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       # taz.de -- Sicherheitsdebatte und Bewaffnung: Die Deutschen greifen zur Knarre
       
       > Nach dem Anschlag in Berlin steigt die Nachfrage nach
       > Schreckschusswaffen. Die Behörden halten nichts von der Aufrüstung der
       > Bürger.
       
   IMG Bild: So sieht trügerische Sicherheit aus
       
       Berlin taz | Das Lob kam von der Kanzlerin persönlich. „Ich bin, das will
       ich sagen, in den letzten Tagen sehr stolz gewesen, wie besonnen die große
       Zahl der Menschen auf diese Situation reagiert“, sagte Angela Merkel nach
       dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz. Es traf den Tenor
       zahlreicher Beobachter nach der Lkw-Attacke: Die Deutschen reagierten,
       trotz der zwölf Toten und vielen Schwerverletzten, erstaunlich ruhig auf
       die Terrortat.
       
       Es gibt allerdings auch einen anderen Indikator. Und der verweist sehr wohl
       auf eine Verunsicherung in Teilen der Bevölkerung. So wurden in Berlin laut
       Polizei in nur einer Woche seit dem Anschlag 123 Anträge auf kleine
       Waffenscheine gestellt – etwa doppelt so viele wie zuvor.
       
       Die Zahl reiht sich ein in einen bundesweiten Trend. So gab es laut
       Bundesinnenministerium in Deutschland bereits bis Ende Oktober rund 449.000
       Anträge auf den kleinen Waffenschein – ein deutlicher Anstieg. Im
       Vorjahreszeitraum waren es 275.461 Anträge. Mit den Waffenscheinen dürfen
       Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen erworben werden. Die Bewerber
       müssen volljährig sein und als zuverlässig gelten.
       
       Auffällig: Nicht erst seit dem Berlin-Anschlag korrespondieren die Anträge
       mit der laufenden Sicherheitsdebatte. Einschneidend war bereits die
       vergangene Silvesternacht in Köln, bei der es zu zahlreichen Übergriffen
       kam. In Nordrhein-Westfalen stieg darauf die Zahl der Waffenschein-Anträge
       deutlich. So wurden danach im Januar nach Angaben des dortigen
       Innenministeriums rund 3.000 neue Waffenscheine ausgestellt, im Februar
       nochmal 7.000. Ende November hielten dort 119.441 der Bewohner
       Waffenscheine – im Vorjahr waren es noch 70.757.
       
       ## Auch in anderen Bundesländern wird aufgerüstet
       
       Auch in anderen Bundesländern wirkte die Debatte über die Kölner Übergriffe
       nach. So ging auch in Berlin zu Jahresbeginn die Zahl an der
       Waffenschein-Anträge deutlich hoch. 1.265 Anträge waren es im Januar – im
       Vergleich zu 329 im Januar ein Jahr zuvor. Insgesamt wurden in Berlin laut
       Polizei in diesem Jahr bereits 4.323 kleine Waffenscheine erteilt. 2015
       waren es 816.
       
       Gleiches in Bayern. Auch hier wurden 4.763 Waffenscheine im Januar 2016 neu
       erteilt, im Februar waren es noch mal 7.435. Zu Jahresbeginn 2015 waren es
       lediglich jeweils gut 200. Und: Als im Juli im bayrischen Würzburg ein
       Islamist in einem Regionalzug Reisende mit einer Axt verletzte und in
       Ansbach ein Mann einen Sprengsatz zündete, gingen die Zahlen nochmals hoch.
       Gut 80.500 Halter des kleinen Waffenscheins gibt es laut Innenministerium
       inzwischen in Bayern – 49.370 waren es im Vorjahr.
       
       Auch in Berlin spricht die Polizei von einem „anhaltend hohen“ Nachfrage
       nach den Waffenscheinen, schon vor dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz.
       816 kleine Waffenscheine wurden dort im vergangenen Jahr erteilt – in
       diesem Jahr waren es bereits mehr als 4.300.
       
       „Die Leute sind verunsichert“, kommentierte Klaus Bouillon (CDU),
       Vorsitzender der Innenministerkonferenz, die Zahlen vor der jüngsten
       Sitzung des Gremiums. „Wir müssen noch mehr tun.“ Bouillon verwies auf neu
       eingestellte Polizisten und auf Pläne für mehr Videoüberwachung. Auch
       Innenminister Thomas de Maizière (CDU) kündigte nach dem Terroranschlag in
       Berlin an, „weitere Vorschläge zur Verbesserung der Sicherheit“ zu
       erarbeiten. Vor einer Selbstbewaffnung der Bürger warnen indes viele der
       Innenminister. „Wir raten dringend davon ab“, sagte eine Sprecherin von
       NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD).
       
       „Solche Waffen vermitteln nur eine Scheinsicherheit.“ Auch Gas- und
       Schreckschusswaffen könnten schwere bis lebensbedrohliche Verletzungen
       verursachen. Im Konfliktfall scheitere deren richtige Handhabung oft. Und
       die meisten Pistolen sähen täuschend echt aus: Unbeteiligte wie Polizisten
       könnten nicht auf Anhieb erkennen, ob es scharfen Waffen seien. „Das sind
       keine Spielzeuge“, sagte die Sprecherin.
       
       28 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Konrad Litschko
       
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