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       # taz.de -- Rechtsextreme in Deutschland: „Reichsbürger“ horten Waffen
       
       > Einer taz-Recherche zufolge sind den Behörden weit mehr als 5.000
       > „Reichsbürger“ bekannt. Hunderte besitzen legal Waffen.
       
   IMG Bild: Ein Königreich für ein Fantasieprodukt
       
       Berlin taz | Zwei Wochen ist es her, da rückte die Polizei bei zwei
       Solinger „Reichsbürgern“ an. Hinter den Türen fanden die Beamten
       Beachtliches: zwölf Gewehre, neun Kurzwaffen, drei Luftdruckwaffen, eine
       halbautomatische Waffe, dazu reihenweise Messer, Gaspistolen und Speere.
       Die Waffen besaß das 40 und 57 Jahre alte Pärchen legal: Sie waren
       Sportschützen.
       
       Eigentlich sollte mit dem Waffenhorten bei „Reichsbürgern“ Schluss sein.
       Der Fall des Georgensgmünders Wolfgang P. hatte die Sicherheitsbehörden
       aufgeschreckt. Der 49-jährige Bayer hatte Mitte Oktober bei einem
       Polizeieinsatz gegen sich unvermittelt auf SEK-Beamte geschossen und einen
       von ihnen tödlich verletzt. P. hatte sich zuvor geweigert, seine mehr als
       30 Waffen abzugeben. Die Behörden hatten ihn wegen seiner offenen Ablehnung
       der Bundesrepublik als unzuverlässig eingestuft.
       
       Allen „Reichsbürgern“, die eine Waffe besäßen, müsse diese entzogen werden,
       kündigte nach den Schüssen Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU)
       vollmundig an. Etliche seiner Länderkollegen stimmten zu – und diskutierten
       die Forderung am Dienstag intensiv auf der Innenministerkonferenz in
       Saarbrücken.
       
       Eine Länder-Umfrage der taz allerdings zeigt: Die Landesinnenminister haben
       es mit deutlich mehr „Reichsbürgern“ zu tun, als sie dachten. Und nicht
       wenige der Extremisten, welche die Bundesrepublik für ein Konstrukt halten
       und eigene Fantasiestaaten ausrufen, sind bewaffnet.
       
       ## Falsche Einschätzung durch die Behörden
       
       Allein im Freistaat Bayern zählten die Sicherheitsbehörden zuletzt 1.700
       Anhänger der Szene. 220 von ihnen besitzen scharfe Waffen, 120 weitere
       einen Schreckschusswaffen. Ein „Alarmsignal“ nennt Herrmann diese Zahl.
       Noch im Frühjahr hatte der bayerische Verfassungsschutz die „Reichsbürger“
       als Szene von „Kleinstgruppierungen“ abgetan. Eine genaue Personenzahl sei
       nicht bekannt. In Baden-Württemberg kommen die Landesbehörden auf 650
       „Reichsbürger“ – zuvor war man von weniger als 100 ausgegangen.
       
       Eine „niedrige, zweistellige“ Zahl von ihnen besitze Waffen. In
       Niedersachsen werden 500 „Reichsbürger“ gezählt – 35 von ihnen bewaffnet.
       In Nordrhein-Westfalen kommt man auf 300 Anhänger, 14 mit Waffen.
       Hochburgen auch: Thüringen mit 550 und Brandenburg mit 300 „Reichsbürgern“.
       
       Als „Reichsbürger“ definierten die Bundesländer Personen, die die Existenz
       der Bundesrepublik Deutschland leugnen und ihre Vertreter für illegitim
       halten. Im Zweifel, so heißt es, wurde im Einzelfall entschieden.
       
       Das Problem: Manche Länder wissen bis heute nicht, wie viele „Reichsbürger“
       sich bei ihnen tummeln. So liegen etwa ausgerechnet aus Sachsen keine
       Zahlen zu Anhängern vor – weil diese dort bisher nicht als rechtsextrem
       betrachtet wurden und sich der Verfassungsschutz nicht für sie
       interessierte. Auch in Berlin oder Sachsen-Anhalt zählt man aktuell noch
       einmal durch. Zu den bisher in beiden Ländern je 100 angenommenen
       „Reichsbürgern“ wird ein „erheblicher Zuwachs“ erwartet, heißt es dort.
       Schon jetzt – bei unvollständigen Zahlen – summiert sich die Zahl der
       bekannten „Reichsbürger“ auf über 5.500 Personen.
       
       Erst vor einer Woche hatten sich Bund und Länder geeinigt, die
       „Reichsbürger“-Bewegung bundesweit durch den Verfassungsschutz beobachten
       zu lassen. Zuvor war dies nur in einigen Ländern erfolgt.
       Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) spricht inzwischen von einer
       „deutlich verschärften Gefährdungslage“. Von mehreren tausend
       „Reichsbürgern“ sei bundesweit auszugehen, der Waffenbesitz von einigen sei
       „erheblich“. Vor einigen Monaten sprachen Sicherheitsbehörden noch von
       bundesweit mehreren hundert Anhängern. „Es war an der Zeit, hier noch
       genauer hinzuschauen“, gesteht de Maizière.
       
       Zuletzt forderte auch Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) eine
       konsequente Entwaffnung der Szene: Bevor Waffenscheine erteilt würden,
       müsse es künftig eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz geben – um
       „Reichsbürger“ auszusieben. Die Bundesländer hatten diese Regelanfrage
       schon im Sommer im Bundesrat beschlossen. Nun ist der Bundestag am Zug. Die
       Initiative kam aus Hessen. „Es ist vollkommen inakzeptabel, dass
       Extremisten legal Waffen besitzen können“, sagte Innenminister Peter Beuth
       (CDU). Er forderte eine „zügige“ Umsetzung des Ländergesetzentwurfs.
       
       Allerdings gibt es auch Widerstand. Der CSU-Innenexperte Stephan Mayer
       warnte vor einem „Generalverdacht“ gegen Hunderttausende Jäger und
       Sportschützen. Eine Regelabfrage beim Verfassungsschutz für alle
       Waffenhalter sei „überzogen“. Es reiche, wenn gezielt nach „Reichsbürgern“
       gesucht werde.
       
       ## Pauschal „waffenrechtlich unzuverlässig“
       
       Schon heute können Waffenscheine entzogen werden, wenn deren Besitzer als
       „unzuverlässig“ eingestuft werden, etwa nach begangenen Straftaten oder der
       Unterstützung verfassungsfeindlicher Organisationen. Nur: Welchen
       Organisationen man angehört, wird bisher gar nicht abgefragt.
       
       Das niedersächsische Innenministerium reagierte bereits Mitte November: Es
       erließ einen Erlass, wonach „Reichsbürger“ pauschal als „waffenrechtlich
       unzuverlässig“ anzusehen sind. Die Erlaubnisse seien „mit allen damit
       verbundenen Konsequenzen aufzuheben“. Innenminister Boris Pistorius (SPD)
       bekräftigte: „Wenn Reichsbürger unumwunden erklären, dass die deutschen
       Gesetz für sie nicht gelten, können wir ihnen auch nicht erlauben, mit
       Waffen umzugehen.“
       
       Ein Problem aber bleibt: Ob und in welchem Ausmaß „Reichsbürger“ auch
       illegale Waffen horten, wissen die Behörden nicht. Hier, so heißt es aus
       den Ländern, stehe man noch vor „ganz anderen Problemen“.
       
       29 Nov 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Konrad Litschko
       
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