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       # taz.de -- Ausstellung des Fotografen Julian Röder: Die Absonderungen des Denkens
       
       > Julian Röders Bildserien gleichen einem Testprogramm für die Freiheit,
       > die uns der Kapitalismus gibt. In Berlin ist seine Ausstellung „Recht und
       > Raum“ zu sehen.
       
   IMG Bild: Julian Röder, Ohne Titel [Ausschnitt], aus der Serie World of Warfare, Abu Dhabi, 2011, Archival Pigment Print
       
       Julian Röder ist bekannt als ein Fotograf, der sich politischen und
       wirtschaftlichen Themen in besonderem Maße gewidmet hat. Deshalb überrascht
       in seiner Ausstellung „Recht und Raum“ im Haus am Waldsee seine erst 2016
       entstandene Serie „Licht und Angst“. In ihr beschäftigt sich Röder intensiv
       mit irrationalen Welterklärungsmethoden. Erstmals in seinem Werk setzt er
       sich mit Esoterik auseinander. Dass Ökonomie und besonders Macht in der
       Esoterik aber genauso gut anzutreffen sind, wie im politischen Kontext,
       wird im Obergeschoss des Museums deutlich.
       
       Im ersten Teil der neuen Serie greift Röder die Gedankenfotografie auf, die
       erstmals 1896 aufkam. Er baute einen Radiografen nach, eine dosenähnliche
       Kamera, die mit dem integrierten Rollfilmschnipsel und Lichteinfällen
       Bilder erzeugen kann. Röder heftete sich diesen Radiografen an die Stirn
       und binnen 60 Minuten entstand ein abstraktes Bild.
       
       Es wurde vor über 100 Jahren vermutet, dass der Geist beim Denken nach
       außen geht und die bunten Farbflecken und Punkte auf dem Ergebnis-Fotos ein
       Abbild der Gedanken sind. Dass die Fotografien aber durch eine Mischung aus
       Körperwärme, Licht und Schweiß entstanden, wurde nie in Erwägung gezogen.
       Die Gedankenfotografie galt damals als wissenschaftlich bewiesen.
       
       Genauso wenig zweifeln die Anhänger der Chemtrails heute die Gefahr an, die
       sie in den Kondensstreifen hinter Flugzeugen vermuten. Die
       Auseinandersetzung mit dieser aktuellen Verschwörungstheorie ist in den
       Nachbarräumen zu sehen. Demnach sollen die Spuren im Himmel, die Röder
       fotografisch festhält, als Beweise für die Ausschüttung von Gift dienen.
       
       Die Titel sind wichtig bei Julian Röder. So suggeriert allein das Wort
       „Licht“ viele Auslegungen: Es geht immer um einen spirituellen Glauben,
       also eine Erleuchtung, in den neuen Fotografien. Licht steht aber genauso
       für die Verblendung der Gläubigen. Und objektiv betrachtet, ist die
       Fotografie nur mit Licht möglich.
       
       ## Kontrolle behalten
       
       Wie der Titel der neuen Serie aber auch andeutet, wird gleichermaßen die
       Angst thematisiert. Es ist meist das Fremde, das gefürchtet wird. So erhält
       sich eine Sekte mittels der Kontrolle über ihre Mitglieder. Durch den Titel
       „Licht und Angst“ gibt Röder eine Lesart der Fotografien vor, die während
       eines Besuchs bei der sektenähnlichen Gemeinschaft der Anastasia-Siedlung
       in Russland entstanden.
       
       Über 15 Jahre hinweg lässt die Ausstellung sein Werk verfolgen. Seine
       frühen Arbeiten sind politisch und urteilen durch die Inszenierung. Genau
       das Inszenierte unterscheidet Röder auch von einem dokumentarischen
       Fotografen.
       
       Schon während seiner Ausbildungszeit bei der Fotografenagentur Ostkreuz und
       dem anschließenden Studium bei Timm Rautert in Leipzig fing er an, Bilder
       von Demonstranten während der G-8-Gipfel zu schießen. Die daraus
       entstandene Fotoreihe „The Summits“ (2001 bis 2008) zeigt die Seite der
       Protestierenden während vier Treffen der Industrienationen in Italien,
       Frankreich, Deutschland und Japan. Inzwischen konnte Röder die Serie
       weltweit ausstellen.
       
       In einer anderen Serie thematisiert er Europas Grenzüberwachung. Die Fotos
       der Grenzwächter in „Mission and Task“ (2012/2013) sind plakativ und
       befremdlich. Schließlich bekommt man Grenzen und die benutzen
       Überwachungsapparate selten zu sehen. Röder war es hier ein Anliegen, „die
       Seite von Grenzen zu zeigen, die versteckt bleibt“.
       
       Wenn wir uns seine vielseitigen Arbeiten in der Ausstellung angucken,
       realisieren wir schnell, dass Julian Röder unsere Gesellschaft und die
       westlichen Werte hinterfragt. Er testet die Freiheit, die uns der
       Kapitalismus anscheinend gibt. Dass unsere Werte aber gerade von uns
       oftmals nicht eingehalten werden, ist der wunde Punkt im System. Und genau
       dort hält er die Linse drauf.
       
       Röder möchte aber keine Realitäten darstellen, sondern Wahrheiten für sich
       finden. Seine Suche gibt uns eine neue Sichtweise, unsere Gesellschaft
       infrage zu stellen. Wie er es so schön selbst formuliert: Ich mache Bilder,
       damit man sich Gedanken über die Welt machen kann. Und er erreicht diesen
       Anspruch, weil die Situationen, die er abbildet, für uns allein durch die
       Medien nur schwer zugänglich sind.
       
       20 Nov 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lorina Speder
       
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   DIR Ausstellung
   DIR Beutekunst
       
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