolle es nicht bei den symbolischen 17 Tagen belassen,
       wird das Exil-Institut am 5. November schließen. Dann wird sich wieder
       zeigen, was uns fehlt: Strukturen, die das Ankommen erleichtern und
       Austausch ermöglichen. Dass ausgerechnet das Goethe-Institut, dessen
       Auftrag im Ausland liegt, hier eingesprungen ist, macht dies nur noch
       deutlicher. Aber ob ein Äquivalent im Inland, das sich der Realität der
       Migration weg von Krieg und Krise angepasst hat, vorstellbar ist? Das würde
       vermutlich einem Eingeständnis der Mitverantwortung Deutschlands
       gleichkommen.
       
       31 Oct 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sonja Vogel
       
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