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       # taz.de -- Kein Geld für Hass-Medien in Schweden: Staatsknete für Qualitätsjournalismus
       
       > Die schwedische Regierung befürchtet, dass die Presse nicht mehr
       > ausreichend informiert. Deshalb wird nun die Medienförderung ausgebaut.
       
   IMG Bild: Fast die Hälfte aller SchwedInnen fühlt sich nicht gut informiert
       
       Stockholm taz | Die großen Strukturveränderungen im Mediensektor haben zu
       empfindlich geschrumpften Redaktionen geführt und gefährden eine
       ausreichende journalistische Grundversorgung. Binnen 5 Jahren ist die Zahl
       hauptberuflich angestellter JournalistInnen um ein Viertel gesunken, 12
       Prozent aller Kommunen haben keine Lokalredaktionen mehr. Die „weißen
       Flecken“ – geografisch wie thematisch – werden immer größer. 43 Prozent
       aller SchwedInnen empfinden ein Informationsdefizit, vor allem was ihr
       engeres soziales Umfeld angeht.
       
       Diese in der vergangenen Woche präsentierte Bestandsaufnahme macht
       Schwedens rot-grüne Regierung zum Ausgangspunkt einer geplanten Reform des
       Systems öffentlicher Medienförderung, die in Schweden Tradition hat.
       Vertriebs- und Produktionssubventionen gibt es seit 1965. Derzeit erhalten
       etwa 140 Printmedien staatliche Fördergelder. Das erklärte Ziel: Erhalt
       einer lokalen Medienvielfalt.
       
       Doch jetzt stehe man vor neuen Herausforderungen, meint das
       Kultusministerium: Es gelte „das Bürgerrecht in einer demokratischen
       Gesellschaft, den Zugang zu verifizierten Informationen seitens seriöser,
       verantwortungsvoller Medien“ grundsätzlich sicherzustellen. Dazu brauche
       man angesichts des Defizits der vorhandenen einen zusätzlichen „wendigen
       Akteur, der seine Aktivitäten schnell den Leerräumen und Zusammenhängen
       anpasst, in denen eine qualitative Mediendeckung fehlt“.
       
       ## Spitzenkompetenz
       
       Das vorgeschlagene Rezept: Ein neues öffentlich finanziertes
       Medienunternehmen, ein Public-Service-(Digital)-Kanal zusätzlich zu den
       drei bestehenden im Radio- und TV-Sektor. Angedacht ist eine personelle
       Ausstattung mit 500 JournalistInnen, die „Schwedens Spitzenkompetenz im
       digital vermittelten Journalismus“ repräsentieren sollen. Sie sollen nicht
       nur die „weißen Flecken“ füllen, sondern auch auf eine „gute digitale
       Debatte hinwirken und fehlerhafte Informationen, die im Umlauf sind,
       korrigieren“. Außer einer Website werden keine eigenen Distributionskanäle
       aufgebaut. Die produzierten Inhalte sollen „in die vorhandenen einfließen“,
       andere Medien dürfen sie also frei übernehmen.
       
       Dieser Teil des Reformpakets soll längerfristig umgesetzt werden, andere
       Schritte dagegen sollen schon bis zum 1. Januar 2018 gegangen werden: Die
       bisherige Förderung für Printmedien wird zu einer plattformunabhängigen
       Medienförderung ausgebaut. Mit einem um rund ein Drittel auf umgerechnet 75
       Millionen Euro aufgestockten Budget sollen nun auch digitale und
       Gratis-Medien, Bild- und Nachrichtenbüros ökonomische Unterstützung
       erhalten können. Grundsätzlich alle „allgemeinen Nachrichtenmedien, die
       qualitativen und vielseitigen Journalismus produzieren“.
       
       Voraussetzung: Mindestens 60 Prozent des publizierten Materials muss
       redaktioneller Inhalt sein, 20 Prozent eigenproduzierter. Die Abhängigkeit
       der Förderung von einem Minimum an bezahlter Auflage entfällt.
       Berechnungsgrundlage werden nun die redaktionellen Kosten sein. Zusätzliche
       Förderung erhalten Publikationen ethnischer oder sprachlicher
       Minderheitengruppen und neu gestartete Projekte. Über alle Förderanträge
       wird ein Gremium beschließen, dessen Mitglieder von den Verbänden der
       Journalisten, Publizisten und Medienunternehmen benannt werden.
       
       ## Neu: die Demokratieklausel
       
       Bisher waren auch Blätter mit rassistischer Agenda förderberechtigt, denn
       die Förderung war inhaltlich neutral und für alle, die die formalen
       Voraussetzungen erfüllten. Das ist nun zu Ende: Teil der Reform ist eine
       „Demokratieklausel“: Gelder erhalten nur noch Publikationen, die „vom
       Prinzip des gleichen Werts aller Menschen geprägt sind“. Ein aus den
       Public-Service-Statuten übernommenes Kriterium, das gleich eine kontroverse
       Debatte auslöste.
       
       Dass Medien, die „unterschwellig Hass predigen, um eine bestimmte Gruppe
       von Menschen zu diskreditieren“, nun nicht mehr gefördert werden sollen,
       wird zwar einerseits grundsätzlich begrüßt. Andererseits wird aber auch vor
       einem möglichen Einfallstor gewarnt: Werde eine künftige Regierung
       vielleicht denen die Förderung streichen wollen, die „die schwedische
       Nation in Misskredit bringen?“, fragt Dagens Nyheter. Und auch Nils Funcke,
       Sekretär des parlamentarischen Pressefreiheitskomitees, hat Bedenken: „Die
       Geschichte ist reich an Beispielen, wie Staaten direkt oder subtil
       versuchten, Medien zu lenken.“
       
       Insgesamt sei das neue Modell „ein Schritt in die richtige Richtung“, meint
       Jonas Nordling, Vorsitzender des schwedischen Journalistenverbands. Er hält
       aber den finanziellen Rahmen für unzureichend. Den Einwand teilt die
       Kulturjournalistin Ulrika Knutson: Den Parteien sollten die Medien
       zumindest so viel wert sein, wie sie sich selbst jährlich an
       Parteienförderung genehmigten.
       
       Der Zeitungsverlegerverband ist skeptisch gegenüber dem vorgeschlagenen
       neuen Public-Service-Akteur: Der wäre eine Konkurrenz, die den Verlagen
       sicher nicht helfen werde. Lieber hätte man wohl ein ebenfalls diskutiertes
       Alternativmodell: einen Deal zwischen dem Staat und den Verlagen, bei dem
       diese sich zu bestimmten journalistischen Mindeststandards verpflichten und
       im Gegenzug staatliche Redaktionszuschüsse erhalten.
       
       Die federführende grüne Kultur- und Demokratieministerin Alice Bah Kuhnke
       spricht von „neuen und radikalen Vorschlägen“: „Aber wir haben eben nicht
       mehr viel Zeit.“
       
       15 Nov 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reinhard Wolff
       
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