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       # taz.de -- Kolumne Lügenleser: Deutschland, du Kaninchen!
       
       > Genervt von Angela Merkels erneuter Kandidatur? Keine Sorge, es bleibt
       > spannend. Bald übernehmen die Maschinen das Diskutieren.
       
   IMG Bild: In Deutschland, zumindest abseits der hysterischen Kommentarspalten, fürchtet man nichts so sehr wie Veränderung
       
       „Bei mir ist das so: Ich brauche lange und die Entscheidungen fallen spät“,
       sprach die Herrin der Raute. Nun gut. Im Internet hingegen ist das so: Ich
       lese die Überschrift und meine Meinung steht schon fest. Tetris, Level 2.
       Auch wenn die Möglichkeiten der Sprache unendlich erscheinen, handelt es
       sich doch um die ewig gleichen Satzbausteine. Immer und immer wieder. Meine
       ehemalige Französischlehrerin unterrichtete nach einem ähnlichen Prinzip.
       Nach der siebten Wiederholung, so ihre steile These, vergisst man das
       Gesagte nicht mehr. Aber so funktioniert Kommunikation nicht.
       
       Die Gespräche haben sich verlagert. Von der Straße ins Netz.
       „Fake-Follower“ und „SocialMedia-Bots“ sind grade groß im Kommen. Es ist
       der Next Step, nach den „Trollen“. Ab jetzt lassen wir die Maschinen für
       uns diskutieren. Die Entmenschlichung des politischen Gegners ist das
       ultimative Argument geworden. Dabei gibt es doch bereits eine echte Armee
       der grauen Herren, die ihre Zeit damit verbringen, Stimmungsbilder zu
       erschaffen. Die Programmierung hat längst stattgefunden, sie wartet nur
       noch auf den richtigen Moment, sich Bahn zu brechen. Noch ist es nicht so
       weit. Aber jetzt, nachdem Angie bekannt gegeben hat, es erneut zu tun, geht
       die große Show erst einmal in die nächste Runde.
       
       Die Alternativlosigkeit, die Merkels erneute Kandidatur aufzeigt, ist
       ermüdend folgerichtig. Frau Kepetry reibt sich die Hände, die Sitze im
       Bundestag sind nun endgültig gesichert. „Merkel muss weg!“, diese
       liebgewonnene, halbe Alliteration, muss nicht umgedichtet werden. Auch wenn
       „SeehoferSucks!“ oder „Schändet Schäuble!“ etwas Abwechslung in das Leben
       der Real-life-Bots gebracht hätte. Die digitale Vorfreude ist riesig.
       
       Man ist sich sicher, dass nun die Zeit der Angstmacher kommt. Und vieles
       spricht tatsächlich dafür. Politiker_innen wie Angela Merkel werden
       allerdings abseits des Internets gewählt. Stimmungsbild 2.0 hin oder her.
       Es gibt eine enorme Anzahl von Menschen, die ihre Meinung weder im Internet
       kundtun noch sich von ihr beeinflussen lassen. Das mag vielen Journalisten
       und Experten der neuen Generation, insbesondere nach dem Erfolg von
       Twitter-Trump, abwegig erscheinen.
       
       ## Furcht vor Veränderung
       
       Die unglaubliche Langeweile, die diese Kandidatur mit sich bringt, wird
       wohl ihre Wirkung nicht verfehlen. Ein Glück, werden sich viele denken. Es
       ist oft relativ egal, was Berufspolitiker fordern, es geht nur noch darum,
       „mal was anderes“ auszuprobieren. In Deutschland jedoch, zumindest dem
       Deutschland abseits der hysterischen Kommentarspalten, fürchtet man nichts
       so sehr wie Veränderung. Die Erfolge der rückwärtsgewandten AfD sind
       deshalb, auch wenn sich hier offener Rassismus und der vermeintliche Wille
       nach etwas Neuem vermischen, nur ein Ausdruck dieser Angst.
       
       Der gelebte Gegenentwurf zur Veränderung heißt Angela Merkel. Die Planeten,
       die mehr oder minder freiwillig in ihrem Sonnensystem kreisen, heißen sie
       nun Gabriel, Kauder, Schulz oder von der Leyen, folgen diesen kosmischen
       Gesetzen. Die Kleinstplaneten aus der linken Ecke bleiben auch auf Kurs.
       Deutschland, du Kaninchen!
       
       22 Nov 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Juri Sternburg
       
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