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       # taz.de -- Linksliberales Freiburg: Eine Stadt zeigt Haltung
       
       > Jüngst wurde bekannt, dass wohl ein Flüchtling die Studentin Maria L.
       > getötet hat. Ein Bericht aus einer Stadt, in der Debatten anders laufen.
       
   IMG Bild: In Gedenken an Maria L. haben die Freiburger Blumen und Nachrichten hinterlassen
       
       Freiburg taz | Die Blumen und Karten an dem Baum an der Dreisam, dort wo
       die 19-Jährige Maria L. im Oktober getötet wurde, sind weiß vom Raureif.
       Ein laminiertes rotes Herz sticht heraus. Darauf steht: „Das alles passt
       doch nicht zu unserem Freiburg.“
       
       Das Herz hing dort schon, bevor vergangenen Samstag bekannt wurde, dass der
       Täter nach Lage der Dinge wohl ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling
       ist. Seitdem diskutiert die Republik auf allen Kanälen die Frage: Wenn so
       etwas selbst im grün regierten irgendwie links-liberalen Freiburg passieren
       kann, ist dann die Willkommenskultur nicht endgültig am Ende?
       
       Freiburgs Oberbürgermeister Dieter Salomon muss seitdem überall erklären,
       dass seine Stadt zwar umweltfreundlich und weltoffen ist, aber deshalb noch
       lange kein entrücktes „Bullerbü“, das frei ist von Kriminalität und
       sozialen Härten. Und er erinnert daran, dass Kapitalverbrechen nichts mit
       unterschiedlichen Kulturen zu tun haben.
       
       „Mord ist in allen Kulturen ein Verbrechen.“ Selbst die Kanzlerin und ihr
       Vize fühlen sich genötigt, sich zum Fall Maria L. zu äußern.
       
       ## Pfefferspray als ständiger Begleiter
       
       „Das ist doch verrückt, dass das jetzt so groß wird“, sagt Sarah. Die
       Medizinstudentin hat in jener Oktobernacht eine Freundin verloren. Nun
       sitzt sie in ihrem Studentenapartment zwischen Anatomiebüchern und versucht
       sich auf ihr Studium zu konzentrieren. Es sei doch schrecklich, dass der
       Mord an Maria jetzt auch noch in die Stromschnellen der Politik gerät. „Wir
       wollen nicht, dass die AfD versucht, ihren Tod zu missbrauchen.“
       
       Sarah heißt in Wirklichkeit anders. Doch seit selbst Marias Familie
       kübelweise mit Beleidigungen behelligt wird, will sie nicht mit ihrem
       richtigen Namen in der Zeitung stehen. Seit Maria L. tot ist, ist
       Pfefferspray für Sarah wie für ihre Freundinnen zum ständigen Begleiter
       geworden. Auch der zweite Frauenmord im nahen Endingen hat sie zusätzlich
       verunsichert.
       
       Das Bild vom freundlichen Freiburg, in dem man sich auch als Mädchen frei
       bewegen kann, sagt Sarah, hat bei ihr einen Knacks bekommen. Dass sie nun
       weiß, dass der Täter ein Flüchtling ist, spielt dabei keine Rolle. Sarah
       zuckt mit den Schultern: „Ich hatte gehofft, dass es nicht so ist, aber für
       mein Sicherheitsgefühl ändert das nichts.“
       
       Mag sein, dass in den Zügen ins Umland und in den Leserbriefspalten auch
       anders geredet wird, doch die Haltung der jungen Frau herrscht im
       öffentlichen Freiburg vor. Bei einem Treffen von ehrenamtlichen
       Flüchtlingshelfern am Dienstagabend sei man sich einig gewesen, „jetzt erst
       recht“, berichtet ein Teilnehmer.
       
       ## „Linksgrün-versifft“ ist besser gewappnet?
       
       Als die AfD am vergangenen Sonntag versuchte, sich des Thema zu bemächtigen
       und zu einer Demonstration auf dem Münsterplatz aufrief, erschienen gerade
       einmal 15 ihrer Anhänger. Sie standen 300 Gegendemonstranten gegenüber,
       darunter viele Freunde Marias. Und der grüne Oberbürgermeister Salomon
       bekommt selbst vom linken Radio Dreyeckland Lob für seine abgewogenen
       Statements.
       
       Nach einer Woche bundesweiter Debatte könnte man die bösen Worte des
       AfD-Vorsitzenden Meuthen aufgreifen und sagen, dass eine so nachhaltig
       „linksgrün-versiffte“ Stadt vielleicht besser gewappnet ist für solche
       Krisen. In einer Stadt der Fahrradanhänger und Frauenparkplätze, als die
       sie oft belächelt wird, haben es die Bürger vielleicht leichter, Haltung zu
       zeigen, weil man hier schon vorher wusste, wo man steht.
       
       Als zum Beispiel Pegida 2015 anderswo auf ihren Höhepunkt zu treibt, gehen
       in Freiburg 15.000 Bürger einfach so für ein „Buntes Freiburg“ auf die
       Straße. Ganz ohne Pegida.
       
       Aber deckt dieses milde Klima der Political Correctness, nicht auch
       Konflikte zu? Vor zwei Jahren, als ein Familienvater beim Pizzaholen
       niedergeschlagen wird, schrieb die Lokalredaktion der Badischen Zeitung
       erstmals über Raubüberfälle von marokkanischen Jugendlichen auf dem
       Stühlinger Kirchplatz, wo seit 30 Jahren Drogen verkauft werden.
       
       ## Orientierungsphase der öffentlichen Debatte
       
       Die Polizei hatte sich schwergetan, die Täter beim Namen zu nennen, denn es
       waren unbegleitete jugendliche Flüchtlinge. Damals habe er Demonstrationen
       vor der Redaktion gehabt, erinnert sich ein Redakteur, man habe ihnen
       Rassismus vorgeworfen.
       
       „Ja, schon damals hatten wir unsere ‚umA‘-Diskussion“, sagt Gerhard Frey,
       Chef der legendären Buchhandlung JosFritz und Stadtrat der Grünen. „umA“
       steht für „unbegleitete minderjährige Ausländer“.
       
       Frey steht zwischen den Buchregalen und zieht bei dem Thema die Luft laut
       durch die Zähne. Das sei eine Art Orientierungsphase der öffentlichen
       Debatte gewesen. Politiker wie die Polizei seien damals noch unsicher
       gewesen, wie man verantwortungsvoll mit solchen Informationen umgeht.
       
       Heute findet sich der „Täter südländischen Typs“ in den
       Polizei-Pressemitteilungen, und die Zeitung schreibt offen davon, dass
       inzwischen Gambier den Haschischhandel im Stühlinger übernommen haben,
       jedoch nicht gewalttätig sind. Vielleicht hat diese Debatte vor zwei Jahren
       auch dazu geführt, dass die Polizei jetzt ganz offen über die Herkunft des
       Täters reden kann.
       
       Schwer tat sich Freiburg auch, als bekannt wurde, dass der Club White
       Rabbit, der als links gilt, keine Flüchtlinge mehr einlässt, weil sich
       weibliche Besucher belästigt fühlen.
       
       ## Probleme wie jede Stadt dieser Größe
       
       Ein solches Verbot verstieß gegen geltendes Recht, wie der
       Oberbürgermeister damals zu Recht bemerkte. Die Freiburger Lösung war, dass
       die Freiburger Clubs nun gemeinsame Hausverbote aussprechen, wenn jemand
       auffällig wird. Seitdem gab es gerade einmal zwei Fälle.
       
       Es gibt andere Vorkommnisse, die nicht in das Bild vom liberalen Freiburg
       passen. Angriffe gegen Schwule nachts auf offener Straße oder erst kürzlich
       der Tod eines Obdachlosen, der offenbar von Passanten angegriffen wurde,
       weil er gegen eine Kirchenwand urinierte.
       
       „Wir haben Probleme wie andere Städte von unserer Größe auch“, sagt
       Sozialbürgermeister Ulrich von Kirchbach. Kirchbach residiert in dem
       Renaissance-Rathaus in der Altstadt. Im Vorzimmer brennen zwei Kerzen am
       Adventskranz, vor der Haustür rummelt der Weihnachtsmarkt.
       
       Freiburg führt im Land die Kriminalstatistik an, da ist aber viele
       Kleinkriminalität dabei, auch Fahrraddiebstahl oder Schwarzfahren. Die
       Stadt liegt nahe an zwei Grenzen, die Innenstadt ist die Partymeile für den
       gesamten südlichen Schwarzwald. Das bringt auch Gewaltprobleme unter
       Jugendlichen mit sich.
       
       Nein, sagt der Sozialbürgermeister, in dieser Stadt gebe es keine
       „No-go-Areas“, weder im Stadtteil Stühlinger noch im sogenannten
       Bermudadreieck, wo die meisten Clubs liegen.
       
       ## Das richtige Maß zwischen Freiheit und Sicherheit
       
       Jetzt hat der Justizminister in Stuttgart angekündigt, das
       Jugendstrafrecht, das beim mutmaßlichen Mörder von Maria L. greift, neu zu
       justieren. Und Polizeigewerkschafter Wendt glaubt, die Polizei könne solche
       Gewalttaten verhindern, wenn die Politik sie besser auf den
       Flüchtlingsstrom vorbereitet hätte.
       
       Kirchbach wiegt den Kopf, wenn er sich das anhört. Man müsse doch immer das
       rechte Maß zwischen Freiheit und Sicherheit suchen, findet der
       Sozialdemokrat. Er ist froh, dass das Land ihnen endlich mehr Polizisten
       bewilligt hat. Doch auch die könnten nicht jede junge Frau nach Hause
       begleiten.
       
       Damit das Unsicherheitsgefühl nachlässt, wird wohl im Stadtrat neu über die
       Beleuchtung in der Stadt diskutiert. Und es gibt Stimmen, die das
       Sammeltaxi speziell für Frauen wieder einführen wollen. Keine harten
       Maßnahmen, Antworten mit Augenmaß. Freiburger Lösungen eben. Alles andere
       würde auch nicht zu dieser Stadt passen.
       
       Mitarbeit: David Joram
       
       9 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Stieber
       
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