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       # taz.de -- US-Opposition von unten: Sie wollen die Herzen erobern
       
       > Viele Trump-Gegner haben Bernie Sanders oder Grün gewählt, weil Clinton
       > sie nicht überzeugen konnte. Ein Besuch bei einer neuen Bewegung.
       
   IMG Bild: „Es geht jetzt nicht mehr um mich“, sagt Sanders vor dem Kapitol in Washington, „sondern um uns“
       
       New York/Washington taz | Bern Baby Bern. So steht es ganz oben auf dem
       T-Shirt von Priscilla Ortiz. Darunter prangen ein Scherenschnitt von dem
       Gesicht und dem schlohweißen Haar von Bernie Sanders sowie ein paar Buttons
       über die wichtigen Themen dieses Augenblicks in der Geschichte. Sie handeln
       unter anderem von „Black Lives Matter“, vom Klima und vom Freihandel.
       
       Die junge Frau mit dem alten Mann auf der Brust ist unterwegs von New York
       nach Washington. Die 38-jährige zweifache Mutter, die ihren Lebensunterhalt
       in einer Immobilienagentur verdient, sitzt in einem Bus voll mit
       Bernie-Sanders-Unterstützern, die an diesem frühen Donnerstagmorgen, neun
       Tage nach der Wahl, die fast 400 Kilometer lange Strecke in Richtung Süden
       fahren, um zu zeigen, dass sie sich in den nächsten vier Jahren nicht ins
       Privatleben zurückziehen werden. „Solange wir kämpfen, können sie unser
       Land nicht kaputt machen“, ist sie überzeugt.
       
       Priscilla war im Vorwahlkampf für Sanders. Nachdem Hillary Clinton zur
       offiziellen Kandidatin der Demokraten wurde, hat sie für die grüne
       Politikerin Jill Stein gestimmt. „Ich bin meinem Gewissen gefolgt“, sagt
       sie, „ich lasse mir meine Wahl nicht durch Angst und Druck diktieren.“
       
       In der Wahlnacht stand sie mit anderen Linken vor dem
       Javitz-Kongresszentrum in Manhattan, in dem Clinton ihren Sieg feiern
       wollte. Gegen Mitternacht, als sich abzeichnete, dass Donald Trump die Wahl
       gewinnen würde, zogen sie zwei Meilen weiter zu dem Hilton-Hotel, wo die
       Republikaner feierten, um stattdessen dort zu demonstrieren.
       
       ## Nase zu und Clinton wählen
       
       Seither war Priscilla jeden Tag auf der Straße. Anders als die vielen
       enttäuschten Hillary-Clinton-Fans auf den Straßen bezweifelt sie nicht die
       Rechtmäßigkeit von Trumps’ Wahl – „er ist ordnungsgemäß gewählt worden“,
       betont sie. Stattdessen verschafft sie sich Gehör, damit er „das Richtige“
       tut.
       
       Längst nicht alle in dem Bus haben grün gewählt. Manche haben trotzig
       „Bernie Sanders“ auf ihre Wahlzettel geschrieben, obwohl ihr Kandidat schon
       im Juli aus dem Rennen ausschied. Und die meisten haben sich die Nase
       zugehalten und widerwillig für Clinton gestimmt. Alle im Bus sind
       überzeugt, dass Sanders am Wahltag eine bessere Chance als Clinton gehabt
       hätte, gegen Donald Trump zu gewinnen. Weil er moralisch integer ist, weil
       er keine finanziellen Affären und keine Ermittlungen des FBI gegen sich hat
       und weil er sich sein ganzes Leben lang für dieselben politischen Ziele
       eingesetzt hat.
       
       Nun, nachdem Clinton verloren hat, sehen sie in Sanders, der weiterhin
       Senator ist, ihre wichtigste Stimme in Washington. „Wir brauchen eine
       Massenbewegung an der Basis“, sagt der afroamerikanische Organizer Jawanza
       Williams, „aber wir brauchen auch Leadership in den politischen
       Institutionen.“ Für den 26-Jährigen aus der Bronx sind Sanders sowie
       Elizabeth Warren die beiden seltenen Linken im Senat, auf die er vertraut.
       
       Die mehrheitlich jungen Leute im Bus stellen sich auf vier harte Jahre ein.
       Sie wollen Millionen Einwanderer vor Abschiebung schützen, sie wollen
       verhindern, dass die zaghaften Fortschritte in der Klimapolitik
       zunichtegemacht werden, sie wollen die Polizeigewalt auf der Straße
       eindämmen, sie wollen die Sozialversicherung und die Krankenversicherung
       verbessern und sie wollen das Selbstbestimmungsrecht von Frauen über ihren
       eigenen Körper verteidigen.
       
       ## Es geht jetzt um mehr als Clinton
       
       Sie sind harte Auseinandersetzungen gewöhnt. Und sie haben es in den
       zurückliegenden Monaten geschafft, dass Clinton manche ihrer Forderungen in
       ihre Wahlplattform aufgenommen und dass die Demokratische Partei einzelne
       ihrer Forderungen zu ihrem offiziellen Parteiprogramm gemacht hat.
       
       Doch nun geht es um mehr als nur Clinton und die Demokratische Partei. Es
       geht um einen gewählten Präsidenten, der diametral entgegengesetzte
       politische Vorstellungen hat und der dadurch gestärkt ist, dass seine
       Partei beide Kammern im Kongress, zwei Drittel der Regierungen aller
       Bundesstaaten und bald auch noch das Oberste Gericht kontrolliert.
       
       Doch an diesem strahlend sonnigen Tag im November haben die Aktivisten im
       Bus einen politischen Erfolg zu feiern – vielleicht ihren letzten für eine
       lange Zeit. Das Transpazifische Handelsabkommen (TPP) ist vom Tisch. Sechs
       Jahre lang sind Gewerkschaften, Umweltgruppen und die komplette Linke des
       Landes dagegen Sturm gelaufen.
       
       Aber der demokratische Präsident Barack Obama und mit ihm ein großer Teil
       der Republikaner hielten daran fest. Sie wollten das TPP in der Zeit
       zwischen den Wahlen und dem Amtsantritt der neuen Regierung im Januar durch
       den Kongress bringen. Ihre dahinterstehende Hoffnung war, dass die
       erwartete künftige Präsidentin Clinton – die zwar unter dem Druck der
       linken Basis im letzten Moment vorsichtig TPP-skeptisch geworden war, das
       Vorhaben letztlich doch umsetzen würde. Erst nachdem nun Trump gewählt ist,
       der seine Wahl unter anderem mit populistischen Slogans gegen das TPP
       gewonnen hat, [1][ist das Projekt tot].
       
       ## „Ich habe mein Leben noch vor mir“
       
       Während Trumps Übergangsteam in Washington und in New York die
       [2][entscheidenden Figuren für die künftige Regierung] in Washington
       aussucht, denken die Leute in dem Bus darüber nach, wie sie in den nächsten
       vier Jahren Oppositionspolitik machen. Alle sagen: „Ich will aufklären,
       mobilisieren und kämpfen.“ Aber wie sie das im Einzelnen umsetzen wollen,
       sieht unterschiedlich aus. Vickie Patik, die jahrzehntelang in einer
       internationalen Organisation gearbeitet hat, begann ihre Oppositionspolitik
       mit einem Brief an Freunde in Europa, in dem sie sich für Trump
       entschuldigt hat.
       
       Neben ihr sitzt die junge Schauspielerin Lauren Mui, die sich vornimmt, von
       der Bühne aus für mehr „soziales Bewusstsein“ und „mehr Sensibilität für
       Hautfarben“ zu sorgen. „54 Prozent der weißen Frauen haben für ihn
       gestimmt“, sagt die 23-Jährige, „ich habe noch mein ganzes Leben vor mir.
       Da muss ich etwas dagegen tun.“ Ein paar Sitze weiter erzählt eine
       pensionierte Computerfachfrau, dass sie und ihr Mann der Bürgerrechtsgruppe
       ACLU beitreten wollen: „… um etwas gegen die Massenabschiebungen zu tun.“
       
       „Wir sind alle niedergeschlagen, weil Trump Präsident wird“, sagt Jawanza
       Williams, „Aber für uns braune und schwarze Amerikaner ist das, was jetzt
       kommen wird, nicht grundsätzlich neu. Wir erleben den Rassismus an jedem
       Tag“. Der Organizer, der mehrere Jugendliche aus der Bronx auf die Fahrt
       nach Washington mitgenommen hat, weiß, dass er keinen Rassisten davon
       überzeugen kann, dass „mein Leben genauso viel wert ist“. Er sieht seine
       Rolle in den nächsten vier Jahren darin, die „weiße Arbeiterklasse“ zu
       erreichen.
       
       „Sie sind nicht offen rassistisch“, sagt er, „aber sie sind davon überzeugt
       worden, dass ihre soziale Mobilität nach oben wegen der Einwanderer aus
       Lateinamerika und den Afroamerikanern unterbrochen worden ist“. Diese tief
       sitzenden Ressentiments will er durchbrechen. „Wir müssen die Herzen
       erobern und Solidaritäten quer über die alten Trennlinien bilden“, sagt
       Jawanza, „das wird harte Arbeit. Und wir haben weniger Geld. Aber wir sind
       viele.“
       
       ## „Es geht um uns“
       
       Nach fünf Stunden Fahrt spuckt der Bus die Bernie-Sanders-Unterstützter an
       einer Wiese am Fuß des Kapitols in Washington aus. Dort mischen sich die
       New Yorker mit Krankenschwestern, die monatelang für Sanders durch die USA
       getourt sind, und mit TPP-Gegnern wie Lori Wallach, die um die halbe Welt
       gereist sind, um das TPP zu stoppen, und mit einigen der demokratischen
       Kongressabgeordneten, die im Innern der Institutionen für das Scheitern des
       TPP gearbeitet haben. „Wir sind im Verteidigungsmodus“, sagt der ehemalige
       Chef der Kommunikationsgewerkschaft CWA, Larry Cohen, „aber wir werden
       jetzt näher zusammenrücken, unsere Unterschiede überwinden und umso stärker
       sein.“
       
       Der Hauptredner kommt am Schluss. Sanders, der sich monatelang mit Kritik
       an Clinton zurückgehalten und für sie Wahlkampf gemacht hat, kann nun
       wieder frei reden. Auf der Wiese sind Transparente zu sehen, die ihn zu
       einer neuen Präsidentschaftskandidatur im Jahr 2020 auffordern, und
       „Bernie, Bernie“-Rufe zu hören, als ginge der Wahlkampf nahtlos weiter.
       Doch der 74-Jährige bremst sie. „Es geht jetzt nicht mehr um mich“, sagt
       er, „sondern um uns. Wir müssen klarmachen, dass wir nicht zurückgehen. Bei
       Sexismus, Xenophobie und Islamophobie werden wir [3][keine Kompromisse
       machen].“
       
       Für Shirley Monahan aus dem Bus sind das die Worte, die sie hören will.
       „Wir brauchen Bernie mehr denn je“, sagt sie, bevor sie die fünfstündige
       Rückreise nach New York antritt.
       
       18 Nov 2016
       
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       ## AUTOREN
       
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