# taz.de -- Abgasskandal auch bei CO2-Werten: Klimaschutz nur im Labor
> Die Emissionen auf der Straße sind laut einer neuen Analyse 42 Prozent
> höher als im Labor. Dobrindts Ministerium soll derartige Tricksereien
> gedeckt haben.
IMG Bild: Ausnahmeerscheinung: Reguläre Abgastests im Straßenverkehr gibt es in Deutschland noch nicht
Berlin taz | Vor einem Jahr wurde der International Council on Clean
Transportation (ICCT) weltbekannt: Die kleine Organisation überführte
gemeinsam mit der West Virginia University den Autoriesen VW der
Stickoxidmanipulationen. Nun hat der ICCT nachgelegt und die CO2-Angaben
der Automobilbranche analysiert.
Die realen Emissionen sind durchschnittlich 42 Prozent höher als die
Testwerte. Das ist das Ergebnis der am Donnerstag veröffentlichen Studie,
die auf Basis von unabhängigen Tests und Online-Einträgen etwa eine Million
Fahrzeuge zwischen 2001 und 2015 untersuchte. Wichtigster Grund für die
Abweichungen ist nach Ansicht vom europäischen ICCT-Chef Peter Mock, dass
die Autokonzerne „immer systematischer Schlupflöcher in der bestehenden
Regulierung ausnutzen“.
Diese Kunst haben sie in den vergangenen 15 Jahren quasi zur Perfektion
gebracht – 2001 lag die Abweichung noch bei lediglich 9 Prozent. Inzwischen
entfernen Mercedes, VW, BMW und Co. vor jedem Test die Außenspiegel, kleben
Türen und Luftschlitze ab und verwenden spezielle Leichtlaufreifen. Die
Studie zeigt auch, wie die Automobilbranche auf die verpflichtende
CO2-Regulierung für Neufahrzeuge durch die EU im Jahr 2008 reagierte: mit
noch besseren Tricks. So verdoppelte sich allein zwischen 2009 und 2015 die
Diskrepanz der Abweichungen.
Darunter leidet nicht nur das Klima, weil die verminderten CO2-Emissionen
nur auf dem Papier existieren. Sondern auch Autofahrer, weil sie über den
realen Kraftstoffverbrauch getäuscht werden und laut ICCT pro Jahr für 450
Euro mehr tanken müssen. Und auch der Fiskus, dem Millioneneinnahmen bei
der Kfz-Steuer entgehen. Denn die CO2-Emissionen sind für die Berechnung
der Steuer entscheidend und erzeugen somit – zumindest in Theorie – einen
finanziellen Anreiz für klimafreundliche Automodelle.
## Nur 80 Euro Steuer – statt 180 Euro
Ein Beispiel zeigt: Für einen neuzugelassenen Mittelklassewagen mit einem
Hubraum von 1.595 Kubikzentimeter und einer Emission von 120 Gramm
Kohlendioxid pro Kilometer werden jährlich circa 80 Euro Steuer fällig.
Würde der reale Wert zugrunde gelegt, der im Schnitt 42 Prozent höher ist,
wären 180 Euro fällig.
Nach den Enthüllungen vom letzten Jahr könnte die neue ICCT-Studie einen
weiteren Anstoß geben, Emissionsregulierung ernst zu nehmen und das System
zu reformieren. Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Anton
Hofreiter, nannte die untersuchten Abweichungen „unfassbar“ und sah die
Schuld beim Bundesverkehrsminister: „Herr Dobrindt schaut weiter zu, wie
Automobilkonzerne den Verbrauchern Sand in die Augen streuen“, sagte er.
„Seine Kumpanei verhindert den Wandel der Branche.“
Das Bundesverkehrsministerium gerät zunehmend in die Kritik. Der Stern
[1][berichtete am Donnerstag] unter Berufung auf interne Unterlagen,
Mitarbeiter des Ministeriums hätten VW zu laxen Tests ermutigt. Das
Verkehrsministerium ließ bis Redaktionsschluss die Fragen der taz
unbeantwortet.
Die deutsche Autoindustrie gesteht Unterschiede zwischen Labor- und
Straßenwerten ein, verspricht sich aber von einem neuen Testverfahren ab
2017 eine Verbesserung der Situation. Auch der ICCT erwartet durch das neue
Testprozedere eine Verbesserung – aber auch neue Schlupflöcher. Notwendig
sei die Einführung unabhängiger Nachtests von zufällig ausgewählten
Serienfahrzeugen und die Überprüfung von CO2-Emissionen im realen
Straßenverkehr. Anja Smetanin vom ökologisch orientierten Verkehrsclub
Deutschland sieht das ebenso: „Die Autos müssen raus aus dem Labor und rauf
auf die Straße.“
17 Nov 2016
## LINKS
DIR [1] http://www.stern.de/politik/deutschland/tillack/vw-skandal--verkehrsministerium-ermutigte-zu-tricksereien-7172708.html
## AUTOREN
DIR Luca Spinelli
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