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       # taz.de -- Gender als Lifestyle: Wie queer ist der Hipster?
       
       > Er gibt sich postphallisch. Doch die Inszenierung seiner Männlichkeit ist
       > nur scheinbar zurückhaltend: Sein Bart steht für „natürliche“
       > Maskulinität.
       
   IMG Bild: Kein Bart, kein Hipster
       
       Seit den 2000ern ist popkulturell ein Männertypus in Erscheinung getreten,
       der seine Maskulinität nicht mehr plakativ in Szene setzen muss: der
       Hipster. Eine lässige Figur, deren eklektischer Stil sich auf den ersten
       Blick zu keinem Bild machtvoller Männlichkeit fügt. Der Hipster erscheint
       ebenso hybrid wie transnational, er bevölkert die Cafés in Brooklyn oder
       Berlin-Neukölln.
       
       Das Repertoire seiner Stile und Gesten verdankt sich verschiedenen Archiven
       der Jugendkultur nach 1945. Der Hipster ist eine Neuauflage einer
       Männerfigur – Frauen kommen im Hipster-Diskurs kaum vor –, die der
       Schriftsteller Norman Mailer Ende der 1950er Jahre als White Negro
       beschrieben hatte. Weiße Jungs mit Collegeabschluss tun so, als seien sie
       schwarze Outcasts. Wie die Beat-Poeten. Dabei geht es zunächst um eine
       Aneignung schwarzer Sexualität durch Weiße. Äußerlich reklamierte der
       Hipster zugleich auch seine Nähe zum White Trash – der US-amerikanischen
       Unterschicht. Mit seinen erkennbaren Zeichen, Trucker-Cap, Flanellhemd und
       Unterarm-Tattoos betreibt er somit eine Art von ethnischem und sozialem
       Crossdressing.
       
       Auch in seiner Neuauflage der 2000er will er eine nicht-konforme
       Maskulinität präsentieren. Wie ist diese im Kontext gegenwärtiger
       Genderpolitik zu verstehen? Ist der Hipster eine queere Figur? Mit seinen
       eher unaufdringlichen Gender-Zitaten präsentiert der Hipster zunächst einen
       diversifizierten postphallischen Stil. Die Rauheit einer imaginierten
       Arbeitermännlichkeit wird ins Spielerische gewendet. Seine Sexualität ist
       domestiziert und nur noch zu erahnen. Um als intakte Inszenierung von
       Maskulinität durchzugehen, sind seine umgekrempelten Röhrenjeans durch die
       Kombination mit übergroßen T-Shirts zu stilsicher gebrochen. Die
       Versatzstücke seines Auftritts haben in den wiederholten Runden des
       subkulturellen Recyclings die Kraft verloren, Authentizität zu versprechen.
       
       Der Hipster ist eine Modefigur. Ist das Verweisspiel seiner Zeichen damit
       eine Kritik an einer Kultur, die sonst der Faszination von Männlichkeit
       erliegt? Bedeutet der Hipster so gesehen einen genderpolitischen
       Fortschritt?
       
       ## Widersprüchliche Figur
       
       Doch der Hipster kokettiert nicht nur mit der Mobilität seines Genders,
       sondern insistiert gleichzeitig auch auf seiner „Natürlichkeit“. Er ist
       eine widersprüchliche Figur. Seinen Anspruch auf Männlichkeit demonstriert
       er weder mit aufgepumpten Muskeln noch mit Machogehabe. Der Hipster
       erledigt dies auf schlichtere, aber effektive Weise. Egal was er anhat, das
       unvermeidliche Kennzeichen des Hipsters ist der Bart. Welches Verhältnis
       von Männlichkeit und Mode wird damit entworfen?
       
       Gender Studies und Queer Theory liefern hier die Instrumente, um zu
       verstehen, wie die Repräsentation von Maskulinität und Männlichkeit im Fall
       des Hipsters funktioniert. Entscheidend ist dabei die Unterscheidung von
       Sex als biologischem und Gender als sozialem Geschlecht. Wie genau nun aber
       das Verhältnis von Sex und Gender zu denken ist, ist seit Simone de
       Beauvoir eine zentrale Frage zunächst eines feministischen und dann eines
       queeren Projekts.
       
       Auf den ersten Blick scheint es so, dass Sex auf andere Weise als Gender
       operiert. Wenn wir Männlichkeit als Bezeichnung des biologischen
       Geschlechts und Maskulinität für das soziale verwenden, funktioniert
       Männlichkeit als Markierung einer körperlichen Materialität, den primären
       (Penis) und sekundären (Muskeln, Bartwuchs, Stimme) Geschlechtsmerkmalen.
       Im Unterschied dazu zeigt sich Maskulinität im Sinne von Gender als ein
       Repertoire an Haltungen, Gewohnheiten und Stilen, die mit den materiell
       gegebenen Merkmalen arbeiten, sich aber keineswegs auf diese reduzieren
       lassen. So können Stilelemente von Gender als Habitus zusammengefasst
       werden (Bourdieu), über die ein Körper in sozialen Kontexten wiederholt in
       Szene tritt.
       
       Schon die Queertheoretikerin Eve Sedgwick hat aber auf die Schwierigkeiten,
       Sex und Gender – deren Unterscheidung gerade in der deutschen Sprache mit
       dem Wort „Geschlecht“ immer wieder droht zu kollabieren – voneinander zu
       trennen, hingewiesen. Insofern beide die Folge regulativer
       Zuschreibungsprozesse sind, lassen sich Gender und Sex kategorisch nicht
       unterscheiden. Wo hört Sex auf und wo fängt Gender an?
       
       ## Das Geschlecht wird ausgerufen
       
       Diese Form der Kritik, die sowohl Gender als auch schon Sex als codiert
       versteht, ist vor allem durch die Analyse Judith Butlers popularisiert
       worden. Hier wird Gender nicht nur als kulturelle Interpretation eines
       biologisch gegebenen Geschlechts aufgefasst, sondern die Kohärenz des
       „biologischen“ Geschlechts selbst schon als Kulturleistung verstanden: Vom
       Moment seiner Bedeutungszuschreibung an – it’s a boy! – ist Sex immer schon
       Gender – Männlichkeit ist immer schon Maskulinität.
       
       Mit Butlers Analyse ist die Abfolge von Sex und Gender verkehrt. Nicht
       Gender ist Ausdruck von Sex, sondern Sex ist Ausdruck von Gender. Von
       dieser Logik des Konstruktivismus, die nicht nur Mode und Gesten, sondern
       auch die Materialität des Körpers selbst umfassen soll, ist das
       Freiheitsversprechen von Gender Studies und Queer Theory abhängig.
       
       Wie hilft nun diese Theorie, den Hipster zu verstehen?
       
       Der Hipster präsentiert eine weniger aufdringliche Maskulinität. Er zeigt
       sich ermüdet von den Gesten aggressiver Männlichkeit. Mit seiner coolen
       Nachlässigkeit scheint er bereit, sein Mannsein neu zu verhandeln. Mit
       seinem Verweis auf verschiedene Maskulinitätskulturen – den
       Unterschichtsmann, den Schwarzen – bietet der Hipster eine Form der
       männlichen Maskerade an. Diese zitathaften Aneignungen arbeiten einem
       Habitus zu, der sein Gender nicht ausnahmslos bekräftigt. Seine Performance
       lässt sich so als postphallisch entziffern. Aber ist mit dieser
       Destabilisierung durch Stil auch schon die Vorstellung von Sex, dem
       „biologischen“ Geschlecht, die dieser Figur zugrunde liegt, irritiert?
       
       ## Natürlich und lässig
       
       Einerseits wird mit der unaufdringlichen Lässigkeit des Hipsters zwar die
       Geschlossenheit des Prinzips Maskulinität aufgebrochen. Gleichzeitig
       etabliert sich der Wert des Hipsters aber über eine Vorstellung von
       Natürlichkeit: Die Coolness des Hipsters funktioniert nur, solange die
       Nerd-Brille vom Bart gerahmt bleibt.
       
       Nehmen wir also Butlers Analyse folgend die Kategorie von Sex als
       Männlichkeit – die Materialität des Körpers und seiner Zeichen – mit in die
       Analyse hinein, scheint es im Fall des Hipsters so, als würde das
       Versprechen einer postphallischen, mobilen Gender-Identität, die er durch
       seine modischen Gesten anbietet, durch den Verweis auf die Natürlichkeit,
       die sein Bart anzeigen soll, schließlich wieder aufgehoben. Der Verweis auf
       „natürliche Männlichkeit“ erfolgt als ein Insistieren auf Sex als
       biologischem Geschlecht und damit als eine Grenze der Gender-Inszenierung.
       
       Dabei ist es eben gerade keine idealtypische Maskulinität, deren
       Naturhaftigkeit hier beschworen wird, vielmehr wird die
       Naturalisierungsstrategie – der obligatorische Bart – auf eine Diversität
       nicht perfekter Körper angewendet: der nicht trainierte Körper oder sogar
       der unterprivilegierte Körper. Gerade unter der Bedingung einer nicht
       konformen Maskulinität erlaubt sich der Hipster, diese zu naturalisieren.
       Oder umgekehrt: Die Gewissheit, dass verletzbare Formen von Maskulinität
       letztendlich durch stabile Männlichkeit abgesichert sind, ermöglicht diese
       zuallererst.
       
       ## Maskulinitätsexperimente
       
       Unter dem Vorwand einer hippen Postphallizität kommt eine „natürliche
       Männlichkeit“ ungehindert zum Zuge. Die Performanz von Gender kann noch so
       postphallisch sein, so ließe sich sagen, solange sie gleichzeitig als
       „Natürlichkeit“ abgesichert ist, bleiben diese Inszenierungen risikolos.
       Steht die Natürlichkeit von Sex selbst nicht zur Disposition, können
       Maskulinitätsexperimente mit großer Gelassenheit hingenommen werden. Ja,
       gerade diese Gelassenheit arbeitet dann der „Natürlichkeit“ des männlichen
       Geschlechts weiterhin zu.
       
       Ein großer Teil popkultureller Männerbilder, die seit den 2000ern im Umlauf
       sind, funktioniert auf diese Weise. Auch der Lumbersexual, der mit
       demonstrativem Vollbart und weniger eklektizistischem Kleidungsstil als
       hypernaturalisierte Variante des Hipsters gelten kann und ihn in mancher
       Hinsicht als Lifestyle-Trend inzwischen abgelöst hat, ist hauptsächlich so
       zu verstehen. Die Idee von Männlichkeit bleibt hier nicht nur intakt, sie
       wird gefeiert.
       
       Wir haben es hier mit einem Butch-Turn zu tun, einem symbolpolitischen
       Backlash. Genderpolitisch ist der Hipster eine konservative Figur.
       
       Man könnte allerdings auch sagen, die Zeichen von Gender zur Etablierung
       einer stabilen Vorstellung von Maskulinität haben sich bereits so sehr
       abgenutzt oder verflüchtigt, dass der „Mann“ in einer postindustriellen
       Welt, die nur noch wenig kulturelle Räume zur Absicherung von Maskulinität
       anbietet – Sport zum Beispiel – auf die Zeichen von Sex als biologischem
       Geschlecht wird zurückgreifen müssen, um noch eine halbwegs effektive
       Männlichkeit zu symbolisieren. Der Bart – den ja nicht nur die Hipster,
       sondern auch die Fantasy-Helden von „Game of Thrones“ und „Vikings“ stolz
       tragen – wäre also eine der letzten Waffen, Männlichkeit zu behaupten,
       innerhalb einer Kultur, die seine Geschlechtsinszenierungen ansonsten immer
       weniger überzeugend findet.
       
       15 Nov 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Peter Rehberg
       
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