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       # taz.de -- Ken Loachs Film „Ich, Daniel Blake“: Allzu fassliches Spiel
       
       > „Ich, Daniel Blake“ übt Kritik am britischen Sozialsystem. Ken Loachs
       > Kino erinnert dabei an eine Transportfirma. Aber lesen Sie doch selbst.
       
   IMG Bild: Durchs Raster gefallen: Katie (Hayley Squires) mit ihren Kindern und Daniel Blake (Dave Johns)
       
       Daniel Blake hat einen Herzinfarkt knapp überlebt. Er ist Schreiner, um die
       sechzig, lebt in Newcastle und ist arbeitsunfähig fürs Erste. Nun ist das
       britische Sozialsystem für ihn da wie die Hölle für all jene da ist, die
       sie verdienen. Daniel Blake hat das britische Sozialsystem nicht verdient.
       Er gerät vielmehr in es hinein wie in eine Falle und kommt nicht mehr raus.
       
       Die Ärzte bescheinigen ihm Arbeitsunfähigkeit, sodass er nicht arbeiten
       kann. Für die Sozialhilfe ist er nicht arbeitsunfähig genug, also gibt es
       kein Geld. Die Behörden, die Stimmen an Telefonen: Unterteufel alle,
       Ausgeburten einer Struktur, die menschlichen Regungen nur im Verstohlenen
       Platz lässt.
       
       Daniel Blake ist ein guter Mann, er hat nur von Computern keine Ahnung.
       Einen Lehrgang zum korrekten Verfassen eines Lebenslaufs braucht er nicht.
       Das sieht das Arbeitsamt anders. Mit einer alleinerziehenden Mutter
       freundet er sich an. Und er hilft ihr, er hilft, wo er kann. Auch den Jungs
       nebenan, die aus China importierte Sneaker zu günstigeren Preisen
       verticken.
       
       Wenn man ihm blöd kommt allerdings, dann wird Daniel Blake renitent. Nur
       ein bisschen, aber das reicht. Die Behörden kommen ihm blöd, in Gestalt der
       Charaktermasken eines Systems, das einen Mann quält und am Ende
       verschlingt, der noch „Ich, Daniel Blake“ sagt und schreibt.
       
       ## Erstmal nichts dagegen sagen
       
       Ken Loach ist ein ehrenwerter Regisseur. Er und sein Drehbuchautor Paul
       Laverty geben den Schwachen eine Stimme, ein Gesicht, eine Geschichte. Film
       für Film, seit Jahrzehnten. Sie haben das Herz am linken Fleck, und sie
       haben ja recht. Es gibt Fälle wie diesen, sie sind nicht zu ertragen.
       
       Es ist also auf den ersten Blick wenig gegen dieses Kino zu sagen. Doch auf
       den zweiten Blick viel: Sieht man von den Botschaften ab, der Wut und dem
       Mitleid, das die Geschichten beim aufrechten Betrachter erregen, bleibt
       eine Idee von Kino als Transportunternehmen.
       
       Ken Loachs Kino ist ein Kino des allzu fasslichen Spiels in allzu
       fasslichen Formen, in allzu fassliche Konstellationen verpackt. Funktional
       in Bild und Montage. Es ist ein Kino ohne Reibungsverlust, das die Welt vor
       marxistischem Theoriehintergrund übersichtlich erklärt. Die Jury in Cannes
       gab „Ich, Daniel Blake“ die Goldene Palme. Ja, man kann vom Kino so wenig
       wollen. Wer mehr will von ihm, also etwa eine Kunst der inneren und äußeren
       Komplexitäten, wird das als Armutszeugnis begreifen.
       
       23 Nov 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ekkehard Knörer
       
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