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       # taz.de -- Frauen in der Bodybuilding-Szene: Unter den Starken die weiblichste
       
       > Muskeln bei Frauen sind jetzt angesagt. Sie präsentieren sie auf
       > Bodybuilding-Wettbewerben und im Netz. Ist das ein Bruch mit
       > Gendernormen? Nicht ganz.
       
   IMG Bild: Wie ist das, den Körper durch hartes Training zu stählen? Monique Heckenthaler findet es super
       
       Jede Muskelfaser ihres durchtrainierten Körpers ist angespannt. Monique
       Heckenthaler steht gerade, das rechte Bein leicht angewinkelt, die rechte
       Hand auf die Hüfte gestützt. Die Stränge ihrer Oberschenkelmuskeln treten
       hervor, die sechs Vierecke ihres Bauches, die Muskeln ihres Oberarms
       schimmern wegen der Bräunungscreme auf ihrer Haut. Ihr stark geschminktes
       Gesicht wirkt ebenso angespannt wie die Muskeln. Aber sie steht auch gerade
       vor mehreren hundert Menschen auf einer Bühne – und trägt nur einen
       hellblauen Glitzer-Bikini und High Heels.
       
       Sie reckt den Arm in die Luft, schwingt dabei die Hüfte und zwinkert dem
       Publikum zu. Das applaudiert und pfeift, übertönt kurz den Eurodance-Track,
       der von der Bühne schallt. Dann dreht Monique Heckenthaler sich um. Ihr
       Tattoo ist zu sehen, eine Blumenranke, die sich über ihre Schultermuskeln
       ausbreitet. Kurz reckt sie den Hintern ein Stück vor, dann stellt sie sich
       zu vier anderen Frauen im Bikini, die auf der Bühne stehen – alles
       Kandidatinnen beim zweiten Internationalen Berlin Cup, einem Wettbewerb im
       Bodybuilding.
       
       Zwölf Wochen intensives Training mit mehreren Besuchen im Fitnessstudio pro
       Tag und einer Diät streng nach Plan liegen hinter Heckenthaler. Die
       Athletin tritt in der Bikini-Klasse an – „die weiblichste“ Klasse, weil
       Frauen im Gegensatz zu der Figur- oder der Physique-Klasse dort zwar
       Muskeln haben, nicht aber ihre weibliche Statur verlieren sollen. Während
       es Frauenbodybuilding schon seit den siebziger Jahren gibt, wurde diese
       Klasse erst 2010 eingeführt, als Einstiegsklasse. Denn athletische Frauen
       gibt es immer mehr – auch außerhalb der Bodybuilding-Szene.
       
       Auf YouTube geben Fitness-Bloggerinnen wie Sophia Thiel Tipps für den
       effektivsten Muskelaufbau. Ihr beliebtestes Video hat über drei Millionen
       Klicks. Auf Instagram sammeln sich unter Hashtags wie #fitgirl über 12
       Millionen Beiträge. Sichtbare Bauchmuskeln sind angesagt – nicht mehr nur
       das berühmte Sixpack, sondern auch die „Ab Crack“, eine tiefe Spalte
       zwischen dem linken und dem rechten Muskelstrang. In der [1][Erhebung
       „Frauenfitness Deutschland 2016“] gaben über 70 Prozent der Befragten an,
       dass es ihnen beim Training darum gehe, mehr Muskelmasse aufzubauen. Was
       steckt hinter dieser neuen Faszination?
       
       Monique Heckenthaler, die vor zwei Jahren mit dem Bodybuilding begann,
       sagt, sie sei vor allem neugierig gewesen. „Ich bin auch vorher schon ins
       Fitnessstudio gegangen. Da kriegt man mit, dass es diesen Sport gibt“,
       erzählt sie. „Dann fing ich an, mich zu fragen, ob ich selbst auch in der
       Lage dazu wäre.“
       
       ## Harter Plan
       
       Es ist Dienstagabend, bis zum Berlin Cup sind es nur noch fünf Tage.
       Heckenthaler sitzt an ihrem Esstisch, vor ihr eine Schale Kekse, hinter ihr
       auf einer Kommode zwei Pokale. Links für den vierten Platz der
       Weltmeisterschaft in Slowenien, rechts für den dritten Platz bei der
       ostdeutschen Meisterschaft. Sie rahmen die Athletin ein. Im hinteren Teil
       des Zimmers läuft der Fernseher, ihre beiden Söhne sitzen davor, lachen
       über die Comicfigur Charlie Brown. Auf Heckenthalers rosafarbenem Hoodie
       steht „No pain, no gain“, „kein Schmerz, kein Gewinn“. „Ab dem Tag, an dem
       man sich entscheidet, das zu machen, gibt es einen Plan. Und an den Plan
       hält man sich.“ Den letzten Satz sagt sie lauter, lässt zwischen jedem Wort
       eine Pause, schlägt die Kante ihrer rechten in die Handfläche der linken
       Hand – als wolle sie sich die Worte einhämmern.
       
       Der Plan ist hart. Gewichtheben, bis die Muskeln zittern, Ausdauereinheiten
       bis zur Erschöpfung. In manchen Phasen muss sie zweimal am Tag ins
       Fitnessstudio. Dazu eine Ernährungsumstellung: sechs Mahlzeiten täglich,
       viel Fleisch, viel Fisch. Jede wird bis aufs Gramm genau abgewogen. Das
       musste sie erst in ihren Alltag einbauen – Heckenthaler ist Mutter und
       arbeitet als Bürokauffrau. Sonntags stehen ihr Mann und sie oft in der
       Küche, schnippeln das Essen für die Woche. Das wird dann zubereitet und in
       Dosen gepackt. Die hat sie immer dabei, alle zweieinhalb Stunden muss sie
       etwas essen.
       
       Eine große Veränderung für ihren Alltag. Aber die ersten Ergebnisse
       spornten sie an, ließen sie trotz des riesigen Aufwands weitermachen. „Ich
       hab mich gefragt: ‚Ey, wo soll denn dieser Sixpack herkommen?‘ Also habe
       ich den Bauch trainiert, jeden Tag: die Übung, die Übung, die Übung. Und
       von vorn“, sagt sie. „Dann sieht man Erfolge und ist neu entflammt. Das ist
       einfach geil.“
       
       Zu sehen, wie sie ihren Körper selbst formen kann, faszinierte sie. Mehr
       noch die Willenskraft, die sie entwickelte. Heckenthalers fünfjähriger Sohn
       kommt zu ihr, klettert auf ihren Schoß und zeigt auf die Kekse. „Möchtest
       du so einen?“, fragt sie, reicht ihrem Sohn ein Plätzchen. Sie selbst kann
       sie nicht essen, in den letzten Tagen vor dem Wettbewerb sind keine
       Kohlenhydrate mehr erlaubt. „Ich hätte so Bock auf Eis“, sagt sie und nimmt
       einen Schluck von ihrem Protein-Drink.
       
       Selbstdisziplin ist auch für dieses Schönheitsideal nötig, genau wie bei
       dem der mageren Frau. Aber die Symbolik ist eine schönere: Statt zu
       hungern, um „size zero“, also im wahrsten Sinne nicht da zu sein, nehmen
       Frauen nun mehr Platz ein, sind präsent, stark, kraftvoll. Um das Ideal zu
       erreichen, muss nicht vornehm verzichtet werden, sondern harte Arbeit ist
       nötig. Im muskulösen Körper der Frau wird der Wille zu Leistung und
       Disziplin sichtbar.
       
       Das kann man negativ sehen: dass eine weitere Stufe der wahnhaften
       Leistungsgesellschaft erreicht ist. Selbstoptimierung als letzte
       kapitalistische Konsequenz. Oder positiv: dass Frauen ihre Stärke nach
       außen tragen. „Man wirkt ganz anders auf Menschen, wenn man sportlich ist.
       Man verändert die Körperhaltung und geht viel aufrechter durchs Leben“,
       sagt Heckenthaler. Sie setzt sich noch gerader hin, zieht die Schultern
       zurück. „In gewisser Weise trainiert man seinen Charakter mit.“ Sie sei vor
       dem Sport oft unsicher gewesen, habe nie gern vor Leuten gesprochen. Jetzt
       sei das kein Problem mehr. Was, wenn die Muskeln plötzlich weg wären? Die
       Athletin zieht die Augenbrauen hoch, schüttelt den Kopf. „Das wird’s nicht
       geben“, sagt sie knapp.
       
       Einmal war sie schwach, nach der Schwangerschaft, als sie eine Entzündung
       im Rücken hatte. „Die Entzündung zu kurieren hat ewig gedauert, ich war
       gehandicapt als Person, konnte die Babys nicht tragen. Ich habe Hilfe
       gebraucht, hatte Schmerzen, konnte nicht Frau und Mutter sein. Ich war
       einfach krank“, sagt sie. Zum erstem Mal während des Gesprächs spricht sie
       leise, gestikuliert nicht mit den Händen. Dann setzt sie sich wieder gerade
       auf, schüttelt nochmals den Kopf, wiederholt: „Nein, das wird’s nicht
       geben.“
       
       ## Ein anderer Blick
       
       Für Monique Heckenthaler ist Muskelaufbau mehr als Sport. Er gehört zu
       ihrer Identität. Selbst wenn sie deswegen angefeindet wird. „Manchmal hört
       man schon, dass man zu viele Muskeln für ’ne Frau habe. Oder ‚boah, eklig‘
       “, sagt sie. „Ich glaube, dass man mittlerweile weg ist von diesem
       ‚Germany’s next Topmodel‘-verhungert. Frauen wollen gesund sein, Muskeln
       haben. Aber nicht alle finden das toll.“ Denn obwohl es immer mehr
       trainierte Frauen gibt, gelten Muskeln noch immer primär als männlich. Das
       manifestiert sich nicht nur in Kommentaren, sondern auch in jener
       Bikini-Klasse, in der Heckenthaler antritt. Die Athletinnen müssen hier
       beweisen, dass sie trotz Muskeln Frauen sind. Als sei muskulös und weiblich
       ein Widerspruch. Die Kandidatinnen tragen bewusst lange Haare und
       Fingernägel, Lidschatten und viel Glitzer. Der Blick auf die Frau im
       Bodybuilding ist anders als der auf den Mann.
       
       Es ist Sonntag, der Tag des Wettbewerbs. Monique Heckenthaler steht noch
       immer auf der Bühne, nutzt noch das letzte bisschen Aufmerksamkeit, um sich
       zu präsentieren. Sie blickt von einem Jurymitglied zum nächsten, lächelt,
       zwinkert. Noch weiß sie nicht, dass sie in wenigen Minuten einen weiteren
       Pokal in der Hand halten wird, den sie auf die Kommode ins Wohnzimmer
       stellen kann: den zum 3. Platz des zweiten Internationalen Berlin Cups.
       
       26 Nov 2016
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.fitogram.de/plus/posts/frauen-fitness-2016-studie?action=show&controller=blog%2Fposts&host=www.fitogram.de&id=frauen-fitness-2016-studie
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Maike Brülls
       
       ## TAGS
       
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