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       # taz.de -- Stickoxidwerte von Diesel-Pkws: Winterzeit, Stinkerzeit
       
       > Trotz Abgasaffäre überschreiten NOx-Werte immer noch das gesetzliche
       > Limit. Jährlich sterben 467.000 Menschen durch Luftverschmutzung.
       
   IMG Bild: Schädlich für die Natur, schädlich für den Menschen: Stickstoff von Diesel-Pkws
       
       Berlin taz | Über ein Jahr nach Beginn des Abgasskandals und ein halbes
       Jahr nach dem Abschlussbericht der Untersuchungskommission „Volkswagen“ des
       Bundesverkehrsministeriums liegen die realen Stickoxid-Emissionen nach wie
       vor deutlich über den Grenzwerten – und sind sogar gestiegen. Am Mittwoch
       veröffentlichte die Deutsche Umwelthilfe in Berlin ihre neuesten Messungen.
       
       Negativer Spitzenwert: ein Fiat 500x stieß 17 mal so viel NOx aus wie
       gesetzlich erlaubt. Der schmutzigste deutsche Diesel war dem Umweltverband
       zufolge ein im August zugelassener Mercedes B 180 d. Er emittierte im
       Durchschnitt der zehn Testläufe 1.039 Milligramm NOx pro Kilometer – 13 Mal
       so viel wie die erlaubten 80 Milligramm. Von den 45 Diesel- und
       Benzinfahrzeugen, die die Umwelthilfe in diesem Jahr getestet hat, hielten
       nur sechs die Grenzwerte ein.
       
       Die Ergebnisse zeigen zum einen, dass die zurückhaltenden Forderungen des
       Bundesverkehrsministeriums an die Autohersteller größtenteils wirkungslos
       blieben. Die Untersuchungskommission des Ministeriums hatte die Hersteller
       im April 2016 dazu aufgerufen, „Verbesserungen für die laufende Produktion
       und teilweise auch für in Betrieb befindliche Fahrzeuge vorzunehmen“. Die
       Tatsache, dass ein vier Monate nach dieser Aussage zugelassenes
       Mercedes-Modell die Grenzwerte so deutlich überschreitet, zeigt, wie ernst
       die Autoindustrie die Forderungen des Ministeriums nimmt.
       
       Zum anderen zeigen die Messungen, dass die Stickoxidüberschreitungen nicht
       nur nicht sinken – sie liegen sogar noch höher als bisher angenommen. Als
       Ursache für die höheren Abweichungen nennt die Umwelthilfe die niedrigeren
       Außentemperaturen der Novembermessungen. „Bei den Laborprüfungen für die
       offiziellen Emissionswerte herrscht Raumtemperatur“, erklärt
       Geschäftsführer Jürgen Resch. „Sobald die Außentemperaturen bei unseren
       Messungen jedoch davon abwichen, explodierte die gemessene
       Stickoxid-Emission.“ Grund dafür sei eine Software, die die Abgasreinigung
       bei niedriger Außentemperatur abstelle.
       
       Motor schützen oder Kosten drücken? 
       
       Mercedes-Hersteller Daimler erklärte auf Anfrage, die Fahrzeuge seien „nach
       den einschlägigen Vorschriften zertifiziert und zugelassen.“ Zuvor hatte
       das Unternehmen die Abschaltung der Abgasreinigung bei niedrigen
       Temperaturen mit dem Schutz des Motors begründet und auf eine Ausnahme in
       der EU-Verordnung verwiesen. Nach Ansicht des Abgasexperten Axel Friedrich
       gibt es allerdings keine technologische Begründung dafür. „Die
       Autohersteller wollen einfach Kosten sparen.“ Eine Abschaltung führe zu
       geringeren Wartungskosten und eines geringeren Verbrauchs von Harnstoff.
       Diese Chemikalie wird zur Bindung von Stickoxiden bei Verbrennungsmotoren
       verwendet.
       
       Für die Zukunft stellt Daimler besserer Werte in Aussicht. Der Konzern
       kündigte an, er werde nach der Freigabe durch das Kraftfahrbundesamt „ein
       Software-Update unseres Kooperationspartners Renault übernehmen“. Damit
       werde eine „Verbesserung der NOx-Emissionen im realen Fahrbetrieb“
       erreicht.
       
       Brisant werden die Messungen der Umwelthilfe im Kontext einer am Mittwoch
       veröffentlichten Studie der Europäischen Umweltagentur. Demnach sterben in
       der EU jedes Jahr 467.000 Menschen aufgrund von Luftverschmutzung
       vorzeitig. Bis zu 31 Prozent der EU-Städter seien von einer zu hohen
       NOx-Belastung betroffen. Weitere 85 Prozent seien einem Maß an
       Feinstaubbelastung ausgesetzt, das laut WHO gesundheitsschädlich ist. Die
       Folgen: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Asthma und Lungenkrebs. Ähnliche
       Schäden verursachen die oben genannten Stickoxide.
       
       Gegen diese Gesundheitsbelastung will die EU nun mit strengeren Grenzwerten
       vorgehen. Am Mittwoch verabschiedete das EU-Parlament eine Richtlinie zur
       Luftreinhaltung, durch die der Ausstoß von Stickoxid durch Diesel bis 2030
       um 63 Prozent sinken soll. Der Ausstoß von Feinstaub soll bis zum Jahr 2030
       um 49 Prozent gegenüber 2005 reduziert werden. Auch für andere
       Luftschadstoffe gelten strengere Grenzwerte. Allerdings bleibt die
       Richtlinie hinter den ursprünglichen Vorschlägen der Kommission zurück.
       
       Die Grünen im Europaparlament stimmten gegen den Vorschlag. Als Gründe
       nannten sie die zu niedrigen Grenzwerte und die Ausklammerung wichtiger
       Schadstoffe. Der umweltpolitische Sprecher Martin Häusling beklagte zudem
       das Fehlen verbindlicher Zwischenziele und forderte, dass die Vorgaben auch
       Konsequenzen haben sollten: „Alle Dieselautos mit schlechter Abgasreinigung
       müssen aus den Innenstädten verbannt werden.“
       
       23 Nov 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Luca Spinelli
       
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