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       # taz.de -- Kanadas Angst nach der US-Wahl: Der Schöne und der Trump
       
       > Kanadas linksliberaler Präsident Justin Trudeau nennt sich selbst
       > Feminist. Wie soll dieser „Anti-Trump“ mit den USA zusammenarbeiten?
       
   IMG Bild: Da lächelt er noch: Kanadas Präsident Trudeau
       
       Vancouver taz | Vor einigen Wochen hielt Justin Trudeau bei den Vereinten
       Nationen in New York seine erste Rede vor der Vollversammlung. Dabei sparte
       er nicht mit subtilen Andeutungen in Richtung Donald Trump: Kanada sei
       gegen eine Politik der Spaltung. Statt Ängste politisch auszunutzen, müsse
       man den Sorgen der Menschen mit konkreten Lösungen entgegentreten, erklärte
       der junge Premierminister unter Beifall. Später fügte Trudeau vielsagend
       hinzu, neue Mauern seien jedenfalls keine Lösung.
       
       Justin Trudeau erwähnte den damaligen Kandidaten Trump nicht mit Namen.
       Doch jeder im Saal verstand die Botschaft: Trudeau und Trump – das passt
       nicht zusammen. Tatsächlich kann der selbsternannte „Feminist“ und
       linksliberale Trudeau mit dem Rechtspopulisten Trump wenig anfangen. Die
       Washington Post nannte Trudeau einmal den „Anti-Trump“. Es ist ein offenes
       Geheimnis, dass man sich in Ottawa Hillary Clinton als US-Präsidentin
       gewünscht hätte.
       
       Doch nun ist es anders gekommen und Trudeau muss mit dem künftigen Mann im
       Weißen Haus zusammenarbeiten. Am Mittwoch gratulierte der Premierminister
       Trump telefonisch zu seiner Wahl, vereinbarte ein baldiges Treffen und
       versuchte, keine neuen Gräben aufzureißen. „Kanada hat keinen engeren
       Freund, Partner und Alliierten als die USA“, erklärte er. Die gemeinsamen
       Werte, die engen kulturellen Bindungen und die starken integrierten
       Volkswirtschaften blieben die Basis für eine enge Zusammenarbeit.
       
       Das wird nicht immer leicht sein, denn auch inhaltlich haben die ungleichen
       Staatsmänner wenig gemein. Trump hatte im Wahlkampf Kanada mehrmals mit
       beißender Kritik überzogen und die liberale Politik Trudeaus kritisiert.
       Das öffentliche Gesundheitssystem des Landes nannte Trump eine Katastrophe.
       In Ottawa dagegen machte man aus der Geringschätzung gegenüber dem Team
       Trump kaum einen Hehl.
       
       ## Nur eine Geste des guten Willens
       
       Die kanadische Regierung blickt daher mit Sorge auf Washington. Kaum jemand
       in Ottawa hatte ernsthaft mit einem Sieg Trumps gerechnet – entsprechend
       wenig war man darauf vorbereitet. Kanada wickelt rund drei Viertel seines
       Außenhandels mit den USA ab, teilt mit ihnen die längste Landgrenze der
       Welt und ist auf ein gutes Verhältnis angewiesen.
       
       Das aber steht nun infrage, vor allem in der Handelspolitik. Trump hatte
       das mit Kanada und Mexiko abgeschlossene Handelsabkommen Nafta als den
       „schlechtesten Freihandelspakt“ überhaupt gebrandmarkt und gedroht, ihn
       aufzukündigen. In einer Geste des guten Willens bot Trudeau Trump am
       Mittwoch an, über Verbesserungen bei Nafta zu sprechen.
       
       Große Probleme dürfte es auch in der Klimapolitik geben. Trudeau
       unterstützt den Pariser Vertrag zur Minderung klimaschädlicher
       Treibhausgase, will langfristig aus der Kohle aussteigen und hatte auf
       einen Gleichschritt mit den USA bei der Besteuerung von Kohlendioxid
       gehofft. Doch daraus dürfte nun nichts werden, da Trump den Vertrag
       gänzlich infrage gestellt hat.
       
       ## Harte Zeiten in Sachen Militär
       
       Harte Zeiten stehen Trudeau in Sachen Militär bevor. Unter Trump dürfte der
       Druck auf Kanada steigen, seine Verteidigungsausgaben im Rahmen der Nato
       deutlich zu erhöhen und sich wieder stärker militärisch am Kampf gegen den
       islamistischen Terrorismus zu beteiligen. Trudeau dagegen hatte erst vor
       wenigen Monaten das Engagement Kanadas im Irak und in Syrien
       heruntergefahren.
       
       Auch innenpolitisch sorgt der Sieg Trumps für Wirbel. Viele liberale
       Kanadier befürchten, dass die populistische Welle, wie sie beim Brexit in
       Großbritannien und jetzt bei Trump zu beobachten war, nach Kanada
       überschwappen könnte. In einer Umfrage des Ipsos-Instituts hatten zuletzt
       76 Prozent der Kanadier angegeben, eine Trump-ähnliche politische Agenda
       zumindest prüfen zu wollen.
       
       Die oppositionellen Konservativen in Kanada haben den Erfolg Trumps offen
       begrüßt. Der ehemalige Premier Stephen Harper sprach von einem
       „beeindruckenden Sieg“. Eine der Kandidatinnen für den Parteivorsitz sagte
       gar, dass man einen Trump jetzt auch in Kanada brauche. Eine
       Mehrheitsmeinung ist das in Kanada gegenwärtig nicht. Vielleicht aber eine
       Ernüchterung für all jene Amerikaner, die jetzt mit einer Auswanderung nach
       Kanada liebäugeln.
       
       11 Nov 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jörg Michel
       
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