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       # taz.de -- Koalition gegen den IS: Der „gute“ verwirrende Krieg
       
       > Sunniten, Schiiten, Araber und Kurden kämpfen gemeinsam im irakischen
       > Mossul und im syrischen Rakka. Was kommt nach dem Sieg?
       
   IMG Bild: Ein Kämpfer der Anti-IS-Koalition nördlich der vom IS beherrschten syrischen Stadt Rakka
       
       Mossul taz | Die große Schlacht gegen den IS ist in vollem Gange. Erst war
       es nur die Mossul-Offensive im Irak, jetzt wurde dieses Wochenende auch der
       Vormarsch auf die zweite IS-Hochburg Rakka in Syrien ausgerufen. Was auf
       den ersten Blick wie ein Kampf zwischen Gut und Böse aussieht, bleibt am
       Boden ein hässlicher Krieg. Und einer, der viele Fragen aufwirft. Denn in
       der Mischung der mühsam zusammengezimmerten Anti-IS-Koalition und
       konkurrierenden Regionalinteressen zeichnen sich schon heute die nächsten
       Konfliktlinien ab.
       
       Die militärische Lage ist unübersichtlich. Die irakische Armee rückt im
       Moment in den östlichen Vierteln Mossuls vor und trifft dort auf heftigen
       Widerstand. Der Vormarsch wird auch durch IS-Scharfschützen, Sprengfallen
       und vor allem Autobomben und Selbstmordattentäter verlangsamt. Den
       Antiterroreinheiten der Armee fällt es offensichtlich trotz aller
       Erfolgsmeldungen schwer, Brückenköpfe in den Außenbezirken der Stadt zu
       halten und auszubauen.
       
       Für die Zivilisten ist die Flucht aus der Stadt lebensgefährlich, nicht nur
       weil sie von den IS-Kämpfern zurückgehalten und als lebende Schutzschilde
       missbraucht werden. Auch sich der irakischen Armee mit Fahrzeugen oder zu
       Fuß zu nähren, kann das Leben kosten. Die Nervosität unter den Soldaten ist
       hoch, weil sich IS-Selbstmordattentäter immer wieder weiße Fahnen schenkend
       als Flüchtlinge ausgeben, um sich dann nahe der Truppen in die Luft zu
       jagen. Im Zweifelsfall wird daher erst geschossen – und dann gefragt.
       
       „Die Menschen im Osten der Stadt sind in ihren Häusern eingeschlossen und
       atmen Schießpulver statt Sauerstoff“, schreibt ein unbekannter Chronist in
       der Stadt, der sich „Mossul Eye“ nennt, die Lage auf Twitter. Für die
       Zivilisten sei es zu gefährlich, sich in den ruhigeren Westen Mossuls. Und
       die Menschen dort überlegen, ob sie sie sich in den Osten durchschlagen
       sollen, um dann über die Linien der irakischen Armee ganz aus der Stadt
       fliehen zu können.
       
       ## Die Not der Zivilisten
       
       „Sollen wir in den Häusern bleiben oder rauskommen?“ – das ist laut Mossul
       Eye die große Frage der Zivilisten. „Vielleicht wird die Sonne über der
       Stadt aufgehen und wir werden befreit, vielleicht auch nicht. Aber wenn wir
       sterben, wer begräbt uns?“
       
       Im Nordosten rücken unterdessen kurdische Peschmerga-Kämpfer vor und haben
       dort den wichtigen Ort Bashiqa erobert. Ausgemacht ist unter der
       Anti-IS-Koalition, dass die Peschmerga nur bis einen Kilometer vor die
       Stadt mit ihrer vornehmlich verbleibender sunnitischer Zivilbevölkerung
       vorrücken. Aber niemand kann derzeit wirklich sagen, ob die irakische Armee
       tatsächlich allein den brutalen Häuserkampf bestehen kann. Im Süden der
       Stadt hat sie unterdessen den Vorort Hamman al-Alil erobert und steht fünf
       Kilometer vor dem strategisch wichtigen Flughafen von Mossul.
       
       ## Schiitenmilizen und sunntische Einwohner
       
       Im Westen versuchen derweil die schiitisch dominierten
       Haschid-Schaabi-Milizen, den Ort Tel Afar einzunehmen. Dabei geht es auch
       darum, den letzten verbleiben Zugang nach Mossul Richtung Westen
       abzuschneiden – und die Nachschublinien des IS in Richtung Syrien. Das ist
       wahrscheinlich derzeit das militärtaktisch wichtigste Unternehmen, aber
       gleichzeitig auch das umstrittenste. Denn die schiitischen Milizen, die
       auch vom Iran finanziert und gelenkt werden, sind für die mehrheitlich
       sunnitischen verblieben Einwohner der Stadt das Synonym für Angst und
       Schrecken.
       
       Amnesty International hatte bei der Rückeroberung Falludschas vom IS im
       Juni von Massenerschießungen und Folter seitens dieser Milizen berichtet.
       Die Opfer: Sunniten. Es ist wohl an den USA, die Zentralregierung in Bagdad
       immer wieder daran zu erinnern, dass derartiges nicht noch einmal passieren
       darf, da damit bereits die Saat für einen neuen sunnitisch-schiitischen
       Konflikt gesät würde, der Wasser auf den Mühlen des IS wäre: Die
       Dschihadisten vermerkten sich immer wieder als die Schutzmacht der Sunniten
       im Irak.
       
       ## Testfall für die Koalition
       
       Auch abgesehen von den schiitischen Milizen ist die Behandlung der
       sunnitischen Bevölkerung und der Flüchtlinge ein politischer Testfall für
       die Anti-IS-Koalition. Und der ist auch jenseits der
       schiitisch-sunnitischen und kurdisch-arabischen Rivalitäten nicht einfach
       zu handhaben. Denn die Angst ist groß, dass sich unter den fliehenden
       Zivilisten auch IS-Kämpfer befinden, weshalb die männlichen Flüchtlinge
       zunächst ausgesondert und überprüft werden. Wie das geschieht, darüber gibt
       es viele Gerüchte und wenig handfestes. Aber auch hier könnte das Fundament
       für einen neuen Konflikt gelegt werden.
       
       Der IS wiederum wird seine Taktik ändern, wenn er das besetzte Territorium
       nicht militärisch halten kann. Schon jetzt tauchen die Dschihadisten immer
       wieder mit Guerilla-Aktionen hinter den feindlichen Linien auf – an Orten,
       die bereits als sicher gelten. Selbst weit weg vom Schlachtfeld zeigen
       IS-Zellen blutige Präsenz , etwa bei Anschlägen in Tikrit und Samara, zwei
       irakischen Städten, die schon lange als gesäubert galten.
       
       ## Asymetrischer Kriegsführung nimmt zu
       
       Es ist klar, dass der IS angesichts der militärischen Überlegenheit der
       Anti-IS-Koalition immer mehr zu asymetrischer Kriegsführung greifen wird.
       Über hundert Autobomben zählte Major General Maan al-Sadi, der Kommandeur
       der irakischen Antiterroreinheit, alleine im Osten der Mossuls, nur einer
       der vielen Fronten in und rund um die Stadt. Selbst wenn irgendwann in den
       nächsten Wochen oder Monaten die Eroberung Mossuls verkündet werden wird:
       Ein sicherer Ort wird die Stadt noch lange nicht sein.
       
       Beim militärischen Sieg über die Dschihadisten wird davon abhängen, ob es
       gelingt, ihren operativen Spielraum einzuschränken. Die Eroberung der
       zweiten IS-Hochburg, Rakka in Syrien, spielt dabei eine zentrale Rolle.
       Offensichtlich wurde jetzt beschlossen, dort nicht mit dem Angriff zu
       warten, bis Mossul erobert ist. Am Sonntag verkündeten die Syrischen
       Demokratischen Kräfte SFD, ein Bündnis aus kurdischen und arabischen
       bewaffneten Gruppen, den Beginn der Offensive gegen Rakka.
       
       ## Ankara und die Kurden
       
       Besonders delikat: Wichtigste Komponente dieser Truppe sind die
       syrisch-kurdischen Volksschutzeinheiten YPG, ein Ableger der
       türkisch-kurdischen PKK. Das wirft viele Fragen auf, etwa die, wie
       willkommen diese Streitmacht in der sunnitisch-dominierten Stadt ist; und
       vor allem, ob die Türkei eine solche Offensive nicht sabotiert. Ankara ist
       der kurdische Expansionismus im Nachbarland schon lange ein Dorn im Auge.
       
       Die USA haben beim Bilden der Anti-IS-Koalition in Syrien im Sinne der
       Dringlichkeit ganz offensichtlich der YPG den Vorzug über dem Nato-Partner
       Türkei gegeben, die ihre eigenen Anti-IS-Kämpfer ausbildet. Für die USA
       sind die Peschmerga derzeit die einzige Bodentruppe in Syrien, die effektiv
       Rakka isolieren kann. Stephen Townsend, Kommandeur der amerikanischen
       Operationen im Irak und in Syrien, erklärte vor wenigen Tagen unumwunden,
       dass die YPG die einzige Kraft sei, die das in näherer Zukunft in einen
       vernünftigen Zeitrahmen schaffen könne.
       
       ## Die USA brauchen Bodentruppen
       
       Geht es nach dem US-Plan, dann sollen die Kurden zunächst Rakka von der
       Außenwelt abschneiden. Dann sollen sunnitische Einheiten die Stadt erobern.
       Aber niemand weiß im Moment, welche Dynamik die Offensive tatsächlich
       annehmen wird. Das größte Dilemma der USA in Syrien ist, dass sie sich –
       anders als im Irak – dort keiner regulären Armee als Bodentruppe bedienen
       kann. Auch als „Militärberater“ sind US-Einheiten in Syrien wesentlich
       weniger präsent als im Irak. Bleibt die „Zusammenarbeit mit lokalen
       Partnern“, wie es im US-Militärjargon heißt.
       
       Mit den Truppen von Präsident Bashar al-Assad will Washington nicht
       zusammenarbeiten. Ohnehin waren die erst im Juni bei ihrem bisher einzigen
       Versuch, auf Rakka vorzustoßen, zurückgeschlagen worden. Seitdem kämpfen
       sie dort lieber gegen andere Rebellengruppen, während sich russische
       Kampfjets auf das Bombardieren von Rebellenstellungen konzentrieren – ,
       weit weg vom selbsternannten IS-Kalifat.
       
       ## Zwei Rezepte für Instabilität
       
       Die Türkei ist über die neue Rakka-Offensive selbstredend wenig erfreut.
       Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte erst letzte Woche in einem Telefonat
       US-Präsidenten Obama darum gebeten, die Kurden aus der Schlacht
       herauszuhalten. Sein Verteidigungsminister erklärte, dass YPG geführte
       Operationen zu mehr Instabilität in Rakka führen würde. Die Türkei wird
       sich nicht einfach abspeisen lassen. Sie in die Schlacht einzubeziehen ist
       derzeit ebenso ein Rezept für Instabilität, wie sie herauszuhalten.
       
       Es gäbe da rund um Rakka eine Menge regional konkurrierender
       Sicherheitsbedenken, fasst US-Gerneral Townsend die unübersichtliche Lage
       zusammen. „Das syrische Regime mischt mit, ebenso wie Russland und die
       Türkei. Und nur am Rande bemerkt: Nebenan tobt noch ein Bürgerkrieg“.
       
       8 Nov 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Karim El-Gawhary
       
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