URI: 
       # taz.de -- Die Wahrheit: Tamtam in der taz
       
       > Die Wahrheit wird 25! Greatest Hits (6): Eine Glosse über einen
       > afrikanischen König und ein leidiger Rassismus-Vorwurf im Nachgang.
       
   IMG Bild: König Mswati III. von Swasiland bei der Busenparade 2016
       
       Die Wahrheit feiert am 25. November 2016 ihren 25. Geburtstag. Aus diesem
       hohen Anlass lässt die Wahrheit in diesen Tagen einige ihrer besten
       Geschichten noch einmal Revue passieren. 
       
       Im September 2005 feierte König Mswati III. von Swasiland seine jährliche
       „Busenparty“, wie ich es in einer 33-zeiligen Glosse auf der Wahrheit-Seite
       nannte. Aus diesem Anlass ließ „der Welt letzter Negerkönig“ 4.000
       Jungfrauen barbusig vor sich antanzen, damit er sich unter ihnen eine neue
       Herzensdame aussuchen konnte: Gattin Nummer dreizehn.
       
       Bereits im Februar 2005 hatte ich den lebenslustigen Herrscher aus dem
       südlichen Afrika gewürdigt, als er seine Ehefrauen mit zehn nagelneuen
       Fünfer-BMW beglückte. Die „Schlitten für die Schnitten“ hatten umgerechnet
       rund 635.000 Euro gekostet, wie die örtliche Zeitung Times Sunday
       berichtete.
       
       Erst zwei Monate zuvor war bekannt geworden, dass der letzte absolute
       Monarch Afrikas sich einen 390.000 Euro teuren Daimler der Marke Maybach
       mit Fernsehgerät, DVD-Player, Dolby-Surround-System, Kühlschrank,
       Golftaschen, silbernen Champagner-Kelchen und jede Menge weiterem
       Schnickschnack angeschafft hatte.
       
       ## Eines der ärmsten Länder der Welt
       
       Meine Bewunderung wuchs ins Unermessliche, auch wenn ich recherchiert
       hatte, dass das zwischen Südafrika und Mosambik gelegene Reich Mswatis III.
       zu den ärmsten Ländern der Welt gehörte, mit etwa 114 Millionen Euro
       verschuldet war und zwei Drittel seiner 1,2 Millionen Einwohner von weniger
       als einem Dollar am Tag lebten. Aber der Mann wusste eben zu leben, und
       deshalb dichtete ich Seiner Majestät Mswati III. zu Ehren einen
       lobpreisenden Vers, den ich künftig als Schlusszeile jedes Textes über den
       großen Negerkönig verwenden würde: „Hier wird gefeiert und gelacht, / bis
       dass der Kral zusammenkracht.“
       
       Und so gingen die Jahre ins Land: Mswati III. feierte einmal im Jahr seine
       Busenparade und erwählte Gattin um Gattin, während ich ihn rühmte ob seiner
       großen Taten – bis zum 19. April 2011. Da erschien wieder einmal das
       übliche Verherrlichungsstück über seine Hoheit. Diesmal waren es 28 Zeilen
       unter dem Titel „Letzter Negerkönig feiert Thronjubiläum.“ Denn der findige
       Mswati hatte sich einen ganz besonderen Anlass für die Busensause gesucht:
       sein 25. Thronjubiläum an seinem 43. Geburtstag. Und aus diesem hohen
       Anlass verkündete ich: „Die ganze Welt liebt den König von Swasiland.“
       
       Und wer spätestens an der Stelle nicht gemerkt hat, dass es sich nicht etwa
       um das leichte Florett, sondern eher um den dicken Hammer der Ironie
       handelte, der hier beinhart eingesetzt wurde, um einen feudalen Herrscher
       vorzuführen, dem ist kaum zu helfen. Allerdings gibt es immer wieder
       Rezipienten, die nicht lesen können.
       
       Wie die Mitglieder des Migrationsrats Berlin-Brandenburg, der die Glosse in
       einem offenen Brief als „rassistisch“ beanstandete: „Solche rassistischen
       und sexistischen Schmierereien überraschen nicht in nationalistischen,
       rechtsextremen Hetzblättern, im linken Spektrum der deutschen
       Presselandschaft sind sie jedoch ein Skandal“, meinte man unter
       Migrationsräten. Um sich dann als Humorkritiker zu betätigen: „Zwar darf
       die Satire laut Kurt Tucholsky bekanntlich ,Alles!', sie verliert dieses
       Anrecht jedoch, wenn sie anstatt kritisch herrschende Machtverhältnisse zu
       hinterfragen, diese vielmehr stabilisiert, indem sie rassistische und
       sexistische Stereotype reproduziert.“
       
       Die Kritiker veranstalteten ein Riesentamtam, gaben Interviews und
       forderten von der Chefredaktion der taz „eine schriftliche Entschuldigung
       zur nächsten Ausgabe und die Entfernung der besagten Glosse von ihrer
       Webseite“. So klug war die Chefredaktion immerhin, sich nicht von
       irgendwelchen Interessengruppen erpressen zu lassen. Dann wäre
       redaktionelle Arbeit künftig kaum mehr möglich.
       
       Dennoch musste ich als verantwortlicher Wahrheit-Redakteur einige
       ritualisierte Unannehmlichkeiten über mich ergehen lassen. Die taz ist
       schließlich immer noch die taz. Also schrieb ich eine Stellungnahme, in der
       ich als gelernter Germanist die Angelegenheit mit einem geradezu
       lehrbuchhaften Satz zum Verhältnis von Satire, Autor und Leser auf den
       Punkt brachte: „Eine Glosse gibt nicht unbedingt die Meinung eines Autors
       wieder, sondern greift Klischees und Vorurteile auf, um sie in überspitzter
       Form dem Leser als bedenkenswerte Anregung anzubieten.“ Die Chefredaktion
       verfasste auf der Basis dieser und anderer Erläuterungen einen freundlichen
       Antwortbrief – und damit hätte es eigentlich gut sein können.
       
       Aber die taz wäre ja nicht die taz, wenn es nicht noch weiteren
       „Erklärungsbedarf von Seiten der Redaktion“ gegeben hätte. Und so wurde ich
       in die Ressortleiterrunde geladen, um den Abteilungsleitern den
       „Negerkönig“ zu erklären. Das hätte im schlimmsten Fall ein stalinistischer
       Schauprozess werden können, und um mich dagegen zu wappnen, verbreitete ich
       das Ungemach unter den Wahrheit-Autoren, die sonst mit ihren Texten zum
       Gelingen der Seite beitragen. Jetzt standen sie mir mit Rat und Tat zur
       Seite. Besonders hervorzuheben ist dabei der Göttinger Autor Peter Köhler,
       der gleich eine ganze Expertise verfasste, deren auf die Bedürfnisse der
       taz umformulierte Kurzfassung ich schließlich dem Gremium vortrug. Das
       Gutachten trug den Titel „Rassismusvorwurf – fünf Gegengründe“:
       
       ## Gutachten der Verteidigung
       
       1. Ein „Neger“ in einer Glosse wie hier ist mitnichten der „Neger“ im Mund
       eines Rassisten oder auch nur gedankenlosen Zeitgenossen. Die Bezeichnung
       ist an dieser Stelle vielmehr eine satirische Spitze gegen jene Schwarzen,
       die sich aufführen wie das Personal in einem alten Kinderbuch oder
       Kolonialbericht, also selbst ein abgelebtes Klischee erfüllen und damit zur
       Satire herausfordern. Wer lesen kann, wird Worte wie „Negerkönig“ und
       „Negerhoheit“ genau in diesen Zusammenhang einordnen.
       
       2. Im Übrigen würde das Wort „Schwarzer“ hier nicht passen, weil es
       unwillkürlich eine Gleichsetzung mit allen anderen Schwarzen einbegreift
       und diese folglich herabsetzen würde. Anders gesagt: Die Gleichsetzung der
       schwarzen Bevölkerung mit einem Trottel von König wäre eine Beleidigung
       ihrer Menschenwürde.
       
       3. Vollends Unfug ist der Vorwurf, dass in der Glosse sexistische
       Stereotype reproduziert würden. Vielmehr geht aus dem Text klar hervor,
       dass der König selbst sie reproduziert, und das nicht bloß in Worten,
       sondern in Taten. Das Lob, das der Text der „Negerhoheit“ dafür spendet,
       ist ein vergiftetes, was allen Lesern, die die satirische Technik der
       Umkehrung oder der Verstellung kennen, sofort verständlich ist.
       
       4. Einigermaßen befremdlich ist, dass die Beschwerdeführer sich zwar über
       den „Neger“ aufregen, nicht aber über den König. Die
       Selbstverständlichkeit, mit der die Beschwerdeführer diesen komplett
       entbehrlichen Beruf, dieses reaktionäre Überbleibsel einer finsteren
       Vergangenheit, die auf den Müll der Menschheitsgeschichte gehört, ernst
       nehmen, ist beschämend.
       
       5. Die Vorwürfe gegen die Glosse über den König von Swasiland gehen also
       allesamt fehl. Zugespitzt gesagt: Wenn von „Schmierereien“ die Rede ist,
       dann trifft das nicht die Glosse, sondern die Beschwerde selbst.
       
       ## Erfolg der Miesepeter
       
       Diese Erklärung überzeugte die Runde bis auf wenige Ausnahmen. Und so war
       endlich Ruhe eingekehrt. Jetzt hätte ich fröhlich weitermachen und den
       „Negerkönig“ wieder preisen und rühmen können. Das jedoch wäre nun eine
       allzu billige Provokation um der Provokation willen gewesen und auch recht
       langweilig.
       
       Letztlich haben also die Miesepeter ihr Ziel doch noch erreicht, mir etwas
       zu verleiden, was sie halb verschämt das „N-Wort“ nannten – wenn auch nicht
       ganz … Denn dafür ist der Spaß zu groß, den Ernstlern dieser tristen Welt
       immer wieder Saures zu geben. Und so feierte ich bald in völliger
       Nonsensmanier den Mainzer Karnevalisten Ernst Neger als „Urvater der
       Wahrheit“ auf eben jener Wahrheit-Seite, die sich „aus vollem Herzen
       Neger-Freund nennen darf“. Nur um mit den stimmungsvollen Worten zu enden:
       „Der Neger lebe hoch, humba, humba, täterä!“
       
       18 Nov 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Ringel
       
       ## TAGS
       
   DIR Wahrheit Greatest Hits
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Satire
   DIR SPD
   DIR Erkältung
   DIR Lyrik
   DIR Polen
   DIR Penis
   DIR Osama bin Laden
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Die Wahrheit: Dem Würselen völlig verfallen
       
       Eine parteiliche Suchtgeschichte: die verheerenden Drogenabhängigkeiten der
       SPD-Vorsitzenden und die menschlichen wie politischen Folgen.
       
   DIR Die Wahrheit: Die Cousinen des Kellners
       
       Irish Pubs bilden eine sehr eigene Welt. In denen man die merkwürdigsten
       Momente erleben und den seltsamsten Schnurren lauschen kann.
       
   DIR Die Wahrheit: Popel, Poren, Pollen
       
       Rhinologie heute: Die Nase an sich, für sich und auch überhaupt – inklusive
       ihrer Hauptbetätigungen Laufen, Jucken, Niesen.
       
   DIR Die Wahrheit: Unverlangte Li-La-Lyrik
       
       Die Wahrheit wird 25! Greatest Hits (7): Wie Wahrheit-Gedichte entstehen
       und warum sie leichtfüßig tänzeln. Ein persönlicher Werkstattbericht.
       
   DIR Die Wahrheit: Die beste Kartoffel aller Zeiten
       
       Die Wahrheit wird 25! Greatest Hits (5): Die Beleidigung des polnischen
       Staatspräsidenten Lech Kaczyński und die Folgen.
       
   DIR Die Wahrheit: Der kurze Penis-Prozess
       
       Die Wahrheit wird 25! Greatest Hits (4): Die Schniepelverlängerung eines
       „Bild“-Chefredakteurs und die Folgen.
       
   DIR Die Wahrheit: Luftige Post aus Kabul
       
       Die Wahrheit wird 25! Greatest Hits (2): Eine kleine Geschichte der
       Wahrheit-Seite. Die Mullah-Affäre, Osama bin Laden und der
       Leserbrief-Weltrekord.