URI: 
       # taz.de -- Science-Fiction von vorgestern: Fremdscham im Cyberspace
       
       > Der Radio-Bremen-Tatort „Echolot“ versucht, der neuen Arbeitswelt auf den
       > Zahn zu fühlen – und scheitert dabei an seinem Genreballast
       
   IMG Bild: Bis hierhin ging's noch gut: Dreharbeiten zum Zukunfts-Tatort
       
       Hat der „Tatort“ erst Wind bekommen von einem gesellschaftlichen Problem,
       dann ist es entweder seit ein paar Jahren vom Tisch, oder der Welt längst
       über den Kopf gewachsen. Manchmal passiert erstaunlicherweise auch beides
       zugleich, wenn das öffentlich-rechtliche Erfolgsmodell einem Thema
       hinüberhilft in die Kultursphäre – also raus aus den Nachrichten und rein
       in die Köpfe, wo die Uhren anders ticken.
       
       Der kommende Tatort „Echolot“ handelt etwa von Menschmaschinen, von
       künstlicher Intelligenz und restlos entgrenzter Arbeitswelt. Es ist also
       Science-Fiction-Stoff, der die Bremer Kommissare Inga Lürsen (Sabine
       Postel) und Stedefreund (Oliver Mommsen) beschäftigt. Aber eben ganz alter:
       In den 60ern hat sowas die Literaten umgetrieben, in den 80ern ist es Genre
       geworden und seitdem wird peu à peu Realität draus.
       
       In „Echolot“ stehen ein paar Jungunternehmer vor dem Durchbruch mit ihrer
       Softwareklitsche. Sie haben ihre Kollegin Vanessa (Adina Vetter) digital
       geklont, um sie als virtuelle Assistentin auf den Markt zu bringen. Auch
       die Investoren sind glücklich, bis Vanessa bei einem mysteriösen Autounfall
       stirbt und die Polizei anrückt. Nun macht man sich mit Spoilern nicht
       gerade beliebt, und vermutlich ahnen Sie eh schon zu viel.
       
       Trotzdem muss auch diese Andeutung sein: Die tatsächlich interessante
       Frage, warum diese supersympathischen Start-ups ständig noch vor Börsengang
       vom Hipster-Freundeskreis mit geduztem Chef zum denkbar ekelhaftesten
       Ausbeutungsladen anwachsen – das Drängende also – verbaut sich dieser
       Tatort gewaltig. Weil er statt der üblichen Sozialklamotte eine
       Räuber(strahlen)pistole abliefert und (dann auch noch erzählerisch
       ungelenk) am Was-Wäre-Wenn der schönen neuen Welt herumspekuliert.
       
       ## Stuttgart hatte die gleiche Idee
       
       Lustigerweise hat gerade Ende August der Stuttgarter Tatort in der Episode
       „Hal“ die gleiche eigentlich abwegige Story durchexerziert. Das zumindest
       gut gemeint als Hommage an Genreklassiker. Da machte es auch nichts, wenn
       verschmerzbare Erzählschwächen sich mit technologischem Vollschwachsinn
       paaren.
       
       In Bremen aber tut genau das richtig weh. Die im Tablet animierte Tote kann
       alles: als Chatbot täuschend echt die Telefonate der realen Vanessa führen,
       in Videos aus Körpersprache Persönlichkeitsprofile erstellen und in
       derselben Sekunde schon an die Polizei gemailt haben – sogar ein „Star
       Trek“-Holodeck liefert sie mit.
       
       Mit VR-Brille auf der Nase, bekommt man nicht nur ein dreidimensionales
       Bild von Vanessa, sondern kann sogar mit ihr schlafen. Und das in einem
       sonderbaren Cyberspace, in dem Dritte von draußen über den Monitor sogar
       noch zugucken können bei dem Schweinkram.
       
       ## Es hätte so schön sein können
       
       Folgenschwer ist nicht der Quatsch, sondern die Ignoranz gegenüber echter
       Technik. Spielt ein Tatort heute die alten Geschichten von Asimov oder
       Philip K. Dick nach, macht er die feuchten Träume und Durchhalteparolen der
       Internetfritzen wahr, statt sie zu hinterfragen.
       
       „Echolot“ ist der Auftakt der ARD-Themenwoche „Zukunft der Arbeit“ – da
       wäre es großartig gewesen, die Technomärchen zu entzaubern und das Tagewerk
       der Codeknechte als stinknormale Lohnarbeit zu entlarven. So ein Tatort
       wäre eine tolle Sache. „Echolot“ ist es nicht.
       
       Die Tatort-Episode „Echolot“ läuft am 30. Oktober um 20.15 Uhr im Ersten.
       
       28 Oct 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan-Paul Koopmann
       
       ## TAGS
       
   DIR Tatort
   DIR Science-Fiction
   DIR Tatort Bremen
   DIR Schwerpunkt Künstliche Intelligenz
   DIR TV-Krimi
   DIR Tatort
   DIR NDR
   DIR Tatort Bremen
   DIR Prostitution
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR SWR-„Tatort“ aus Stuttgart: Schöne Grüße aus 2017
       
       In einer sehr nahen Zukunft müssen sich die Kommissare Lannert und Bootz
       mit hyperintelligenter Analysesoftware herumschlagen.
       
   DIR NDR und Radio Bremen feiern Geburtstag: Old School
       
       Radio Bremen und der NDR feiern dieser Tage Geburtstag. Grund zur Freude?
       Oder hat das öffentlich-rechtliche Fernsehen seine besten Zeiten hinter
       sich?
       
   DIR „Tatort“ aus Bremen: Der Öko als Ballaballa-Typ
       
       Tote gibt’s im Bremer „Tatort“ genug: Und zwar im Kampf der Umweltschützer.
       Doch die Folge strotzt am Ende von Klischees.
       
   DIR „Tatort“ aus Bremen: Entdeckung der Fehlbarkeit
       
       Wenn Kommissarin Lürsen nicht die Kümmermutti spielt, sondern die
       zerknirschte Zweiflerin, gibt es ganz großes Kino. Mit Spannung bis zum
       Schluss.