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       # taz.de -- Rückzahlung von VG-Wort-Geld: Da lacht nur Google
       
       > Die Verlage müssen Ausschüttungen der VG Wort zurückzahlen. Das kann ihre
       > Existenz gefährden und die Autorenrechte stärkt das auch nicht.
       
   IMG Bild: Verleger auf verlorenen Posten? Bekenntnis im Taschenformat auf der Frankfurter Buchmesse
       
       Die Krise ist da. Für große wie für kleine Buchverlage. Doch kaum jemand
       gibt Laut. Die Verlage wie die meisten Autorinnen und Autoren scheinen auf
       Hilfe von außen zu hoffen. Aber es wird keine kommen.
       
       Ende November steht die Rückzahlung der Summen an, welche die
       Verwertungsgesellschaft Wort in den Jahren zuvor in gutem Glauben an die
       Buchverlage verteilt hat. Grundlage dafür war ein Beschluss, den die
       Mitglieder der VG Wort – Urheberverbände wie Verlage – vor Jahrzehnten
       getroffen haben: Verlage wurden an den Ausschüttungen jener Einnahmen
       beteiligt, welche die nationalen Verwertungsgesellschaften erhalten.
       
       Diese Einnahmen wiederum entstehen durch die sogenannte Kopiervergütung.
       Für Kopien, Ausdrucke am heimischen PC-Drucker oder die Möglichkeit des
       Verbreitens urheberrechtlich geschützter Werke wird dem Gerätehersteller
       oder dem Kopierladenbesitzer ein relativ kleiner Betrag abgezogen, den
       nationale Verwertungsgesellschaften dann auf die Urheber verteilen müssen.
       In Deutschland – wie in vielen anderen Ländern auch – sind Verlage an
       diesen Einnahmen beteiligt gewesen, infolge des oben genannten Beschlusses.
       
       Im April dieses Jahres hat der Bundesgerichtshof aber letztinstanzlich
       festgestellt, dass dieses Verfahren nicht rechtmäßig war. Daher stehen nun
       Rückzahlungen für die vergangenen Jahre (unter Berücksichtigung der
       Verjährungsfrist) an. Es geht, heißt es, um insgesamt rund 100 Millionen
       Euro, die die Buchverlage zurückzahlen müssen.
       
       Eine stattliche Summe. Trotzdem bleibt der Jubel unter den Autorinnen und
       Autoren und den Übersetzerinnen und Übersetzern, denen das Geld zusteht,
       verhalten. Die Verlage schweigen zumeist. Warum?
       
       ## Nicht aus der Portokasse
       
       An dieser Stelle muss sich der Autor dieser Zeilen outen: Ich bin Verleger
       in einem unabhängigen Verlag, Buchautor und freier Schreiber für diverse
       Zeitungen. Zudem bin ich ehrenamtlich tätiger Vorstand der Kurt Wolff
       Stiftung zur Förderung einer vielfältigen Verlags- und Literaturszene und
       Vorstand des Landesverbandes Berlin/Brandenburg des Börsenvereins des
       deutschen Buchhandels. Ich bin in dieser Sache gleich mehrfach befangen.
       Ich kenne allerdings auch alle Seiten im Konflikt.
       
       Warum also jubeln die meisten vom VG-Wort-Urteil Begünstigten nicht? Die
       Justiz hat doch festgestellt, dass sie mehr Geld bekommen müssen. Geld, das
       die meisten Künstlerinnen und Künstler bitter nötig haben.
       
       Dass die Buchverlage angesichts der Rückzahlungen stöhnen, ist
       nachvollziehbar. Die aktuelle Ausgabe des Branchenanzeigers Börsenblatt
       warnt vor einer Krise, vor allem unter unabhängigen Verlagen:
       „Messebeteiligungen stehen auf dem Prüfstand – und damit die oft
       beschworene Sichtbarkeit der Verlage. Ohne rasche Kompensation dürfte
       einigen die Insolvenz drohen.“ Unabhängige Verlage zahlen die aufgerufenen
       Summen nicht aus der Portokasse.
       
       Der aktuelle Preisträger des Kurt-Wolff-Preises, Christoph Links, der dafür
       ausgezeichnet wurde, dass er mit „großer Konsequenz und ohne Scheu“
       politische Themen behandelt, muss in diesem Jahr rund 50.000 Euro an die VG
       Wort – und die rechtlich ähnlich verfasste VG Bild-Kunst – zurückzahlen.
       Bei anderen schwankt die Summe je nach Größe und programmatischer
       Ausrichtung zwischen 3.000 und 80.000 Euro. Das ist viel Geld. Selbst die
       größeren und kreditwürdigeren Verlagsgruppen müssen den geldlichen
       Mehraufwand erst einmal stemmen.
       
       Dass einige Verlage keine ausreichenden Rücklagen gebildet haben, mögen
       Ökonomen belächeln, die Klagesituation war ja bekannt. Doch gerade
       unabhängige Verlage zeigen oft großen Enthusiasmus, und nicht selten
       investieren sie jenes Geld, das sie gemäß der BWL ansparen sollten, lieber
       in ein Projekt, bei dem nicht sicher ist, ob es Gewinn erwirtschaften wird.
       Das gerät der Literatur oft genug zum Vorteil.
       
       ## Minderheit verunmöglicht Härtefallregelung
       
       Nun könnte die Fehlplanung in solchen Häusern ja die meisten der vom
       VG-Wort-Urteil Begünstigten kaltlassen. Warum sollen sie für anderer Leute
       Fehler zahlen?
       
       Verlage aber tun mehr als nur verkaufen – sie lektorieren, sie entwickeln
       Buchprojekte mit ihren Autorinnen und Autoren, sie sorgen für
       Aufmerksamkeit und bedrängen den Buchhandel mit ihrer Vertriebsabteilung.
       Läuft es gut, sind die Urheber ebenso zufrieden wie die Händler. Läuft es
       schlecht, muss das nicht am Verlag liegen, nicht am Autor, nicht am
       Buchhandel. Auch nicht an den Leserinnen und Lesern – manchmal verfehlt ein
       Buch seine Zielgruppe, die Gründe sind mannigfaltig.
       
       Es gibt zwar einige Verlage, die nicht lektorieren, wenn es der Urheber
       nicht zusätzlich teuer bezahlt, oder die gleich ein vollständig gesetztes
       Buch von einer Doktorandin verlangen. Sie sind aber in der Minderheit. Die
       überwiegende Mehrheit der unabhängigen Verlage wie der großen
       Konzernverlage arbeitet mit Autorinnen und Autoren eng zusammen. Dieses
       Verhältnis wollen auch die Urheber, die Autorinnen und Autoren, gewahrt
       wissen, es ist in ihrem Sinne.
       
       Nun gibt es aber nicht nur diese wenigen unappetitlichen Verlage. Auch in
       anderen Medien, etwa im Pressebereich, haben es sich einige Unternehmen
       angewöhnt, die Urheber über den Tisch zu ziehen. Ich selbst habe als Autor
       Verträge zugeschickt bekommen, denen zufolge ich bis zum Ablauf des
       gesetzlichen Urheberschutzes (70 Jahre nach meinem Tod) absolut alle Rechte
       an meinem Text einem Verlag oder einem Onlineanbieter zur Verfügung stellen
       soll – gegen einmalige, knappe Vergütung.
       
       Dies Gebaren erklärt die Wut vieler, vor allem vieler Journalistinnen und
       Journalisten, die bei den Versammlungen der VG Wort vehement gegen jede
       Kompromisslösung mit den Verlagen votieren. Sie sind in der Minderheit,
       doch ihre Stimmen reichen bislang aus, um Härtefallregelungen für die
       Buchverlage zu verunmöglichen.
       
       Übel ist: Niemand gibt zu, dass die Wut berechtigt ist. Ebenso übel ist es
       allerdings, dass die Belogenen und Betrogenen nicht sehen, wes Lied sie
       singen. Seit Jahren schicken nicht nur die Gerätehersteller, sondern auch
       die Internetriesen ihre Lobbyisten in die Verbände und in die Parlamente.
       Dort vermitteln diese, dass es keine Verlage mehr braucht und dass Verlage
       stets fiese Täter, Autorinnen und Autoren stets naive Opfer sind.
       
       ## Die Politik tut nichts
       
       Diese Trennung beider Interessengruppen dient nicht etwa der Stärkung der
       Autorenrechte. Wie man weiß, muss man teilen, um zu herrschen. Sind die
       Verlage erst diskreditiert, wird es diesen Lobbyisten wieder um das
       eigentliche Anliegen gehen. Erstens: um die vollständige Abschaffung der
       Kopiervergütung – die Urheberverbände kämpfen dann ja allein. Zweitens: um
       die grundsätzliche Änderung des Copyrights gegen die Interessen der
       Urheber.
       
       Die Internetriesen wollen nämlich nicht das Copyright ändern, um danach das
       Weltwissen gratis an die Jugend zu verteilen. Selbst der
       Rechtswissenschaftler Lawrence Lessig, der eine Vergesellschaftung des
       geistigen Eigentums fordert, warnt davor, in Angeboten wie Google Books
       einen Heilsbringer zu sehen. Erst wollen die Internetriesen allen „Content“
       kostenlos. Dann wollen sie Geld für die Bereitstellung verlangen.
       
       Doch was geschieht zunächst? Die Rückzahlung der VG-Wort-Gelder werden
       nicht alle Verlage überleben. Das steht fest. Werden andere Verlage ihre
       Lagerbestände veräußern, um an Geld zu kommen, und den Markt mit
       preiswerten Büchern fluten? Wird das die Buchhandlungen, die sich gerade
       erst von der letzten Wirtschaftskrise erholt haben, in eine neue Krise
       stürzen? Werden schlechtere Honorare angeboten? Werden Autoren und Verlage
       zu Feinden? Das wäre fatal.
       
       Doch die Politik tut nichts, die Verbände agieren hilflos, die Autorinnen
       und Autoren sind sich uneins. Nur eine einzige Partei lacht in diesen
       Zeiten. Ich weiß, dass sie nicht mit mir lacht, nicht mit dem Verleger,
       nicht mit dem Autor. Sie lacht uns beide aus.
       
       10 Nov 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jörg Sundermeier
       
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