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       # taz.de -- Filmisches Retromärchen „Aloys“: Ein wenig zu verliebt
       
       > Eines Tages erhält der Detektiv Aloys einen Anruf – eine tiefe Stimme
       > erteilt ihm Aufträge. Nun verändert sich alles für den Spießer. Und den
       > Zuschauer.
       
   IMG Bild: Ist das hier noch real? Aloys (Georg Friedrich) weiß es nicht
       
       „Wir melden uns.“ Auch kurz nachdem sein Vater, einziger Kollege der
       Privatdetektei Adorn & Sohn, verstorben ist, spricht Aloys Adorn (Georg
       Friedrich) von sich selbst ausschließlich im Pluralis Majestatis. Der Rest
       seines einsiedlerischen Lebens verstreicht ebenfalls erst mal wie gewohnt:
       Der kauzige Privatdetektiv observiert weiterhin per Kamera die von den
       Auftraggebern benannten „ Fälle“, beobachtet EhebrecherInnen,
       Verschwundene, Geflüchtete, schaut sich die Bilder zu Hause an, schlürft
       Sunkist und lässt zwischendurch die guten alten Zeiten mit Papa im Heimkino
       Revue passieren – zwei beim trauten Orgelspiel am Weihnachtsabend, zwei am
       Esstisch, zwei im Bett.
       
       Die ungesund enge persönliche und berufliche Symbiose mit seinem dominanten
       Vater hat Aloys geprägt. „Andere Menschen zu filmen, das ist mein Beruf“,
       sagt er. „Sich die Filme noch mal anzugucken, ist mein Hobby.“
       
       Doch die schmerzliche Erinnerung verursacht eine Ablenkung in Aloys’
       ritualisierten Tagesrhythmus, der daraus besteht, zu arbeiten und beim
       Chinesen „eine Portion Reis zum Mitnehmen“ zu bestellen: Durch die
       menschelnde Reaktion einer Mitarbeiterin im Bestattungsinstitut irritiert,
       ist er bei einer Observierung kurz unaufmerksam und wird entdeckt.
       Konsterniert kippt er sich mit Schnaps zu und schläft im Bus ein.
       
       Nach dem Aufwachen hat das Schicksal zugeschlagen: Er sieht sich seiner
       Kamera samt Kassetten beraubt. Die mysteriöse Frau (Tilde von Overbeck),
       die kurze Zeit später bei ihm anruft, scheint etwas damit zu tun zu haben.
       Sie schickt ihm zwar seine Filme zurück, hat diese aber um neue Bilder
       ergänzt. Sogar die Gesundheit seiner Katze kommentiert sie in schönstem
       Schwyzerdütsch per Ferndiagnose, später macht sie ihn mit der
       neurologischen Technik des „Telefonwanderns“ bekannt, bei der man sich über
       den Hörer in andere Welten begibt.
       
       ## Eine unfreiwilligen Suche nach dem Glück
       
       So konfrontiert sie den Sonderling mit den Grenzen der Realität und
       kommuniziert mit einem Mann, der bislang außerhalb der Arbeit nur mit
       seinem Vater sprach. Adorns überschaubare Welt gerät folgerichtig aus den
       Fugen, Fensterscheiben werden zu Mattscheiben, Traum wird zu Wirklichkeit
       und umgekehrt. Mittendrin erwacht in Adorn der Wunsch, einem Menschen,
       einem weiblichen zudem, vielleicht doch noch mal anders zu begegnen, als
       heimlich durch ein Objektiv. Auch wenn nicht ganz klar ist, wo dieser
       andere Mensch ist – nur in Aloys' Kopf? Oder in einem Krankenhaus?
       
       Der Schweizer Regisseur Tobias Nölle inszeniert in seinem ersten
       Langspielfilm groteske, einsame Bilder vom Wandern zwischen Obsession und
       Illusion. Mit Aloys Adorn, von Friedrich in kontrollierter Ambivalenz und
       überzeugender Untertreibung dargestellt, hat er den Reigen der klassischen
       Filmkauze um ein Exemplar erweitert. Dass es Nölle nicht um reine
       Lachnummern, nicht ausschließlich um die Darstellung von Skurrilem geht,
       merkt man dem vor allem in den engen Räumen liebevoll ausgestatteten Film
       an – obwohl einige der Szenen auch aus einem Tati-Helge-Schneider-Tableau
       stammen könnten.
       
       Zuweilen scheint „Aloys“ dennoch ein wenig zu verliebt in seine Ideen,
       bleibt zu lange in Szenen stecken, in denen – außer Absurditäten – nicht
       viel Handlungsrelevantes erzählt wird, und gleitet vor allem im zweiten
       Teil so sehr ins Surreale ab, dass man irgendwann nicht mehr folgen möchte:
       Die Prämisse mit dem stillen Paranoiker und seiner unfreiwilligen Suche
       nach dem Glück ist eindrücklich genug, da braucht es keine Psychedelika, um
       die Grenzen der Fantasie zu erkunden.
       
       Doch hinter dem zunehmend durchgeknallten Retromärchen, das sich bei Krimi
       und Romanze gleichermaßen bedient, steht ein Kommentar zur Einsamkeit. So
       wird die Darstellung des Sonderlings bei Nölle zu einem Appell an die
       Toleranz: Nicht immer verüben vereinsamte, in Schrankwandwohnungen
       verbarrikadierte Männer Straftaten. Und nicht immer stecken hinter
       Eigenbrötlern kaputte Seelen.
       
       24 Nov 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jenni Zylka
       
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