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       # taz.de -- Zwangsräumung erfolgreich verhindert: Wie aus dem Protest-Bilderbuch
       
       > In Kreuzberg sollte am Donnerstag eine Wohnung geräumt werden. Rund 100
       > Menschen protestieren vor dem Haus, bis die Gerichtsvollzieherin
       > kehrtmacht.
       
   IMG Bild: Protest gegen Zwangsräumungen ist in Berlin mittlerweile gut eingespielt
       
       An der Ecke zwischen Wrangel- und Skalitzer Straße sitzt Hans-Georg „HG“
       Lindenau in der Vormittagssonne. Seinen Rollstuhl hat er so ausgerichtet,
       dass er die Kreuzung gut im Blick hat, in der Hand hält er ein Mikrofon,
       über das er mit sanfter Stimme das Geschehen kommentiert: „Die
       Hausverwaltung trinkt nun einen Kaffee und ist verstimmt“, sagt er, oder:
       „Die Polizisten ziehen sich zurück und beraten sich eifrig“. Der über
       Kreuzberg hinaus berühmte Inhaber des M99 – Gemischtwarenhandel mit
       Revolutionsbedarf in der Manteuffelstraße war selbst bis vor Kurzem von
       einer Zwangsräumung bedroht, nun liefert er die Tonspur zu einer
       Räumungsblockade, die an diesem Donnerstagvormittag so glatt abläuft, als
       wäre sie einem Kreuzberger-Protest-Bilderbuch entnommen.
       
       Aber der Reihe nach, denn auch die Vorgeschichte ist wie aus dem
       Bilderbuch, allerdings aus einem anderen: Nach Darstellung des Bündnis
       Zwangsräumung verhindern, das zu der Blockade aufgerufen hatte, geht es um
       einen Mieter, der seit 31 Jahren in der Skalitzer Straße 64 wohnt. Vor
       einem Jahr habe der Eigentümer des Hauses gewechselt. Weil der Wechsel der
       Kontodaten für die Mietüberweisung nicht klar kommuniziert worden war, habe
       es Verzögerung bei der Mietzahlung gegeben, woraufhin die Firma sofort ein
       Räumungsverfahren eröffnet habe. Von seiner eigenen Räumung habe der Mieter
       erst vor wenigen Tagen erfahren und sich daraufhin an das Bündnis gewandt.
       
       Nachzuprüfen ist die Geschichte nicht: Der neue Eigentümer, die
       Düsseldorfer&Berliner Grundeigentümer GmbH, verweist auf Anfrage an die
       Hausverwaltung, diese will „ganz sicher nicht mit der Presse reden“, wie
       eine Dame am Telefon erklärt.
       
       Zur Blockade der auf 10:30 Uhr angesetzten Räumung sind jedenfalls gut 100
       Leute gekommen, obwohl die Aktion nicht öffentlich angekündigt worden war.
       Ebenfalls erschienen sind die Gerichtsvollzieherin in polizeilicher
       Begleitung sowie eine Vertreterin der Hausverwaltung, die allerdings den
       Ort des Geschehens verlässt, nachdem sie beim Kaffeetrinken im schicken
       neuen Café an der Straßenecke gegenüber von den ProtestlerInnen entdeckt
       und ausgebuht wurde.
       
       Erst mal heißt es warten: Polizei, Hausverwaltung und Gerichtsvollzieherin
       fahren in einer Wanne um den Block und beraten offenbar das weitere
       Vorgehen; die Menge hat sich vor den beiden Hauseingängen postiert.
       
       Ein paar Kreuzberger Szenen verkürzen die Wartezeit: Einer der linken
       Demonstranten will in dem schicken neuen Café einen „Cocoa Latte“ bestellen
       und ist ganz enttäuscht als die freundliche Bedienung ihm verrät, dass sich
       dahinter nur ein schnöder Kakao verbirgt. Zwei vielleicht dreizehnjährige
       Jungs bitten HG um sein Mikrofon und rufen kichernd „Free Palestine“
       hinein. Der arabische Besitzer des schicken Cafés kommt rüber und schimpft,
       weil sein Laden zur Protestzielscheibe wurde; ein anderes Geschäft
       spendiert eine Ladung Coffee-to-go an die DemonstrantInnen.
       
       Um 11:25 dann schließlich die freudige Nachricht: Hausverwaltung und
       Gerichtsvollzieherin haben sich darauf geeinigt, den Termin abzusagen, die
       Räumung ist zumindest für diesen Tag verhindert. HG verkündet die
       Neuigkeiten – und zur Feier des Tages gibt es von ihm noch ein Lied
       inklusive seiner berühmten Triller obendrauf.
       
       24 Nov 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Malene Gürgen
       
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