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       # taz.de -- Schlagloch US-Kriegsführung: Komplizen des Abschlachtens
       
       > Unter Obama begann ein großes Schweigen über Opfer im Anti-Terror-Krieg.
       > Dafür sind besonders Drohnen verantwortlich.
       
   IMG Bild: Schont (weiße) SoldatInnen: Aufklärungsdrohne mit dem putzigen Namen „Mikado“
       
       Es war einer der letzten Tage jener Ära, die heute zu Ende geht, als um
       vier Uhr morgens in der Region Kundus in Afghanistan Dutzende Zivilisten
       durch US-Kampfflugzeuge ausgelöscht wurden. Die Dorfbewohner starben nicht
       etwa in einem Krieg, sondern durch eine sogenannte Ausbildungsmission, die
       auf den Namen „Resolute Support“hört.
       
       Die Frage, welche Ausbildungsinhalte durch ein Massaker vermittelt werden,
       hat nach Lage der Dinge rein rhetorischen Charakter. Auf einem
       Protestmarsch in Kundus forderten Angehörige der Opfer eine unabhängige
       Untersuchung; dazu wird es nicht kommen.
       
       Das Geschehen im Morgengrauen hat für uns so wenig Spektakuläres, weil ihm
       eine Kette ähnlicher Ereignisse vorausgegangen ist. Ein solcher Satz lässt
       sich kaum niederschreiben, ohne über ihn zu erschrecken. Auch um unserer
       selbst willen sollten wir deshalb am Ende einer US-Präsidentschaft, die mit
       dem Friedensnobelpreis begann, einen Moment innehalten und eine schlichte
       Frage zu beantworten suchen: Wie halten es die USA, wie hält es die Nato,
       der Westen mit dem Töten? Und welche Rechte hatten jene, die getötet
       wurden?
       
       Die Welt, wie sie in unseren Nachrichten abgebildet wird, ist gegenwärtig
       voll mit Verbrechen, bei denen die Täter nicht von unserer Seite sind. Über
       die eigene Seite zu sprechen, ist stets weniger en vogue, und zugleich
       merken wir an der Art öffentlichen Sprechens genau, welche Seite eben die
       unsrige ist. Deshalb sei vorausgeschickt: Anders als Kneipenschulden, die
       sich in dem Maße relativieren, in dem sie zur Gewohnheit von vielen werden,
       steht jede Verletzung von Menschenrechten für sich. Massaker lassen sich
       nicht gegeneinander aufrechnen.
       
       ## Der Drohnenkrieg schützt weißes Soldatenleben
       
       In der Ära Obama hat das Töten ein neues Merkmal bekommen, nennen wir es
       die Verdrohnisierung. Darunter ist zunächst, in einem engeren Sinne des
       Begriffs, das Werkzeug des Tötens zu verstehen: Mit Obama hat sich die Zahl
       der Drohneneinsätze im Vergleich zur Bush-Administration verzehnfacht.
       Allwöchentlich am Dienstag hat der Friedensnobelpreisträger persönlich die
       Liste für außergerichtliche Hinrichtungen abgezeichnet. Neben den zur
       „gezielten Tötung“ Ausersehenen kamen dabei viele andere ums Leben, gut
       informierte Kritiker sprechen von einer Rate von 28 zu 1. Das heißt: 28
       Menschen waren jeweils in einem willkürlich komponierten Geleitzug des
       Sterbens. Und da die US-Airbase Ramstein eine Relaisstation im Drohnenkrieg
       ist, durchqueren die Todessignale unsere schöne Pfalz.
       
       Unter Verdrohnisierung sollten wir gleichfalls die Rahmenhandlung des
       Tötens verstehen, auch wenn wie in Kundus andere Werkzeuge zum Einsatz
       kommen. Wer derart tötet, geht keine Gefahr für sich selbst ein; wie im
       Drohnenkrieg wird weißes Soldatenleben geschont. Es gibt keinen
       Kombattantenstatus, kein erklärtes Kriegsziel, keine Verhandlungsoption,
       und es werden keine Gefangenen gemacht. Es wird schlicht getötet, und wer
       zur falschen Zeit am falschen Ort ist, stirbt mit.
       
       ## Wieso heißt es Menschenrecht?
       
       Dafür ist Kundus in mehrfacher Hinsicht eine Metapher – auch das deutsche
       Kundus, bei dem im September 2009 an die hundert Zivilisten auf Befehl des
       Obersts Klein starben. Denn der Bundesgerichtshof hat jüngst entschieden,
       dass den Angehörigen der Opfer kein „Schadensersatz“ zusteht. Wer durch
       einen Auslandseinsatz der Bundeswehr seine Familie verliert, hat kein Recht
       auf Wiedergutmachung. Nach demselben Grundsatz hat die Bundesregierung
       stets Entschädigungsforderungen von Opfern der Kriegsverbrechen der NS-Zeit
       abgewehrt: Der einzelne Mensch hat kein Recht, nur sein Staat könnte etwas
       von unserem Staat fordern.
       
       Wieso aber heißt es dann Menschenrecht? Bisher konnten zivile Opfer noch
       versuchen, eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention
       geltend zu machen. Die britische Regierung will diesen Weg verschließen,
       indem für britische Soldaten im Kriegseinsatz die Konvention schlicht nicht
       mehr gelten soll. Der War on Terror in Irak und Afghanistan hatte 3.000
       Eingaben von Geschädigten nach sich gezogen: angesichts von massenhaft
       begangenem Unrecht in diesen Ländern keine große Zahl, doch nach den Worten
       von Expremier David Cameron eine „Hexenjagd“ auf britische Soldaten.
       
       ## Zu viele Tote im Netz
       
       Der Begriff vom asymmetrischen Krieg wurde einmal geprägt für Konflikte,
       bei denen wendige Guerillagruppen und Milizen auf konventionelle Armeen
       treffen. Heute gibt es eine andere Asymmetrie: zwischen Zivilisten und
       einer verdrohnten Kriegsführung.
       
       Einer Mode folgend könnten wir dies als typische Konstellation des
       postfaktischen Zeitalters bezeichnen. Wir sehen aus der Luft für einen
       Moment noch die Angehörigen der Opfer, die ihre erbärmlichen Forderungen in
       den Sandsturm brüllen, aber schon wenn die Bilder toter Babys im Netz
       auftauchen, wissen wir nicht, ob es Fake ist. Zu viele tote Kinder
       heutzutage im Netz. Postfaktische Opfer.
       
       Im Jemen werden unterschiedslos Schulen, Märkte, Krankenhäuser, Wohnhäuser
       bombardiert. Saudische Kriegsverbrechen mit amerikanischer und britischer
       Hilfe, denn deren Militärberater sind in die Kriegsführung nach saudischen
       Angaben direkt involviert. Die New York Times rang sich dazu durch, die
       Vereinigten Staaten wenigstens in der Kommentarspalte als „Komplizen des
       Abschlachtens“ zu bezeichnen, während hierzulande feuilletonistisch von
       einem vergessenen Krieg gesprochen wird.
       
       ## Die Ära Obama steht für Vorschub des Illusionären
       
       Deutschland hat in diesen Krieg allein in der ersten Hälfte diesen Jahres
       für eine halbe Milliarde Euro Rüstungsgut geliefert; Großbritannien
       verdient an den Kriegsverbrechen noch weitaus mehr. Anschließend schickt
       Europa einen Bruchteil der Rüstungsprofite als humanitäre Hilfe zurück, und
       eine im postfaktischen Irrlichtern begriffene Bevölkerung fragt sich
       besorgt, ob wir uns so viel westliche Großzügigkeit leisten können.
       
       Die Ära Bush war gekennzeichnet von offener Intervention und schrillen
       Tönen; wer wollte, konnte sehen, hören und begreifen, was vor sich ging.
       Die Ära Obama hat dem Illusionären Vorschub geleistet. Was kommt nun?
       
       12 Nov 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Charlotte Wiedemann
       
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